Siegen/Müsen. Sohn soll Vater erstochen haben: Eine Smartwatch am Handgelenk des Getöteten ( 71) gibt der Rechtsmedizin Aufschluss über den Ablauf der Tat.
Der Prozess gegen den Mann, der im August 2023 seinen eigenen Vater in dessen Müsener Haus getötet haben soll, neigt sich dem Ende entgegen. Die Beweisaufnahme ist mit dem Verhandlungstag Donnerstag, 28. März, abgeschlossen, neben Sachverständigen wurde ein letztes Mal der Angeklagte (43) gehört. Mittwoch, 3. April, werden die Plädoyers erwartet, zwei Tage später soll dann das Urteil gesprochen werden.
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Rechtsmedizinerin im Siegener Landgericht: Keine Hinweise auf zwei Täter
Womöglich hat das Opfer noch zwei Stunden gelebt, nach den 14 Messerstichen. Die Rechtsmedizinerin hat zusätzlich zu ihrem Gutachten auch die Daten der Smartwatch ausgewertet, die der 71-Jährige am 7. August am Handgelenk trug. Um 14.20 Uhr zeichnete das Gerät demnach einen plötzlichen, rasanten Anstieg der Herzfrequenz auf, passend zum Verletzungsbild. Diese hohe Frequenz hielt demnach an: Um 16.20 Uhr wurde dem Opfer das Gerät abgenommen – demnach sei zumindest nicht auszuschließen, dass das Herz noch schlug. Jedenfalls war der Mann nicht sofort tot. Dass es sich um zwei Tatvorgänge handelte, wie der Angeklagte im Prozess ausgesagt hatte, lasse sich anhand der Aufzeichnung nicht belegen, so die Expertin auf Nachfrage von Staatsanwalt Fabian Glöckner. Der Verdächtige hatte behauptet, dass er einen Angriff seines Vaters abgewehrt und zwei Mal zugestochen habe, die weiteren Wunden hätten jemand anderes später verursacht haben müssen.
Die Verletzungen waren schwer. Schnitte und tiefe Stiche beschreibt die Ärztin, zuerst in die linke Brust, dann auch in Schulter, Bauchbereich, Arm und Hand. Mit der Linken, darauf deuten die Verletzungen hin, habe der Mann versucht, den frontalen Angriff abzuwehren, den Arm dann schützend vor den Körper gezogen. Die Armschlagader wurde durchtrennt, so die Sachverständige; Herzbeutel (aber nicht der Muskel selbst), Lunge, Magen, Leber, Dünndarm verletzt, Rippen gebrochen, was auf die erhebliche Wucht der Stiche deute. Das Opfer habe schnell viel Blut verloren, was zur Auffinde-Situation passe, er verblutete nach innen und außen. Der Mann lag auf dem Bauch in einer großen Lache, als man ihn fand – entweder weil er so stürzte oder es noch schaffte, sich umzuwälzen. Das Bewusstsein dürfte er schnell nach der Tat verloren haben, so die Ärztin.
Nervenarzt im Landgericht Siegen mit Einschätzung: Angeklagter war schuldfähig
Er sehe beim Angeklagten keine Hinweise auf eine psychotische Störung, so die Einschätzung von Nervenarzt Dr. Bernd Roggenwallner als Gutachter. Aus seiner Sicht sei der Mann schuldfähig und damit nicht „privilegiert“ in dem Sinne, dass er in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden müsse, statt eine etwaige Strafe in einem regulären Gefängnis abzusitzen. Vor Prozessauftakt war die Staatsanwaltschaft noch von einer zur Tatzeit verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen. Auch eine Persönlichkeitsstörung sei für ihn zweifelhaft, so der Gutachter. Zwar habe es beim Angeklagten, der als leicht „intellektuell minderbegabt“, beschrieben wird, depressive Phasen, Drogenkonsum und auch Auffälligkeiten besonders vor der Tat gegeben, die in Summe aber keine entsprechende Diagnose rechtfertigen würden. Erst recht nicht, weil der heute 43-Jährige zu dieser Zeit nach einer längeren persönlichen und gesundheitlichen Krise eigentlich positiv gestimmt gewesen sei, Aussicht auf beruflichen Wiedereinstieg und Erfolg gehabt habe.
Der Angeklagte
Anders als es Zeugen, vor allem aus seiner Familie, geschildert hatten, habe er sich sehr wohl um seine Zukunft gekümmert, versichert der Angeklagte, sich um Papierkram und seinen Lebensunterhalt gekümmert. Er habe immer von einer Arbeit beim Radio, als Moderator geträumt, habe nach einem Praktikum nun den Fuß in der Tür für eine neue Karriere gehabt. Allerdings wurde ihm dort wohl eine Stelle im kaufmännischen Bereich angeboten, nicht in der Moderation. Seine Familie habe das nicht gewürdigt.
„Wenn das Verhältnis zur Familie so schlecht war: Warum sind sie dann dorthin zurück gezogen und haben sich so auf sie verlassen?“, fragt die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach. Der Angeklagte lebte zuletzt in einer Wohnung gegenüber seines Elternhauses.
Er habe sich auch während seiner gesundheitlichen und seelischen Krise selbst über Wasser gehalten, erst in den letzten Monaten vor der Tat habe er seine Eltern um Hilfe gebeten, betont der Angeklagte – und das auch nur in sehr begrenztem Umfang. Stets habe er betont, das Geld („finanzielle Hilfe in absolut überschaubarem Rahmen“) zurückzahlen zu wollen.
So sei etwa von einer „Fremdsteuerung“ zur Tatzeit, von denen der Beschuldigte im Prozess erzählt hatte, vorher nie die Rede gewesen, zudem hätte sich so etwas auch nach der Tat fortsetzen müssen. „Er hat sich aber geordnet verhalten.“ Im Gegenteil habe der Mann bei der Tat und auch danach zielgerichtet und sinnhaft gehandelt – nicht sinnwidrig, wie es typisch für Psychosen sei. In Notwehr oder auch als Reaktion auf eine angebliche Demütigung durch den Vater aggressiv zu reagieren, sei nicht sinnwidrig.
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Aus der Verlesung eines Videoprotokolls von der Festnahme des Angeklagten geht hervor, dass er nach der Tat immer wieder „Er ist nicht mein Vater“ gerufen hatte, als die Polizei ihn in Gewahrsam nahm. Das behauptete er später im Prozess auch immer wieder, blieb dabei indes vage. Zudem äußerte er bei der Festnahme demnach immer wieder, dass seine Mutter mit seinem Großvater geschlafen habe. Es sei eskaliert, „er hat mich angegriffen“, rief er laut Protokoll.