Allenbach/Weidenau. Bremse eines Audi E-Tron auseinandernehmen, zwei Jahre Vollgas geben: Schülerinnen und Schüler von Stift Keppel als Junior-Ingenieure.

Sie hätten auch Informatik machen können. Oder Spanisch. Jetzt sitzen sie mit ihren Tablets in einem Seminarraum. Und rechnen. „Ob ihr mit dem Auto durch den Tüv gekommen wärt“, sagt Ralph Dreher.

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Der Professor hat eine besonders junge Gruppe von Studierenden vor sich: Sie sind die Junior-Ingenieur-Akademie des Gymnasiums Stift Keppel. Und ziemlich nah am Ende eines Wegs, der in der Regel mit einem Besuch im Müsener Stahlberg und einem Klumpen Eisenerz beginnt. Am Ziel steht, am Ende des zweiten Jahrs, das selbst gebaute Modellauto. „Fräsen, Bohren, Sägen gehört dazu“, sagt Markus Diehl. Und natürlich Wissen über Lenkung und Federung. Bis zum Ende des Schuljahres wird der kleine Rennwagen in der Stift Keppeler Kellerwerkstatt zusammengeschraubt sein.

Reicht die Bremskraft? Im Seminarraum wird gerechnet.
Reicht die Bremskraft? Im Seminarraum wird gerechnet. © Steffen Schwab

Eben gab es ein paar Schreckensschreie. Eine Mitschülerin hat den Audi ziemlich rasant auf den Bremsenprüfstand geparkt. 193 Prozent Gesamtabbremsung werden später auf dem Protokoll stehen, mit dem die Gruppe rechnen muss. „Ich hab den Motor abgewürgt“, erzählt die Fahrerin ihren Mitschülerinnen und -schülern aus der 10. Es geht um Bremsen an diesen beiden Tagen. Ausbauen, zerlegen, reparieren, zusammensetzen. Vorher haben sie sich in der Schule mit dem Fahrwerk beschäftigt. Mit Antriebstechniken, Benzin-, Diesel-, Elektro- und Hybridmotoren. Drei Stunden in der Woche ist Junior-Ingenieur-Akademie, wenn die Mädchen und Jungen nicht gerade unterwegs sind: im Stahlberg, bei der SMS, bei den Deutschen Edelstahlwerken. Oder hier in der Uni.

Prof. Dr. Ralph Dreher begleitet die Zehntklässler im fahrzeugdidaktischen Labor der Universität Siegen.
Prof. Dr. Ralph Dreher begleitet die Zehntklässler im fahrzeugdidaktischen Labor der Universität Siegen. © Uni | Carsten Schmale

Auf der Hebebühne steht ein Audi E-tron, auf dem Bremsenprüfstand ein Peugeot 307 mit Hybrid-Motor. „Die Firmen geben uns ihre Versuchsfahrzeuge günstig ab“, sagt Prof. Dr. Ralph Dreher. Von einer normalen Autowerkstatt unterscheidet sich der Aufbau in der ehemaligen Fabrikhalle in der Breiten Straße in Weidenau durch Bildschirme und Flipcharts. Hier ist das „fahrzeugdidaktische Labor“ der Siegener Uni. Kfz-Meister Jens Jüngst hat hier nicht mit Azubis zu tun, sondern mit angehenden Berufsschullehrern. Wenn er nicht gerade gemeinsam mit Junior-Ingenieuren Bremsen auseinandernimmt.

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Vom Bremsenprüfstand zum Pascal‘schen Prinzip

„Für uns ist es wichtig, andere Wege zum Lernen aufzuzeigen“, sagt Prof. Dr. Ralph Dreher. Die 15 Schülerinnen und Schüler haben einfach ausprobiert, sich zu der Lösung selbst vorgearbeitet. Bis es für Physiklehrer Markus Diehl ein Leichtes ist, mit dem Pascal‘schen Prinzip hineinzugrätschen, das erklärt, warum ein Druck aufs Bremspedal bewirkt, dass die Bremsflüssigkeit auf alle vier Räder des Autos gleichmäßig wirkt. Genauso lernen es auch die Studierenden, die auf den Engineering-Bachelor bei Dreher den Master of Education draufsetzen, um später junge Mechatroniker am Berufskolleg unterrichten zu können. Um die 20 Studierende pro Semester entscheiden sich für diesen Studiengang. „Viel zu wenig“, findet Prof. Dr. Dreher.

Wir brauchen gerade in unserer Region den Nachwuchs in den gewerblich-technischen Berufen.
Prof. Dr. Ralph Dreher, Universität Siegen

Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Stift Keppel waren zwei Tage lang zu Gast im fahrzeugdidaktischen Labor der Universität Siegen
Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Stift Keppel waren zwei Tage lang zu Gast im fahrzeugdidaktischen Labor der Universität Siegen © Uni | Carsten Schmale

Exzellent in Sachen MINT

Der Lehrstuhl für Technikdidaktik am Berufskolleg und Stift Keppel sind alte Bekannte. Vor fast genau zehn Jahren wurde die Schule in das Netzwerk der aktuell 110 Junior-Ingenieur-Akademien umfassende Netzwerk der Telekom-Stiftung aufgenommen, die Keppel mit 10.000 Euro für Maschinen und Material ausstattete und für Unterrichtsmaterial sorgt. Schule, Wirtschaft und Wissenschaft sollen in den zweijährigen Lehrgängen der Junior-Ingenieure, immer in der 9 und der 10, zusammenwirken. Mit dem Ziel, für ein Studium in den MINT-Fächern und technische Berufe zu begeistern. Wofür Stift Keppel auch sonst einiges tut, als Mitglied im nationalen MINT-Excellence-Schulnetzwerk, vom Känguru-Wettbewerb über die Science Show bis zum Abitur, das in allen MINT-Fächern möglich ist. „Wir brauchen gerade in unserer Region den Nachwuchs in den gewerblich-technischen Berufen“, sagt Prof. Dr. Dreher.

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Die Bremskraft in Newton ins Verhältnis setzen zum Gewicht des Fahrzeugs. Wer fast zwei Jahre Junior-Ingenieur-Akademie hinter sich hat, kann mit solchen Formeln umgehen. Mit den 193 Prozent kann der Professor nichts anfangen – da waren die Bremsen offensichtlich blockiert. „Man muss langsam bremsen.“ Physik ist eben nicht nur abstrakt, sondern – was Physiklehrer Markus Diehl freut – im alltäglichen Leben spürbar. Fahrunterricht steht allerdings nicht auf dem Stundenplan. Als nächstes wird erst einmal ein Auto gebaut. Und dann sind es immer noch drei Jahre bis zum Abitur.

Rund ums Thema „Bremsen“ geht es für die jungen Ingenieure von Stift Keppel in der Uni-Werkstatt.
Rund ums Thema „Bremsen“ geht es für die jungen Ingenieure von Stift Keppel in der Uni-Werkstatt. © Markus Diehl | Markus Diehl

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