Netphen. „Die Aufnahmekapazitäten sind in jeder Hinsicht erreicht“: Netphen steht mit dem Rücken zur Wand und versucht, das Schlimmste zu verhindern.

Direkt neben dem Spielplatz: Das werde nicht funktionieren. „Der Bühlgarten ist im Sommer immer rappelvoll“, sagt Frank Kretschmer. Er wohnt gleich oberhalb – und unmittelbar angrenzend eine Wohncontainer-Siedlung für Flüchtlinge? Halten sie, Kretschmer, Anna Hellmann und Muhammad Mustafa, für eine sehr schlechte Entscheidung des Rates der Stadt Netphen. Sie haben eine Petition gestartet und bereits einige hundert Unterschriften zusammen: Die Stadtverordneten sollen den Beschluss aufheben. Oder sich zumindest nochmal sehr gründlich mit den Container-Standorten im Stadtgebiet befassen.

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Es gibt schon mehrere Flüchtlingsunterkünfte in Deuz, zählt Anna Hellmann auf: In der Irle-Siedlung, neben der Sparkasse und im Hotel Fünf10. Netphen hat so viele Ortsteile – und immer gehe es bei diesem Thema, neben dem Hauptort, nur um Deuz. Als Hainchen in der Diskussion war, bekamen sie das im Ort mit und zogen zum Demonstrieren vors Rathaus. Der Rat knickte ein, entschied in geheimer Abstimmung für Deuz. „Ohne mal anzufragen oder mit irgendjemandem zu reden“: Auch Frank Kretschmer ist alles andere begeistert, nach der Sitzung vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein. Daher nun die Unterschriftenlisten, „wir wollen, dass sich der Rat bewegt“, sagt er.

Anwohner: Nicht noch eine weitere Flüchtlings-Unterkunft in Netphen-Deuz

Es gehe doch gar nicht darum, dass Ausländer im Ort untergebracht werden. Dagegen habe man doch gar nichts, sagt Frank Kretschmer, „ist doch eine Scheißsituation für alle“. Aber gegen eine weitere Unterkunft im Ort und dann ausgerechnet auf dem ehemaligen Lokschuppen-Gelände, neben dem neuen Spielplatz, der von Ehrenamtlichen gepflegt und instandgehalten wird. „Man kann den Leuten auch nicht verübeln, dass sie bei schönem Wetter nicht im Container sitzen wollen“, sagt Anna Hellmann. Also würden sie sich natürlich im Bühlgarten aufhalten und das könne zu Problemen führen, weiß Muhammad Mustafa. Er hat selbst eine Fluchtgeschichte, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, könne das eben zu Irritationen, Missverständnissen, Unbehagen führen. „Wir wollen unsere Kinder weiter in Ruhe auf den Spielplatz schicken können“, sagt er.

Frank Kretschmer, Anna Hellmann und Muhammad Mustafa (von links) haben eine Petition an den Rat der Stadt Netphen gestartet.
Frank Kretschmer, Anna Hellmann und Muhammad Mustafa (von links) haben eine Petition an den Rat der Stadt Netphen gestartet. © WP | Hendrik Schulz

Bürgermeister Paul Wagener kann das gut verstehen. Den Unmut über Containeranlagen allgemein und dass Deuz vom Rat „überfahren“ wurde. Die Stadtverwaltung hatte eigentlich bestimmte Kriterien für Standorte angelegt: Eigene Grundstücke sollten es sein, baurechtlich keine Probleme, erschließbar und ausreichend gute Anbindung an den Busverkehr. Dieses „Raster“ wurde übers ganze Stadtgebiet gelegt, erklärt der Bürgermeister, von geeignet bis ungeeignet Flächen identifiziert. Deuz war nicht dabei.

Bürgermeister Paul Wagener: Netphener Rat hat mit einer „gewissen Willkür“ entschieden

Der Rat setzte dann weitere Kriterien an: Nicht in einem reinen Wohngebiet und nicht in der Nähe von Spiel- oder Bolzplätzen. Auf den Druck aus Hainchen hin – genau in einem solchen Umfeld wären Container vorgesehen gewesen – wurden die Kriterien hier angewendet. Aber nicht in Deuz. Und auch nicht in der Schmellenbach, wo der Fußballplatz ist und wo die Erschließung überdies enorm teuer sei. „Da ist nichts“, sagt Paul Wagener – für Strom, Wasser, Abwasser müssten Leitungen aufwendig verlegt werden. Aber erst, wenn das unebene Gelände planiert ist, denn sonst lässt sich da kein Container aufstellen. Das sei Ratsbeschluss und für die Verwaltung bindend. (siehe Infobox)

Ich habe Verständnis für die Anwohner. Aber egal, wo wir die Container errichten, sie sind dort nicht erwünscht.
Paul Wagener - Bürgermeister

Alternative zur Schmellenbach

Wie berichtet hat die Stadt gute Aussichten für eine Alternative zur teuren und aufwendigen Schmellenbach. Der Verwaltung wurde ein Grundstück im Gewerbegebiet Altwiese, an der B 62 in Richtung Eschenbach, neben dem städtischen Baubetriebshof, zur Pacht angeboten. Dort wäre die Erschließung für die Wohncontainer bereits gesichert, was die Kosten erheblich reduzieren würde. In diesem Fall könnten die Standort-Kriterien auch wieder angewandt werden: Keine Übergangsunterkünfte in der Nähe von Sportplätzen.

„Ich habe Verständnis für die Anwohner“, sagt Paul Wagener im Gespräch. Und verweist auf gesetzliche Zwänge: Die Kommune sei das letzte Glied in der Kette, habe auszuführen, was angeordnet wird, bekomme aber Probleme und Unmut der Bevölkerung ab. Im Fall Deuz sei sicher auch eine gewisse Willkür dabei: Wären die Kriterien objektiv und konsequent angewendet worden, „dann hätte Deuz nicht gemacht werden dürfen“, so Wageners Einschätzung.

„Man kann den Leuten auch nicht verübeln, dass sie bei schönem Wetter nicht im Container sitzen wollen.
Anna Hellmann - Anwohnerin

„Egal, wo wir die Container errichten, sie sind dort nicht erwünscht“, so der Bürgermeister. Alle Kommunen hätten nicht mehr zu entscheiden ob sie aufgenommen, sondern nur noch wo Flüchtlinge untergebracht werden können, idealerweise möglichst „reibungsfrei“. Die Gemeinschaftsunterkünfte: In Netphen alle voll. „Die Aufnahmekapazitäten sind in jeder Hinsicht erreicht.“ Wenn auf einmal ein Bus mit 40 Leuten vorfahren würde, müsste die Georg-Heimann-Halle, derzeit auf Stand-by, wieder in Beschlag genommen werden. Und womöglich auch noch andere Hallen. Zumindest dann, wenn am Bühlgarten keine Container errichtet werden.

Der Stadt Netphen sind die Hände gebunden: Sie muss Flüchtlinge aufnehmen und unterbringen

Gleichwohl habe die Kommune Vorsorge zu treffen; nutze alle Möglichkeiten aus, bevor im schlimmsten Fall Wohnungen oder Schützen- und Bürgerhäuser beschlagnahmt werden müssen, erläutert Wagener. „Das will doch keiner“ – aber denkbar wäre es. Die Stadt könne sogar dazu verpflichtet werden, Menschen im Rathaus unterzubringen. „Wir wollen die Leute doch vernünftig unterbringen“, sagt er, mit einem gewissen Mindeststandard, wenigstens etwas Privatsphäre.

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Jede Woche kämen etwa sechs Männer im Alter zwischen 18 und 45 Jahren nach Netphen, „jede Woche!“, betont der Verwaltungschef. „Wir bringen sie dezentral unter, so gut es geht“, da zu werde auch „nachverdichtet“, aber es gelte auch die Probleme im alltäglichen Zusammenleben zu berücksichtigen. Etwa 600 Geflüchtete müsse die Stadt Netphen aktuell unterbringen und in jeder Hinsicht versorgen.