Siegen. Nur in Siegen haben Geflüchtete ein Angebot für Therapie und Beratung. Das müssen die Träger nach dem Beschluss des Kreistags nun aufgeben.

Das Psychosoziale Zentrum für Geflüchtete (PSZ) steht vor der Schließung. Der Vorstand des AWO-Kreisverbandes hat beschlossen, sich von nicht auskömmlich finanzierten Migrationsdiensten zu trennen. „Diese Entscheidung ist uns immens schwer gefallen, weil wir seit über 50 Jahren Migrationssozialarbeit in der Region leisten“, sagt AWO-Kreisvorsitzender Karl-Ludwig Völkel, „wenn sich der Kreis nicht an der Finanzierung des Angebotes beteiligt, müssen wir als Träger aussteigen.“

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Dieser Ausstieg ist seit Freitag absehbar, nachdem der Kreistag es mit 24 gegen 24 Stimmen abgelehnt hat, mit einem Zuschuss von 72.700 Euro einzuspringen. „Wir können das auf keinen Fall allein weiterbetreiben“, sagt Michael Groß, Geschäftsführer des Vereins für soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS), der das psychosoziale Zentrum gemeinsam mit der AWO betreibt. Die AWO , die mit zweieinhalb Personalstellen beteiligt ist, müsste im nächsten Jahr ein Defizit von 58.200 Euro betreiben, der VAKS mit einer Stelle müsste 14.500 Euro aufbringen. Bei der AWO sind die psychologisch-therapeutischen Fachkräfte angestellt, beim VAKS die pädagogischen Fachkräfte.

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Trauma nach Krieg, Flucht und Folter

Pro Jahr, so gibt Matthias Hess, Abteilungsleiter bei der AWO, an, werde das PSZ von ungefähr 100 Klienten aufgesucht. „Die Klienten sind aufgrund ihrer Kriegs-, Flucht- und Foltererfahrungen zumeist komplex traumatisiert und leiden schon sehr lange unter ihren Symptomen.“ Die gesamte Behandlung nach Anamnese und Diagnostik dauere bis zu zwei Jahre. Aktuell werden in der seit 2016 bestehenden Einrichtung vor allem meist traumatisierte Klienten aus Afghanistan (20 Prozent), dem Iran (16 Prozent) und der Ukraine (11 Prozent) behandelt. 15 Prozent sind Kinder und Jugendliche. Die Besonderheit: Für die Geflüchteten ist das Angebot kostenfrei, für den Zugang müssen sie keinen gesicherten Aufenthaltsstatus nachweisen.

Der Zugang für Geflüchtete in das reguläre Gesundheitssystem ist oftmals verschlossen oder erschwert.
Matthias Hess - AWO

Das von Siegen aus nächstgelegene PSZ wäre Lüdenscheid. Vor 2016 hätten die Betroffenen sogar nach Köln oder Düsseldorf fahren müssen. „Das war schlicht nicht möglich“, erinnert Michael Groß. Ebenso schwierig war der Verweis auf Therapeuten in der Region. Auch diese seien zum einen überlastet, zum anderen lehnten sie es schon aus fachlichen Erwägungen ab, mit den Ratsuchenden über Dolmetscher zu kommunizieren. „Die Leute fallen in ein Loch“, sagt Michael Groß. Denn, so bestätigt Matthias Hess: „Der Zugang für Geflüchtete in das reguläre Gesundheitssystem ist oftmals verschlossen oder erschwert.“

Wenn sich der Kreis nicht an der Finanzierung des Angebotes beteiligt, müssen wir als Träger aussteigen.
Karl-Ludwig Völkel - AWO

Entstanden ist die Finanzlücke durch gestiegene Sachkosten, reduzierte Fördersätze und die ab Januar umzusetzende Tariferhöhung im öffentlichen Dienst. Dabei sind die vom Land an die Träger bezahlten Förderbeträge gleich hoch geblieben. Dass sich das Land doch noch für eine höhere Unterstützungsleistung entscheidet, hält AWO-Abteilungsleiter Matthias Hess für unwahrscheinlich: „Für 2024 ist aktuell auch nicht mit einer Anpassung der Fördersätze zu rechnen.“ „Die Schere geht immer weiter auseinander“, fürchtet Michael Groß. Eine Entwicklung, die dadurch zustande komme, weil Einrichtungen nicht von Land und Kommunen gemeinsam gefördert werden - was dazu führt, dass Kreis oder Stadt das Land als den Verursacher von Kosten ausmachen, die sie nicht übernehmen wollen. „Überall trifft man auf dieselbe Haltung.“

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Weitere Einrichtungen im Bestand bedroht

Dabei sei das psychosoziale Zentrum nicht die einzige Einrichtung, der die Schließung drohe: „Ein ähnliches Finanzszenario liegt auch bei den Integrationsagenturen und den Migrationsberatungsstellen vor“, ergänzt Matthias Hess. Auch hier würden zusätzliche Mittel benötigt, um die Einrichtungen aufrechterhalten zu können. „Es trifft das ganze Programm“, sagt Michael Groß. Das wird unter dem Titel „Förderung der sozialen Beratung von Geflüchteten in NRW“ geführt. Der VAKS hat als Träger regionale Flüchtlingsberatungen in Siegen, Kreuztal, Neunkirchen und Bad Laasphe übernommen, außerdem die Fachstelle für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und die Ausreise- und Perspektivberatung.

Wir stehen unter unglaublichem Zeitdruck.
Michael Groß - VAKS

„Man kann darüber streiten, wie dicht das Netzwerk sein muss“, sagt VAKS-Geschäftsführer Michael Groß - es müssten dann aber erreichbare Alternativen angeboten werden können. „Das ist beim PSZ völlig anders.“ Erschwerend komme nun hinzu, dass den Trägern nach der Absage des Kreises kaum mehr Zeit bleibe, sich nach weiteren Geldgebern umzusehen: „Wir stehen unter unglaublichem Zeitdruck.“

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