Müsen/Siegen. Staatsanwaltschaft Siegen fordert im Totschlag-Prozess lange Haft für den Angeklagten. Nicht mal seine Verteidigerin glaubt dem Mann aus Müsen.
11 Jahre Haft wegen vollendeten Totschlags fordert die Staatsanwaltschaft, die Verteidigung bittet um ein mildes Urteil: Im Prozess vor dem Landgericht Siegen sind die Plädoyers gehalten worden. Beide Seiten sehen es nach Abschluss der Beweisaufnahme als erwiesen an, dass der Angeklagte (43) im August 2023 seinen eigenen Vater mit 16 Messerstichen in dessen Haus in Müsen getötet hat. Auch bei der Frage der Schuldunfähigkeit waren sich Anklage und Verteidigung einig: Der Angeklagte sei zur Tatzeit Herr seiner Sinne gewesen.
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Die Staatsanwaltschaft Siegen: Zweiter Täter „völlig lebensfremd“
Die Beweisaufnahme sei eindeutig: Die Tat habe sich so ereignet, wie in der Anklage festgehalten, so Oberstaatsanwalt Fabian Glöckner. Es sei am 7. August zum Streit gekommen, der Beschuldigte hätte sich von seinem Vater abwenden können, stattdessen aber habe er mit einem Messer „wuchtig“ auf den Oberkörpfer des Opfers eingestochen. Gegenüber der Polizei, dem Haftrichter, dem psychiatrischen Sachverständigen und zunächst auch im Prozess habe der 43-Jährige die Tat auch eingeräumt. Die später davon abweichende Schilderung, er habe nur zwei leichte Stiche zugefügt, die tödlichen Verletzungen seien später von einem zweiten Täter gekommen: „Völlig lebensfremd“, so der Ankläger. Spurenlage, Obduktion und Zeugenaussagen hätten keinerlei Hinweise auf einen solchen Tathergang ergeben. Dazu passe auch, dass der Festgenommene sich in keiner Weise überrascht vom Tod des Vaters gezeigt habe, den er angeblich noch lebend verlassen habe. Vielmehr habe er sogar noch zur Polizei gesagt, dass er „jemanden um die Ecke gebracht“ habe. „Er ist ganz klar der Tat überführt.“
Mordmerkmale seien nicht gegeben, der Mann gelte als nicht vorbestraft - eine lange zurückliegende Verurteilung ist verjährt -, aber das Geständnis könne nicht in Gänze strafmildernd berücksichtigt werden. Schuldgefühle oder Reue gegenüber seinem eigenen Vater und seinen Angehörigen habe der Angeklagte nicht erkennen lassen. Sie würden bis heute massiv unter der Tat leiden, „er hat sich in einer Opferrolle gesehen“, so Glöckner, sich von der Familie nicht geliebt gefühlt, dabei habe gerade sein Vater ihn bis zuletzt unterstützt. „Es gab keinen Anlass für die Tat.“ Dass er sich durch einen Satz des Vaters provoziert gefühlt haben wolle, zähle nicht als Motiv, das letztlich im Dunkeln bleibe.
Die Verteidigung: „Er hätte einfach weggehen sollen und können“
Die Anwältin des Angeklagten hält ihn ebenfalls für schuldig und schuldfähig. „Es fällt mir nicht ganz leicht“, gesteht die Juristin eingangs ihres Plädoyers: Etwas zu sagen, das ihrem Mandanten nicht gefallen würde. „Er ist so in seiner Weltsicht verhaftet, dass es ihm schwer fällt, dem zu folgen und zuzustimmen.“ Als Verteidigerin müsse sie aber ethische Maßstäbe anlegen, er für diese Tat zur Rechenschaft gezogen werden: „Er hat die Verletzungen beigebracht, es gibt keine Hinweise auf eine andere Person.“ Letztlich lasse sich nicht aufklären, was genau geschehen ist. Unterstellt, seine Darstellung eines Familienlebens voller Leid und Erniedrigung träfen zu, könne dies dennoch keine Erklärung liefern für die Eskalation. Er habe den Vater weggeschubst, die Situation sei damit beendet gewesen. „Er hätte einfach weggehen sollen und können.“
Allein die Worte „Ich bin Dein Vater“, die der am Boden Liegende zu ihm gesagt habe, seien kein Motiv und kein nachvollziehbarer Auslöser für die Tat. Der Beschuldigte hatte im Prozess immer wieder betont, dass sein Vater nicht sein Vater sei. Letztlich könnten der Streit und dessen Eskalation zu einer Tat im Affekt geführt haben, dass der Angeklagte vorübergehend die Beherrschung verhloren habe, „der sprichwörtliche Tropfen, der das Fasss zum Überlaufen bringt“. Dennoch sei das keine Entschuldigung, die Tötung lasse sich nicht wiedergutmachen, nicht erklären. Auch sie könne nicht viele strafmildernde Gründe für ihren Mandanten anführen. „Er muss zeitlebens damit zurechtkommen, dass er diese Tat begangen hat. Das ist nicht spurlos an ihm vorübergegangen.“ Auch sie sei oft ratlos angesichts seines Verhaltens und seiner Äußerungen gewesen, womöglich versuche er auf diesem Weg, mit dem klarzukommen, was für ihn nicht sein könne, nicht sein dürfe. „Ihm ist klar, dass er etwas getan hat, wozu er kein Recht hatte.“
Der Angeklagte im Landgericht Siegen: „Nicht ich bin das Opfer, sondern er“
Er habe sein Leben lang Reue gezeigt und sich entschuldigt, erneuert der Angeklagte in seinem letzten Wort ein weiteres Mal die Vorwürfe gegen sein Elternhaus. „Ich musste und ich konnte das immer.“ Auch jetzt falle ihm das nicht schwer, er würde sich am liebsten beim Oper entschuldigen. In der Tat sei es für ihn schwer zu begreifen, was passiert ist, „ich hoffe, dass ich eines Tages die Chance bekomme, mich im Himmel bei ihm zu entschuldigen“, sagt der Mann mit tränenerstickter Stimme. Er finde es schade, wie die Dinge verlaufen seien, wie er dargestellt worden sei. Aber: „Nicht ich bin das Opfer, sondern er. Es tut mir leid, was passiert ist.“
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