Hilchenbach. 34 Jahre lang ist die am 3. Oktober 1990 gepflanzte Eiche auf dem Bernhard-Weiss-Platz gewachsen. Jetzt steht sie dem Kulturellen Marktplatz im Weg.
Es war am 3. Oktober 1990 auf dem Bernhard-Weiss-Platz in Dahlbruch. Im Gebrüder-Busch-Theater ist die Feierstunde zu Ende gegangen, mit der die Vereinigung der beiden deutschen Staaten begangen wurde. Bürgermeister Paul Roth und Stadtdirektor Wolfgang Bell greifen zur Schaufel, um eine Roteiche einzupflanzen. Die Allenbacher Volkstanzgruppe tanzt um die fortan sogenannte Einheitseiche herum. Die Feierstunden gibt es seitdem jedes Jahr. Um die Eiche herum tanzt längst niemand mehr. Nach über 30 Jahren soll der inzwischen stattliche, 15 Meter hohe Baum nun weg, und zwar schon nächsten Montag. Auf dem Kulturellen Marktplatz Dahlbruch („kmd“) ist für ihn kein Platz mehr.
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Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis hat die Brisanz des Vorgangs um den mit so viel Symbolik beladenen Baum geahnt. Schon am Montag informierte er den geheim tagenden „Ältestenrat“ der Fraktionsvorsitzenden – womit die Diskussion im Rat, die fast genauso lange dauern sollte wie die vorangegangene Haushaltsdebatte, aber auch nicht mehr abzuwenden ist. Baudezernent Michael Kleber holt weit aus, erinnert daran, wie der Architektenwettbewerb schon 2014 das Problem erkennbar machte: „Es gab zusätzlichen Raumbedarf.“ Was dazu führte, dass die Einheitseiche auf einmal nicht mehr mitten auf dem Platz, sondern direkt an der Fassade des vor das Theater gebauten Foyers steht.
Gezielt geschnitten: Seit 2015 ist die Baumkrone nicht mehr rund
Seit 2015 sei der Baum daher „gezielt und konzentriert“ zurückgeschnitten worden, dabei habe er „seine ehemals runde Form verloren“. Stattdessen dehne sich der schnell und kräftig wachsende Baum nun nach der anderen Seite aus. All das sei „schwieriger, als man sich das vorgestellt hat“. Nächste Woche jedenfalls soll mit der Gestaltung der Außenanlagen begonnen werden. Bis dahin müsse man wissen, ob der Baum bleibt und wohin ein neuer Baum gepflanzt werden könne. „Wir brauchen eine schnelle Entscheidung..“ Die Einheitseiche, fügt Baudezernent Michael Kleber dann auch noch hinzu, mit dem Stamm fünf Meter, mit den Ästen aber nur 60 Zentimeter vom Gebäuie entfernt, berge mit ihren Wurzeln „ein gewisses Gefährdungspotenzial für künftige Pflasterflächen“. Michael Kleber plädiert: „Der Baum hat keine wirkliche Chance. Wir sollten einem neuen Baum eine Chance geben.“
Peter Kraus (UWG), von Beruf Landschaftsgärtner, sieht das anders. „Dann muss man eben so planen, dass der Baum stehen bleiben kann.“ Dass die Eiche nicht mehr schön aussehe, sei kein Argument. „Das ist ja nicht irgendein Baum, das müsste gerade die SPD wissen.“ Tatsächlich ist das Wortspiel mit der „Rot(h)eiche“ in Hilchenbach geläufig. Peter Kraus geht weit: Angesichts der aktuellen Verwerfungen nun auch noch die Axt an das Symbol der deutschen Einheit zu legen, zeuge von „mangelndem Respekt für unser Land“.
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SPD-Fraktionsvorsitzender Michael Stötzel wagt sich weit hervor, indem er „stellvertretend für Paul Roth“ das Wort ergreift: „Was würde er heute sagen, wenn er den heruntergekommenen Baum sähe?“ Roth, der von 1979 bis 1999 ehrenamtlicher Bürgermeister war und 2018 im Alter von 90 Jahren gestorben ist, hätte bestimmt für einen neuen Baum gestimmt, behauptet Stötzel. „Ich bin bereit, mich an den Kosten für die Ersatzpflanzung zu beteiligen.“ Tatsächlich war Paul Roth eher der Mann für Taten als für große Symbolik. Er initiierte nicht nur die Städtefreundschaft mit Arendsee in der Altmark, sondern zog auch gleich für 15 Jahre dorthin. Dass die CDU immer gegen diese Partnerschaft war, solange in Arendsee die SED-Nachfolgepartei PDS regierte und Arendsee die Städtefreundschaft mit Hilchenbach 2020 aufgekündigt hat, steht auf dem nächsten Blatt der Hilchenbacher Einheits-Geschichte.
Späte grüne Freundschaft zu der „Rot(h)eiche“
„Anmaßend“ nennt es Ulrich Bensberg (UWG), den Baum als „Krüppel“ zu bezeichnen: „Wir beurteilen Menschen ja auch nicht nach ihrer Schönheit. Für mich wertet der Baum den Kulturellen Marktplatz auf.“ Betty Roth (SPD) rät zu Gelassenheit. Die Einheitseiche habe eben nicht den Platz nicht bekommen, den sie brauche. Eine wirklich stattliche Eiche sei in der Hörbachstraße zu besichtigen. Und wem danach sei, der könne ja das Lied von Alexandra anstimmen: „Mein Freund der Baum“, heißt es da, „ist tot.“
Dr. Frank Luschei (Grüne) spricht von einem „Trauerspiel“, den Rat ultimativ mit der Baumfällung zu konfrontieren: „Jetzt fällt einem plötzlich ein, dass ein Baum Wurzel bildet.“ Wobei die Grünen, was ihr heutiger Fraktionschef jedoch nicht erinnert, eigentlich keine Freunde der Rot(h)eiche waren. Von „völlig unpassender Gefühlsduselei“ hatten sie damals gesprochen und den feierlichen Akt der Pflanzung boykottiert. David Klatt (SPD) stimmte als einziger aus seiner Fraktion für das Vermächtnis des Altbürgermeisters: „Bäume, die nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, haben es schwer in Hilchenbach.“ 29 Baumfällungen gibt die Verwaltung in derselben Sitzung bekannt, zuzüglich weitere Fällungen jeweils von „mehreren“ Bäumen.
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Mit 18 gegen acht Stimmen bei einer Stimmenthaltung besiegelt der Rat das Schicksal der Einheitseiche. Über Standort und Baumart der Ersatzpflanzung soll in der nächsten Woche die Baumkommission entscheiden, der drei Ratsmitglieder und zwei Mitarbeiter des Baubetriebshofs vertreten sind. „Auf keinen Fall mehr eine amerikanische Eiche“, gibt Baudezernent Michael Kleber vor, „eher eine deutsche Eiche oder was anderes.“ Eine Linde, zum Beispiel. Die wollte Hilchenbach ursprünglich schon 1990 auf den Bernhard-Weiss-Platz pflanzen. Vielleicht hätte die besser zum kmd gepasst.
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