Siegen. Mitunter muss ein Kind aus der Familie herausgenommen werden. Mit viel Aufwand wird daran gearbeitet, dass es wieder zurückkehren kann.

Dass das Jugendamt manche Kinder aus ihren Familien herausnehmen muss, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass in den meisten Fällen mit viel Aufwand daran gearbeitet wird, dass sie wieder zurückkehren können. „Ziel ist es immer, die Bedingungen so weit zu verbessern, dass Eltern die Kinder und Jugendlichen wieder alleine erziehen können“, betont Georg Ritter, Abteilungsleiter Soziale Dienste bei der Stadt Siegen.

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Wie dabei vorgegangen wird, „ist individuell komplett unterschiedlich. Es gibt nicht das eine Konzept“, erläutert der Fachmann. Die Grundlagen zur Kinder- und Jugendhilfe regelt das Sozialgesetzbuch VIII. Dessen Ausgangspunkt ist, wie es in Paragraf 1 steht, dass jeder junge Mensch „ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ hat, und dass Pflege und Erziehung das „natürliche Recht“ und „die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ der Eltern sind. Wenn das aber nicht funktioniert und das Kindeswohl gefährdet ist, muss sich das Jugendamt einschalten. Dass Kinder aus den Familien herausgenommen und Einrichtungen oder Pflegepersonen anvertraut werden, sei dabei ausdrücklich „Ultima Ratio“, hebt Georg Ritter hervor. „Kinder werden nicht leichtfertig von ihren Eltern getrennt.“

Sofort handeln bei sexuellem Missbrauch

Liegen sexueller Missbrauch oder Misshandlung vor, müssen Kinder aus der Familie herausgenommen werden, um weitere Übergriffe zu verhindern. So unmittelbar eindeutig ist die Lage aber nicht immer. Vernachlässigung sei ein häufiger Faktor, erläutert der Abteilungsleiter. Oft litten Eltern auch unter psychischen Problemen oder einer Suchterkrankung, manchmal unter beidem, und könnten ihren Aufgaben deshalb nicht gerecht werden. Auch, wenn das Verhalten von Vater oder Mutter nicht berechenbar sei, bedeute das für die Kinder oft eine große Belastung. Viele würden selbst Verhaltensauffälligkeiten entwickeln, die im Kindergarten oder in der Schule zu Tage treten.

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Die Leitlinie des Jugendamts ist dabei, keine einseitigen Entscheidungen zu treffen, sondern Eltern und Kinder in die Prozesse einzubinden und notwendige Maßnahmen zu erklären. „Wir müssen genau gucken: Wie alt ist das Kind und was braucht das Kind“, sagt Georg Ritter. Für gewöhnlich würde zunächst immer eine Lösung angestrebt, in der die Familie zusammenbleiben kann, unterstützt etwa durch ambulante Hilfen und Therapieangebote. Sollte die Lage dennoch eine Inobhutnahme des Kindes erfordern, ist von Anfang an die „Rückführung“ angestrebt – sofern für eine solche Erfolgsaussichten bestehen.

Siegener Experte: Antworten immer individuell suchen

Zwei zentrale Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang, erklärt Georg Ritter. Die erste, „Warum kann das Kind nicht bei den Eltern leben?“, sei dabei die einfacher zu beantwortende, weil dafür triftige Gründe vorliegen müssen. Die zweite Frage sei die schwierigere: „Was müssen die Eltern tun, damit das Kind zu ihnen zurückkehren kann?“ Da in der Regel schwerwiegende Probleme vorhanden sind, ist die Antwort darauf nicht leicht und immer individuell zu suchen. „Als Jugendamt müssen wir schauen, wie wir die Eltern dabei unterstützen können“, sagt Georg Ritter.

Rückführung darf keine neuen Wunden reißen

Die Fachleute stellen im Austausch mit den Betroffenen einen Hilfeplan auf und versehen die Ziele mit Zeithorizonten. Gerade sehr kleine Kinder gingen nämlich schnell Bindungen zu anderen Menschen ein, wenn die Bezugspersonen wechseln. Wichtig ist also, dass der Kontakt zu den Eltern trotz der räumlichen Trennung kontinuierlich erhalten bleibt und dass sich die Situation zuhause so rasch verbessert, dass eine Rückführung keine neuen Wunden reißt. Entscheidend ist in jedem Fall und unabhängig vom Alter, dass bei den Eltern durchgängig eine Motivation zu erkennen ist, wirklich etwas zu verändern.

„Wir müssen natürlich ein hohes Maß an Empathie mitbringen“, sagt Georg Ritter. „Und wir müssen verstehen, wieso Eltern handeln, wie sie handeln.“ Ein solches Verständnis sei wesentlich, um die richtigen Schritte zur Unterstützung benennen zu können. Die Behörden arbeiten dafür mit Trägern der freien Jugendhilfe zusammen, das Jugendamt übernimmt dabei eine steuernde Funktion.

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Wenn eine Entwicklung zum Positiven erkennbar ist, kann eine Rückführung vorbereitet werden. Dies geschieht innerhalb eines Prozesses und nicht Knall auf Fall. Erst gibt es beispielsweise engere Besuchskontakte, das Kind könnte auch tageweise wieder bei seiner Familie leben, „um zu schauen, ob es zu Überlastungen kommt“, erläutert Georg Ritter. Auf diese Weise werde ein „Übungsfeld“ geschaffen, ausdrücklich aber „kein Experimentierfeld“: Jeder Schritt werde genau abgewogen und begleitet, weil ein Scheitern schlimmstenfalls Retraumatisierungen bedeuten könnte.

Siegener Ziel: Positives Bild von Jugendamt zeichnen

Der Normalfall sei, dass Eltern den Wunsch hätten, die Kinder zurückzubekommen. Leider gelinge das in vielen Fällen nicht, merkt der Experte an. Das hänge vor allem damit zusammen, dass diese Trennung erst dann vorgenommen werde, wenn kein anderer Lösungsversuch mehr aussichtsreich erscheint. „Wir kennen die Familien ja meist schon lange. Bei gewissen Vorgeschichten ist es schwer, einen Weg zu finden, dass das Kind zurückgeführt werden kann.“

Der Ansatz des Jugendamtes sei es, durch umfassende Prävention darauf hinzuarbeiten, dass eine solche Situation gar nicht erst eintritt. Die „Frühen Hilfen“ sind dabei ein wichtiger Baustein. Teil davon sind die „Willkommensbesuche“, die die Stadt Siegen allen Eltern neugeborener Babys sowie Zugezogenen mit Kindern bis zum Alter von drei Jahren anbietet. Fachkräfte suchen die Familien zu Hause auf, weisen auf Beratungs- und Unterstützungsangebote hin, auch auf Anlaufstellen und Freizeitaktivitäten, die einen niedrigschwelligen Kontakt und Austausch mit anderen Eltern ermöglichen. Die Inanspruchnahme ist komplett freiwillig, doch im Schnitt machen 85 bis 90 Prozent der Familien von der Option Gebrauch. „Das gibt uns auch die Chance, ein positives Bild von einem unterstützenden Jugendamt zu zeichnen“, sagt Georg Ritter.

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