Siegen-Wittgenstein. Eine neue Mehrheit von sechs Fraktionen setzt sich im Kreistag mit dem Ausstieg des Kreises aus Tourismus- und Wirtschaftsförderung durch.
Der Kreistag hat den Haushaltsplan für dieses Jahr mit 28 gegen 22 Stimmen beschlossen. Dagegen gestimmt haben SPD, Linke und AfD. Die Kreisumlage wird auf 36,45 Prozent festgesetzt – höher, als Landrat Andreas Müller vorgeschlagen hatte. Der Betrag, den die Städte und Gemeinden an den Kreis abzuführen haben, spielte allerdings diesmal nur eine untergeordnete Rolle. Die verschiedenen Vorschläge, zehn seit der Vorstellung der „Eckpunkte“ im Sommer 2023, lagen am Ende nur Hundertstel Prozent auseinander. Im Mittelpunkt stand der Auftritt einer neuen „bürgerlichen Mehrheit“, die den Ausstieg des Kreises aus der Tourismus- und der Wirtschaftsförderung durchsetzte.
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Positionen
Die Stimmung ist von Anfang an gereizt. Zwar war es gerade Anfang Dezember, als sich im Kreistag eine Mehrheit fand, die Verabschiedung des Haushalts auf Februar zu vertagen. Aber keine 24 Stunden ist es her, dass CDU, Grüne, UWG, SWM, Wir Bürger und FDP ihren Antrag vorgestellt haben, die SPD auch nur wenige Tage vorher. „Nicht die geringste Chance“ habe seine Fraktion gehabt, den neuesten Antrag zu bewerten, klagt Ullrich Georgi (Linke). Seine Forderung, die Debatte auf März zu verschieben, findet keine Mehrheit.
Landrat Andreas Müller findet, mit dem Haushalt werde das „Ergebnis einer kommunalfreundlichen Politik konsequent umgesetzt“. Er erwähnt höhere Umlage-Hebesätze, die „mein Vorgänger“ (gemeint: Paul Breuer, CDU) durchgesetzt habe - wird sich aber später sagen lassen müssen, dass der Kreis seine Einnahmen dank gestiegener Finanzkraft der Kommunen dennoch stetig erhöht habe. Andreas Müller warnt davor, die damals von Breuer aufgezeigten wirklichen Einsparmöglichkeiten zu realisieren: Nahverkehr, Kinderbetreuung, Kultur. „Wer das ernsthaft will, legt die Axt an die Zukunftsfähigkeit der Region.“ Aus dem Wettbewerb der Standorte könne Siegen-Wittgenstein sich dann „direkt verabschieden“. Die umworbenen jungen Fachkräfte „gehen nämlich dann woanders hin“.
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Julian Maletz (SPD) erinnert an die bereits im Dezember gefällten Vorentscheidungen, vor allem an den verweigerten Zuschuss für das psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge. Das sei „Profilierung auf Kosten der Schwächsten unserer Gesellschaft“. Das Engagement der neuen Mehrheit für das Wisent-Projekt beweise, dass von „Sparwillen keine Rede“ sein könne. „Verzweifelt wird versucht, sich an jeden Strohhalm zu klammern, um irgendwie Stimmung zu machen gegen den Landrat und auch die SPD-Fraktion“. Den Grünen, die sich dem Sechs-Fraktionen-Bündnis angeschlossen haben, wirft Maletz „Verrat an der eigenen Parteimoral“ vor. Die Fraktion mache sich zum „Steigbügelhalter eines gefrusteten konservativen Bündnisses“.
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Hermann-Josef Droege (CDU) wirbt „mit aller Entschiedenheit für Maß und Mitte“ und ruft die „Zeitenwende im Kreishaushalt“ aus. Der CDU-Fraktionschef kritisiert, dass das nach der Einbringung des Haushalts vorgeschlagene 15-Millionen-Sparpaket des Landrats an keiner Stelle schriftlich fixiert worden sei. „Eine Luftnummer, mancher Bürgermeister hat sich veräppelt gefühlt.“ Droege erwähnt die Arbeitsweise des Touristikverbandes („betrachten wir mehr als kritisch“) und die finanzielle Lage der Philharmonie, die sich im Etatentwurf nicht niederschlage.
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Ulrich Schmidt-Kalteich (Grüne) wirft dem Landrat vor, „ganz bewusst“ das Ende des Wisent-Projekts eingeläutet zu haben und an zu einer Nationalpark-Bewerbung „für jeden erkennbar keine Lust“ zu haben. Ihm und seiner Verwaltung rät er, „mehr Demut vor den komplexen Fragen zu zeigen“. Die oft so auftretende „kommunale Familie“ könne mit mehr interkommunaler Zusammenarbeit „echten Familiensinn“ beweisen. Besonders kritisiert der Grünen-Sprecher das Vorhaben, die Schulbegleitungen nicht mehr individuell jedem Schüler und jeder Schülerin mit Förderbedarf zuzuteilen, sondern im „Pool“ zusammenzufassen: „Einmal mehr zu Lasten der Schwächsten in der Gesellschaft.“
Christian Zaum (AfD) spricht vor gelichteten Reihen, der Großteil der Fraktionen von SPD und Grünen verlässt den Saal. Was Zaum sagt, erreicht sie allerdings per Lautsprecher auch draußen auf dem Flur. Der Kreishaushalt setze „ganz falsche Schwerpunkte“, zum Beispiel in das Kommunale Integrationszentrum, „wo Leute, die eigentlich nicht hier sein sollten, mit Sozialleistungen verwöhnt werden.“ Der AfD-Sprecher vertritt die „Remigration“, der Landrat hatte zuvor mit Blick auf das Potsdamer Treffen von „Deportation“ gesprochen, und kündigt einen „Politikwechsel“ nach der Kommunalwahl 2025 an: „Abschiebung schafft Wohnraum, und das klimaneutral.“
Markus Böhmer (SWM) nennt „Sparen das Gebot der Stunde“. „Wir werden uns von einigen lieb gewordenen Institutionen verabschieden müssen.“ Konkret nennt er die Bereiche Kultur und Tourismus, „die möglicherweise völlig neu gedacht werden müssen“. Nein sage seine Fraktion zu einem Nationalpark Rothaargebirge: „Wir wollen Industrieregion im Grünen bleiben.“
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Hans Günter Bertelmann (UWG) konzentriert sich auf den Sozial-und Jugendbereich. Bei den Ausgaben pro Einwohner nehme das Jugendamt Siegen-Wittgenstein landesweit eine Spitzenposition ein. „Die Kosten laufen immer weiter fort.“ Bereits 2017 habe der Kreistag eine Organisationsuntersuchung beschlossen, seit 2020 liege das Gutachten vor. Aber die 2021 beschlossenen Controlling-Stellen seien nicht besetzt worden. „Das dauert alles viel zu lange.“
Guido Müller (FDP) stellt die neue Mehrheit als „Die sechs Richtigen“ vor. Am Beispiel des Siegener „Museumsbunkers“ - gemeint ist die Erweiterung des Siegerlandmuseums - werde deutlich, dass auch „die Bürgermeister ihre Hausaufgaben nicht richtig“ machten: Solche Vorgaben seien „in Zukunft nicht mehr möglich, fertig“. Guido Müller wirbt für einen Bürgerentscheid über den Nationalpark am Tag der EU-Wahl und fordert eine Abkehr von der Tourismusförderung: „Ich will Arbeitskräfte in die Region holen.“ Mit dem Touristikverband und dessen ausgeschiedener Geschäftsführerin („gut, dass sie gegangen ist“) geht Müller hart ins Gericht: Der habe eine „enttäuschende Entwicklung“ genommen.
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Andreas Klein (Wir Bürger) bekennt, „unsere Fraktion hätte den Rotstift an der einen oder anderen Stelle noch stärker angesetzt“. Dass statt vorgeschlagener 21 nun fünf neue Stellen in der Kreisverwaltung beschlossen würden, sei ein Zugeständnis. Alternative wäre eine Einstellungssperre. Klein fordert, die „Unternehmensbeteiligungen“ des Kreises zu überprüfen, ausdrücklich nennt er das „IT-Desaster“: „Ein ‚Weiter so‘ ist nicht nur in diesem Punkt keine Alternative.“
Ullrich Georgi (Linke) geht mit der von ihm so genannten „Sechserbande“ ins Gericht. Sie verhindere die Beschleunigung von Windenergie- und Radwegebau, „Sie verweigern sich der schulpsychologischen Beratung“, die – von gerade nach dem von Mitschülerinnen begangenen Mord an Luise in Freudenberg – „dringend notwendig“ sei. Den Grünen nimmt Georgi übel, sich mit „Neoliberalen und Rechtskonservativen“ zusammenzutun: „Dafür sollten Sie sich eigentlich schämen.“
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