Siegen. . Manchmal reicht zweimal hinschauen. „Und würdig wohnt im Neuen das Gewesene. . . Wiederaufbau in Siegen – Liebe auf den zweiten Blick“ heißt der Band, der aus den Arbeitsgruppen des Geschichtsforums Siegen entstanden ist.

Das abschätzige Stadtportrait aus dem Magazin der Süddeutschen Zeitung mit dem altbekannten Wortspiel lastet auch nach über 20 Jahren mitunter wie Blei über der Stadt. Siegen ist eben nicht schlimmer als verlieren – wer die Augen aufhält, sich auskennt und nicht nur HTS und Uni kennt, weiß um die zugegebenermaßen bisweilen verborgenen Schätze der Stadt.

Manchmal reicht zweimal hinschauen. „Und würdig wohnt im Neuen das Gewesene. . . Wiederaufbau in Siegen – Liebe auf den zweiten Blick“ heißt der Band, der aus den Arbeitsgruppen des Geschichtsforums Siegen entstanden ist.

„Siegen ist NRW-weit führend, was den Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg anbelangt“, stellt Stadtbaurat Michael Stojan bei der Präsentation des Buchs fest.

Zumindest was die Altstadt anbelangt. Hier brauche Siegen den Vergleich mit altehrwürdigen Stadtkernen wie Münster, Soest oder Würzburg nicht zu scheuen, im Gegenteil.

„Die Grundstruktur der Stadt, Verlauf und Breite der Straßen, auch die Größe der Gebäude entspricht in weiten Teilen dem ,alten’ Siegen vor der Bombardierung 1944“, bekräftigt Dr. Andreas Bingener, Vorsitzender des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins, unter dessen Ägide der Band

Früher.
Früher. © WP

maßgeblich mit entstand. „Das alte Flair ist deutlich erkennbar, das hebt Siegen von anderen Städten ab“, sagt Bingener.

Straßenzüge historisch gewachsen

Wohlgemerkt: Es geht hier nicht um subjektives Empfinden von Schönheit oder das Zählen historischer Fachwerkhäuser. Es geht um die Qualität und Struktur des Wiederaufbaus einer zerstörten Stadt und dieses in einem vergleichsweise kleinen Areal. „In den Workshops haben wir uns seit 2011 ähnlich stark zerstörte Städte angeschaut“, erklärt Stojan, „und die Konzepte des Wiederaufbaus verglichen: traditionell oder modern?“ In dieser Auseinandersetzung, bei der keineswegs nur Fachleute und Wissenschaftler sondern auch interessierte Bürger mitwirkten, sei man zum Schluss gekommen: Siegen hat in den 50er Jahren eine der qualitätsreichsten und qualifiziertesten Aufbaukonzepte des Landes umgesetzt.

Stojan und Bingener streiten nicht ab, dass es auch in der Oberstadt Bausünden gibt, die sich alles andere als ins Stadtbild einfügen. Das Karstadt-Gebäude zum Beispiel. „Aber diese Sünden kann man an einer Hand abzählen“, entgegnet Stojan dem Einwand. „Es gibt auch hier schreckliche Beispiele, in anderen Städten aber hundertfach so viele“, pflichtet Bingener bei.

Gegenbeispiel Geisweid

Aufgrund der topografischen Gegebenheiten habe man bei der Stadtplanung Ende der 1940er Jahre beispielsweise nicht Verkehrsgerechtigkeit gesucht und das historische Straßennetz mit breiten Trassen überformt – so geschehen in Münster direkt am Rande der Innenstadt oder in Bochum gar quer hindurch. Die Straßenzüge verlaufen in Siegen hingegen so, wie historisch gewachsen, die Gebäude entsprechen im Wesentlichen den Maßstäben nach Geschosshöhe und Dachlandschaft. Ausreißer wie die Sandstraße werden derzeit ja bekanntlich zurückgebaut.

Dankbar sind die Architekturkenner, dass das in den 50er Jahren umgesetzte Konzept im Bereich Oberstadt auch später kaum überformt wurde. „In den 70ern hieß es möglichst hoch, breit und lang, Urbanität durch Dichte“, erklärt Stojan. Beispiele: Die Zentren Geisweids und Weidenaus.„Der Band soll Einheimischen und Zugereisten zeigen, dass es mit dem ersten Blick auf die Stadt nicht getan ist“, so Stojan. „Auf Unbekanntes hinweisen“, pflichtet Bingener bei, „viele Leute laufen zigmal an hochinteressanten Stellen vorbei und wissen gar nicht, wo sie da sind.“

Architekten des Wiederaufbaus

Auch dafür ist das Buch da: Neben dem Kapitel zum Wandel des Stadtbilds in den vergangenen Jahrzehnten und dem Vergleich mit anderen Städten werden die Architekten des Wiederaufbaus portraitiert. Ein Abschnitt widmet sich der Kunst am Bau, es werden Empfehlungen für eine mögliche Gestaltungssatzung vorgestellt. Den Autoren des „Was ist schlimmer als verlieren“-Artikels würden beide, Stojan und Bingener, gerne mal zu einer Stadtführung einladen. „Der würde gucken!“