Netphen. „Junge Menschen haben hier keine Heimat mehr“: Winfried Matthes möchte Netphen attraktiver machen. Mit Musik oder Grillen zum Beispiel.
Der Laden „Genußvoll“ in Netphen liegt direkt gegenüber dem Rathaus im Zentrum der Stadt. Winfried Matthes, Inhaber des Ladens, schließt gerade ab – es ist Mittagspause. „Es hat sich gezeigt, dass es sich nicht lohnt, mittags den Laden aufzulassen“, erklärt der 67-Jährige. Im Inneren des Ladens ist es entsprechend ruhig. Unten stehen Stühle und Tische aufgereiht, an der Wand hängt ein großer Fernseher und hinten gibt es eine kleine Theke. Eine Treppe führt in den oberen Bereich, wo es Produkte aller Art zu kaufen gibt – Wein, Likör, Schnapps, Gewürze, Kekse, Schokolade und vieles mehr findet man in den Regalen. Alles davon, sagt Winfried Matthes, habe er selbst probiert.
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Kunden kommen aus „Gummersbach, Wissen oder Marburg nach Netphen“
2016 eröffnet Winfried Matthes den Laden „Genußvoll“ in Netphen – seitdem ist viel passiert. Als er in Erinnerungen schwelgt, lächelt er. „2016 habe ich den Laden zusammen mit meiner damaligen Frau eröffnet“, erinnert er sich. „Das war ihr Traum.“ Winfried Matthes ist gelernter Banker – hat viel mit Immobilien zu tun. Als seine Frau 2017 verstirbt, entscheidet sich der heute 67-Jährige, das Geschäft weiterzuführen und seinen Beruf dafür aufzugeben. „Ich hatte eigentlich keine Wahl“, sagt er lächelnd. Damals wie heute verkauft Matthes regionale und hochwertige Lebensmittel. Doch seit Anfang des letzten Jahres bietet er auch regelmäßig Veranstaltungen an.
„Ich hatte immer eine Affinität zum Grillen“, sagt er. Die ersten Veranstaltungen sind Grillseminare. Die macht er bis heute mit einem Grillmeister zusammen. „Ich bin für die Logistik verantwortlich und er leitet das Seminar. Das wird sehr gut angenommen“, erzählt er. 20 Seminare pro Jahr bietet er als festen Termin, 30 bis 35 kommen als Firmenevents dazu. Konkurrenz gibt es keine: „Wir sind zwischen Köln und Winterberg die einzigen, die sowas anbieten. Teilweise kommen die Leute aus Gummersbach, Wissen oder Marburg zu uns.“
Kein Frühstück im Genußvoll in Netphen, dafür jede Menge Musik
Als Winfried Matthes mit den Grillseminaren anfängt, hat er noch keine Fläche eigens für Veranstaltungen in seinem Laden. Am Tag des Seminars muss er dann die Regale umräumen, um Platz zu schaffen. „Das war immer sehr viel Arbeit“, erklärt er. Darum entscheidet er sich Anfang des Jahres 2023 ,seinen Laden umzubauen. „Die Ladenfläche beschränkt sich jetzt auf den oberen Bereich und unten stehen Tische und Stühle für die Veranstaltungen“, erklärt der 67-Jährige. Außerdem baut er eine Küche ein. „Irgendwann habe ich dann aber gedacht: Jetzt hast du den Laden hier umgebaut, jetzt kannst du auch noch mehr daraus machen.“ Also fängt er an, sich verschiedene Veranstaltungen auszudenken – nicht alles funktioniert von Beginn an. „Ich wollte mal Frühstück anbieten, das lief allerdings überhaupt nicht gut. Den Kuchen, den ich dafür gekauft hatte, musste ich einfrieren – davon esse ich bis heute“, erzählt er lachend.
Mitten in Netphen: Feierabend mit Apéro im Liegestuhl
Was gut funktioniert, sind Musikveranstaltungen, die abends oder am Wochenende stattfinden. 70er, 80er oder 90-Partys, Rockveranstaltungen und viele andere Events richtet Winfried Matthes in seinem Laden aus. Außerdem gibt es regelmäßige Spieleabende, frische Waffeln und seit einiger Zeit auch den Apéro-Feierabendtreff, der jeden Mittwoch stattfindet. „Dafür stellen wir im Sommer Liegestühle vor das Haus, damit man den Feierabend in der Sonne genießen kann“, sagt der 67-Jährige. Seit diesem Jahr wird der Feierabendtreff durch selbstgebackene Pizza ergänzt. „Auf dem Streetfood-Markt in Unglinghausen habe ich Franco von Pizza-Zio kennengelernt. Wir haben über eine Zusammenarbeit gesprochen und jetzt gibt es bei uns jeden Mittwoch frische Pizza“, erklärt Winfried Matthes stolz. Zudem soll es in dem Laden in Netphen ein Pizza-Seminar geben, bei dem die Teilnehmer lernen, wie eine authentische neapolitanische Pizza zubereitet wird. „In der Branche ist es wichtig, sich ein Netzwerk aufzubauen und eine gewisse Offenheit für neue Dinge mitzubringen“, erklärt Winfried Matthes. Als gebürtiger Rheinländer bringe er eine offene und kommunikative Art mit, sagt er.
Ins Siegerland kam Winfried Matthes damals vor allem wegen seiner Frau: „Sie war gebürtige Siegerländerin und wollte gerne in der Heimat bleiben. Und ich fand es geil hier“, erzählt er. Doch mit dem Standort Netphen hadert er seit einiger Zeit. Vor seinem Umzug nach Siegen hat er selbst einige Jahre in Netphen gelebt, heute ist die Stadt nur noch die Heimat seines Ladens. „Die Stadt stirbt, junge Menschen haben hier einfach keine Heimat mehr“, sagt er. Das hat aus seiner Sicht unterschiedliche Gründe. „Die Vereine und die Stadt machen leider nur noch wenig. Es fühlt sich niemand so richtig verantwortlich.“ Und dann gibt es noch die aufmerksamen Nachbarn, die bei vermeintlicher Lärmbelästigung direkt die Polizei rufen. „Die Wände hier im Laden sind top isoliert. Wir können hier problemlos laut Musik machen und draußen hört man davon kaum etwas. Trotzdem: Wenn es dem aufmerksamen Nachbarn nicht gefällt, hast du keine Chance“, sagt der 67-Jährige. Außerdem habe sich seit Corona der Netphener Wochenmarkt, der jeden Freitag stattfindet, stark verkleinert. „Der Markt ist nur noch halb so groß. Da kommen mir die Tränen, wenn ich das sehe.“
Mit Optimismus in die Netphener Zukunft: „Man kann etwas ändern“
Trotzdem blickt Winfried Matthes mit Optimismus in die Zukunft: „Wenn man immer aktiv bleibt, kann sich was ändern.“ Er selbst sei ein Workaholic, sagt er – immer wieder versucht er auch die anderen Ladeninhaber in Netphen anzustacheln. Das klappt auch, wie verschiedene zusammen organisierte Events der Läden zeigen. So gab es im November zur Vorweihnachtszeit den „Adventsbummel“ – einen kleinen Weihnachtsmarkt im Ortskern – bei dem unter anderem auch der Laden Heimeligmacher und die Oranientruhe mitmachten. „Die Stadt selbst legt einem da auch keine Steine in den Weg. Aber mir fehlt da die Eigeninitiative“, sagt er.
In Zukunft will Winfried Matthes noch mehr auf Musikveranstaltungen setzen – am liebsten soll es einmal im Monat eine geben. Die Musikrichtungen, die gespielt werden, variieren, sagt er, denn diese Events werden von allen gut angenommen. Der 67-Jährige bezeichnet sich selbst als leidenschaftlichen Konzertgänger. „Von ACDC bis Westernhagen habe ich alles schon live gesehen. Acht bis zehn Mal im Jahre gucke ich mir Konzerte an. Die Zeit nehme ich mir“, sagt er.
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Für sich selbst hat Winfried Matthes auch Zukunftspläne: „Vielleicht ein bisschen weniger arbeiten. 40-50 Stunden die Woche reichen vielleicht auch. Es müssen nicht immer 80 bis 90 Stunden sein.“ Während einer zweiwöchigen Corona-Erkrankung habe er gemerkt, dass seine Mitarbeiterinnen sehr verlässlich sind. „Die Bude läuft auch ohne mich“, sagt er grinsend. Die Verantwortung für seinen Laden komplett in andere Hände zu legen, ist allerdings erstmal keine Option: „So lange ich noch gesund bin, ziehe ich durch.“