Siegen. Polizei macht bei Bauern-Protesten in Siegen ihren - gefährlichen - Job, stoppt Traktorfahrer, der über die Stränge schlägt. Und wird angefeindet
Bis auf einen Ausreißer waren die Groß-Proteste der Landwirtschaft am 29. Dezember in Siegen friedlich. Der eine Mann, der sich gründlich daneben benommen hat, überschattet die Diskussion um die Proteste. Denn auch die Siegener Polizei ist in den Fokus von Online-Hetzern geraten, die die Demos für ihre Zwecke instrumentalisieren wollen. Wie berichtet hatte an diesem Freitag ein Landwirt eine Absperrung und eine Hecke im Leimbachtal durchbrochen, sich den Anordnungen der Polizei widersetzt und durch ruppige Fahrmanöver Beamte gefährdet, bis er schließlich gewaltsam aus seinem Traktor geholt wurde. Wie sich zeigte, stand der Mann unter Alkoholeinfluss.
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Auf Social Media wird die Polizei seither angefeindet. Laut vieler dieser Profile eher nicht von Landwirten und eher nicht von Menschen aus der Region, sondern von anonymen sogenannten „Trollen“ von irgendwo. Sie versuchen, den Mann zu einer Art Held, seine Handlungen als gerechtfertigt oder gar mutig zu verklären, die Maßnahmen der Polizei als nicht legitim und unprofessionell.
Das ist geschehen: Auf dem Weg zu Bauern-Protesten in Siegen wird Trecker-Fahrer rabiat
Ein Video des Vorfalls verbreitete sich noch am 29. Dezember in Windeseile und erklärt sich im Grunde selbst. Zu sehen ist der Traktor, der am Kreisverkehr zu den Gewerbegebieten im Leimbachtal an einer Polizeiabsperrung vorbeifährt und eine Hecke niederwalzt. Ein Streifenwagen fährt vor, schneidet dem Treckerfahrer den Weg ab, er versucht mehrfach daran vorbeizufahren, das Polizeiauto blockiert immer wieder den Weg. Ein Beamter klettert schließlich hoch zum Führerhaus, der Fahrer ruckt an, der Beamte stürzt zu Boden. Erneut springen Polizisten auf, öffnen die Kabinentür – nicht mehr auf dem Video zu sehen ist, wie die Einsatzkräfte den Fahrer schließlich mit Hilfe von Pfefferspray überwältigen und aus dem Traktor holen.
Wie kam es zu dieser Situation? Die Groß-Demo in Siegen hatte mehrere Anmelder; Traktoren fuhren in Konvois aus mehreren Richtungen in die Innenstadt. Bereits das war Teil der Kundgebung. In Absprache mit den Veranstaltern sorgte die Polizei dafür, dass trotz der erheblichen Verkehrsbehinderungen Rettungswege freigehalten wurden, dass sich die Konvois in der Stadt nicht begegneten, um den völligen Kollaps zu verhindern. Dazu gehörte auch, dass vor den Toren der Innenstadt Abstellplätze für die Traktoren und Lkw eingerichtet waren, um dann mit eigens bestellten Zusatzbussen oder auch zu Fuß zur Abschlusskundgebung zu gelangen, was mit den Fahrzeugen nicht mehr geklappt hätte. Die Stellflächen waren schnell voll, auch die Leimbachstraße selbst diente daher als Parkfläche.
In dieser Situation kam der junge Traktorfahrer aus Hessen mit einer Kolonne aus Wilnsdorf vor Ort an; der Rückstau war bereits etliche Kilometer lang. Er habe von vornherein signalisiert, dass er die Anweisungen der Polizei ignorieren werde, heißt es von der Behörde. Nach dem Motto „mir doch egal, ich habe einen Trecker, ich komme schon da runter“ versuchte er sich den Weg freizufahren – und wurde von Einsatzkräften gestoppt. Freiwillig wollte er seinen Traktor nicht verlassen, letztlich wurde er gewaltsam herausgeholt. Beim Atemalkoholtest wurde ein für den Straßenverkehr relevanter Wert gemessen – die genaue Zahl nennt die Polizei nicht. Die Staatsanwaltschaft ordnete eine Blutprobe an, deren Wert wenig später die erste Messung bestätigte, wie Polizei-Pressesprecher Stefan Pusch auf Anfrage mitteilt. Das Ergebnis liege nun vor.
Siegener Polizeibeamte hätten buchstäblich unter Räder kommen können - Gefährliche Situation
Ebenfalls auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurde der Führerschein des Mannes sichergestellt, nun muss ein Richter das Verhalten des Mannes bewerten. Die Vorwürfe: Straßenverkehrsgefährdung, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, womöglich tätlicher Angriff auf Polizeibeamte. Bei der strafrechtlichen Bewertung spielt auch die Alkoholisierung des Mannes eine Rolle.
Es steht völlig außer Frage: Die Polizei muss durchsetzen, dass sich alle Versammlungsteilnehmer an die mit den Veranstaltern abgestimmten Maßnahmen halten. Dabei zusehen, wie ein PS-starkes Gefährt die Absperrung durchbricht und weiter in die überfüllte Innenstadt fährt, war jedenfalls keine Option, zumal nicht mit einem alkoholisierten Fahrer. Allein das ruckartige Vor- und Zurückfahren, Absicht oder nicht, war eine erhebliche Gefährdung, so Stefan Pusch: „Wir sind hier nicht bei ‚Wetten dass...?!‘“ – die Traktorreifen sind riesig, mehr als mannshoch, der Fahrer rangierte nur wenige Zentimeter vor Streifenwagen und Polizeipersonal. „Ob er das alles im Blick hatte, ist mehr als fraglich.“ Die Beamten hätten buchstäblich unter die Räder kommen können; die Polizei musste den Mann stoppen, um weitere Gefährdungen zu verhindern. Der Versuch der Polizei, die Situation friedlich zu beruhigen, scheiterte, also griff sie zu gewaltsameren Maßnahmen. Dafür ist die Polizei da.
Die Hetze: Betrunkener Trecker-Fahrer war gar nicht betrunken, habe in Siegen „mutig gehandelt“
Rechtsextreme, Demokratiefeinde und Wirrköpfe versuchen, den Schwung der Bauern-Proteste für ihre Zwecke zu nutzen – auch diese Situation. Auf Social Media wird von an den Haaren herbeigezogenen Verschwörungserzählungen geschwafelt, dass der Treckerfahrer „mutig“ gehandelt habe, um „die Bürger“ „wach zu machen“. Der Staatsmacht wird bei der Gelegenheit gleich die Legitimation abgesprochen, schließlich sei die Demonstration ja angemeldet gewesen – als ob schon das in Kombination mit einem großen Fahrzeug reicht, um keinerlei Regeln mehr befolgen zu müssen. Auf den Social-Media-Profilen der Kreispolizeibehörde tummeln sich in der Anonymität des Internets diejenigen, die den betrunkenen Treckerfahrer und sein gefährliches Verhalten feiern. Im Grunde, so wird dort versucht zu erzählen, habe er alles richtig gemacht und die „böse“ Polizei alles falsch.
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Der Einsatz von Pfefferspray, auch mehrfach behauptet, sei übertrieben und unangemessen gewesen. Ohnehin habe der Beamte, der zum Führerhaus hochkletterte, waghalsig und vorschriftswidrig gehandelt, „wohl zu viele Actionfilme geschaut“. Die Polizei habe den Mann „provoziert“ (weil sie keine Fahrzeuge mehr durchließ, damit Rettungskräfte weiter Menschen helfen können) und er sei auch gar nicht betrunken gewesen – oder jedenfalls nicht genug. Denn schließlich habe niemand das Ergebnis der Blutprobe gesehen. „Es war nicht unter 0,5 Promille. Und damit definitiv zu viel, um mit einem 300-PS-Trecker an einer Demo teilzunehmen“, sah sich die Behörde genötigt, unter entsprechenden Kommentaren klarzustellen.
Und, auch ein beliebter Vorwurf, wenn die Fakten nicht zu dem passen, was das eigene Weltbild aber unbedingt hergeben soll: Die Medien hätten natürlich falsch berichtet. Dem hatte sich nach einem vielfach geteilten entsprechenden Verschwörungs-Post schon der Siegener Radiojounalist Tom Schirmer öffentlich entgegengestellt. Von wegen man berichte etwas absichtlich nicht. „Glaubt ihr diesen Scheiß wirklich? Ich bin genauso einer von euch. Ich bezahle auch mehr an der Tanke. Ich bezahle auch mehr fürs Restaurant. Ich habe deshalb nicht mehr Geld in der Tasche. Im Gegenteil. Mein Lohn ist seit Jahren unverändert und beim Lokalradio wird keiner reich.“
Manche Online-Hetzer wünschen Siegener Polizisten den Tod
Die Lust mancher Leute an Online-Hass und -Hetze entlädt sich auch in diesem Fall nicht nur in maßlosen Übertreibungen, wahrheitswidrigen und teils schlicht blödsinnigen Behauptungen, was die Polizei dürfe und was nicht und wie sie sich besser verhalten hätte. Sondern auch in übelsten Beleidigungen und widerwärtigen Mordfantasien. Nach der Art „Schade, dass der Kollege nicht totgefahren wurde“, berichtet Stefan Pusch. Auch unterschwellige Drohungen, dass „die Bauern“ auch ganz anders könnten.
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Interessant auch, dass manche der Polizei als staatlicher Exekutivgewalt allen Ernstes vorwerfen, „Order von oben“ bekommen zu haben, anstatt mal lieber hinter „dem Volk“ zu stehen. „Uns als Polizei ist der friedliche Verlauf einer Versammlung auch ein großes Anliegen“, antwortet die Behörde auf einen dieser Vorwürfe. „Wenn sich jemand allerdings polizeilichen Maßnahmen widersetzt, sich alkoholisiert in einen Trecker setzt und möglicherweise mit seinem Verhalten noch Menschenleben in Gefahr bringt, dann gibt es absolut keinen Anlass, dieses Verhalten zu loben oder als mutig darzustellen, wie es in vielen anderen Kommentaren der Fall war.“
Dem ist nichts weiter hinzuzufügen.