Wilnsdorf. In einer Mammut-Sondersitzung hat der Rat am Samstag Standorte für Wohncontainer festgelegt. 300 Wilnsdorfer verfolgen die Debatte.
Die große zweigeschossige Wohncontaineranlage für Geflüchtete wird aufgeteilt. Die eine eingeschossige Anlage mit 46 Wohnplätzen kommt nach Rudersdorf, die andere nach Oberdielfen oder Wilgersdorf. Das hat der Rat am Samstag in einer Sondersitzung beschlossen.
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Die Verwaltung war wohlweislich vom Ratssaal auf die Festhalle ausgewichen. Nachdem am letzten Wochenende der nicht öffentlich gefasste Beschluss des Hauptausschusses die Runde gemacht hatte, Wohncontainer für 92 Personen auf dem alten Wilgersdorfer Sportplatz aufzustellen, war das Interesse der Bürgerinnen und Bürger riesig. Schon lange vor 10 Uhr wurden immer wieder neue Stühle herbeigeschafft, am Ende mussten trotzdem einige stehen. Sie alle sollten nicht auf ihre Kosten kommen. Gut drei Stunden hörten sie einer Grundsatzdebatte zu, über „Transparenz und diesen ganzen Blödsinn“, wie Gabriele Wagener (CDU) irgendwann einwarf. Die Auswahl zwischen den acht möglichen Standorten traf dann nämlich eine Runde der Fraktionsvorsitzenden in einer mehr als einstündigen Sitzungsunterbrechung.
Das fragen die Bürgerinnen und Bürger
Die Sitzung beginnt, wie jede, mit der Einwohnerfragestunde. Warum eigentlich im Kernort Wilnsdorf noch keine Flüchtlingsunterkunft stehe, will ein Anzhausener wissen: „Warum wird immer woanders gesucht?“ Eine Wilgersdorferin fragt, „wie Sie Sicherheit für Bürger und Kinder gewährleisten wollen“. Beigeordneter Johannes Schneider rät, die Menschen erst einmal ankommen zu lassen. „Bisher haben wir recht gute Erfahrungen gemacht. Es gibt ganz selten Vorfälle, die polizeilich begleitet werden müssen.“
Gefragt wird nach kirchlichen Immobilien. Die unbebauten Grundstücke seien zu klein, die Gebäude müssten umgebaut werden – nach einem Baugenehmigungsverfahren, für das keine Zeit mehr ist, antwortet Bürgermeister Hannes Gieseler. Am 4. Dezember werden die Container geliefert, deshalb die Eile und die Sondersitzung am Samstag. „Wir sind überrollt worden“, wird Gieseler später sagen. Dass die Einbindung der Bürgerschaft besser hätte laufen können, „den Schuh ziehe ich mir an.“ Ebenso selbstkritisch sollten aber auch andere ihre Äußerungen in Frage stellen, die in den letzten Tagen im Netz verbreitet wurden.
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Es geht um Integration. Darum, warum die Gemeinde sich nicht gegen die Zuweisung von Geflüchteten wehrt. Und wo das alles enden soll. „Wenn alle nach Deutschland kommen, kippt die Erde um“, fürchtet ein Wilgersdorfer. Zurückschicken geht nicht, erwidert der Bürgermeister. „Die stehen mit Rucksack und zwei Aldi-Tüten vorm Rathaus, da ist ihr ganzes Leben drin. Wir benutzen Menschen nicht als Waffen.“
So diskutiert der Gemeinderat
Bürgermeister Hannes Gieseler leitet ein, berichtet über Initiativen, Düsseldorf und Berlin zu einer anderen Migrationspolitik zu bewegen. „Auch ich mache mir Sorgen um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gemeinde.“ Er berichtet von Bemühungen, Häuser zu kaufen, in den Geflüchtete wohnen könnten. „Aber die aufgeheizte Stimmung hat uns schon manche Ankaufmöglichkeit zunichte gemacht.“
Dennis Schneider (CDU) äußert seinen Ärger über die Wilgersdorf-Entscheidung: „Man hätte die Bevölkerung mitnehmen müssen.“ Stefan Dohme (SPD) begrüßt die mögliche Verteilung der Container auf zwei Standorte: „Desto weniger Druck ist auf dem Kessel.“ Wichtig sei, dass Turnhallen und Bürgerhäuser nicht belegt werden müssten, sagt Dr. Andreas Weigel (BfW/FDP): „Wir brauchen diese Gebäude für Gemeinschaft und Sport.“ Ekkehard Blume (Grüne) fordert die menschenwürdige Unterbringung der Geflüchteten: „Sie können nichts dafür, dass Sie hier ankommen.“ Andreas Klein (WB) macht nicht mit: An der Belegung der Gebäude werde früher oder später kein Weg vorbeiführen. Der Bürgermeister und die Verwaltung mögen selbst die Standorte der Container festlegen. „Hierzu benötigen Sie keine politische Entscheidung des Rates, hinter der Sie sich dann verstecken können.“
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Peter Schimmeyer (SPD) berichtet aus Anzhausen, wo 41 Geflüchtete in der ehemaligen Grundschule wohnen. „Wir haben viel Zeit und Mühe investiert, es hat sich gelohnt“, sagt er und ruft zu ehrenamtlichem Einsatz an den künftigen Standorten auf: „Gehen Sie auf die Leute zu und helfen Sie, wo Sie können.“ Ähnlich äußert sich der Rinsdorfer Ortsvorsteher Frank Klein (SPD), auch dort ist das Bürgerhaus belegt, wo nun kein Oktoberfest mehr gefeiert werden könne. „Das hat uns nicht umgehauen.“
Anne Bender (BfW/FDP) regt an, „mit ein, zwei Bussen“ nach Düsseldorf zu fahren und dort „Unmut und Hilflosigkeit kund zu tun“. Gabriele Wagener (CDU) geht den Bürgermeister an. Der habe die nicht öffentlich gefasste Wilgersdorf-Entscheidung öffentlich gemacht und damit den Rat unter Zugzwang gesetzt. Den Hinweis, dass ein Staatskommissar anstelle des Gemeinderates über die Unterbringung der Geflüchteten entscheiden könne und der dann wohl die Turnhallen belegen würde, weist sie zurück. Ebenso die Erinnerung an den Beschluss des Hauptausschusses: Wenn der Rat nichts entscheidet, bleibt es beim Sportplatz Wilgersdorf, „Wir lassen uns nicht erpressen.“
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Der Wilgersdorfer Michael Mockenhaupt (CDU) wundert sich: „Wir wollten die Kirmes auf den Sportplatz holen.“ Das sei mit Verweis auf das von der Grube Neue Hoffnung „völlig unterhöhlte“ Gelände von der Verwaltung zurückgewiesen worden. „Und jetzt sollen da 165 Tonnen schwere Container aufgestellt werden?“ Es geht auf 13 Uhr zu, Bernd Danzenbächer (CDU) zeigt Mitleid mit dem Bürgermeister. „Manchmal habe ich den Eindruck, du bist hier die ärmste Sau.“
So fällt die Entscheidung
Präferenzen für einen oder zwei der vorgeschlagenen acht Standorte hat bis jetzt niemand geäußert. Angedeutet wird gelegentlich, dass zunächst die Ortsteile an der Reihe sein sollten, in denen es noch keine Gemeinschaftsunterkünfte gibt. Das wären Rudersdorf und Oberdielfen. Und Flammersdorf und Wilnsdorf, für die es aber keine Vorschläge gibt. Und Wilgersdorf – obwohl von dort auf den verloren gegangenen Dorfplatz hingewiesen wird, auf dem Neubauten für Aussiedler errichtet wurden. Um 13.15 Uhr unterbricht Hannes Gieseler die Sitzung, nicht für zehn, sondern auf Wunsch der CDU für 15 Minuten.
Eine gute halbe Stunde vergeht, bis SPD, BfW/FDP und Grüne wieder im Ratssaal blicken lassen. Die CDU kommt noch lange nicht. Es wird eng: Bei SPD und Grünen fehlt je ein Ratsmitglied, bei der CDU auch. Wenn„Wir Bürger“ sich auf die Seite der CDU schlagen würde, steht es 16:16. Damit würde alles abgelehnt. Es ist 14.20 Uhr, als dem Bürgermeister der gemeinsam von allen Fraktionsvorsitzenden eingebrachte Beschlussvorschlag vorgelegt wird. Rudersdorf soll es werden, ein Grundstück im Gewerbegebiet Auf der Struth oder, wenn das nicht geht, der ehemalige Wohncontainerstandort in der Wiesenstraße. Und der Parkplatz des Naturschutzgebietes Grube Neue Hoffnung in Wilgersdorf, unweit des alten Sportplatzes. Aber nur, wenn das Bergamt bis Dienstag grünes Licht gibt. Sonst kommen die Container nach Oberdielfen an die Landstraße, wo schon einmal eine Notunterkunft war. Der Standort wird sicherheitshalber sofort hergerichtet.
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Es wird abgestimmt. Bei zwei Gegenstimmen von WB gibt es eine sehr große Mehrheit für Rudersdorf. Bei dem Wilgersdorf/Oberdielfener Standort sind die beiden WBler dagegen, die 14 CDU-Ratsmitglieder enthalten sich der Stimme. Das Publikum, das nach einer Stunde Zwangspause noch ausharrt, könnte nun vermuten, dass es in der CDU-Fraktion kontrovers zugegangen sein muss, wenn noch nicht einmal der Fraktionschef dem von ihm mit eingebrachten Antrag zustimmt. Könnte, weil man weiß es ja nicht. Auch samstags hat die Transparenz Grenzen. Die Festhalle leert sich ganz schnell.
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