Siegerland. Priester hat ihren Mann sexuell missbraucht, sein Leben, ihre Ehe zerstört. „Es hat ihn kaputtgemacht“, so die Witwe. Nun liegt sie im Sterben.
Sie hätten eine Traum-Ehe gehabt, bestimmt. „Unser Leben sollte eigentlich schöner sein.“ Wenn da dieser Priester nicht gewesen wäre. Sie hat ihn nie kennengelernt. Sie weiß nur, was er ihrem Mann angetan hat, ungefähr zumindest. Vor vielen Jahren, als er 13 oder 14 war und im Schlafsaal eines Ordensinternats im Rheinland lag. Ihr Mann hat sich ihr nur einmal anvertraut, nach jahrzehntelanger Ehe, in der sie immer das Gefühl hatte: Da stimmt etwas nicht.
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„Er hat es nie verwunden“, sagt sie, nun, da sie selbst auf den Tod wartet. Was der Kirchenmann ihrem Gatten angetan hat, hat er in gewisser Weise auch ihr angetan. Sie heiratete einen Gequälten, Getriebenen und konnte Jahrzehnte nicht verstehen, was mit ihm eigentlich los war. „Ich hatte einen Mann, der alles gemacht hat“, erinnert sie sich heute. Nie habe er Nein zu ihr gesagt. Er war ein guter Mann, das betont und versichert sie mehrfach. Er konnte ja auch nichts dafür, dass ein Priester ihn verkorkst hat. Zumindest mal für die Ehe. „Ich war gebettet und trotzdem alles scheiße.“ Sie hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen und das tut sie jetzt erst recht nicht, da sie nicht mehr lange zu leben hat. Dass sie überhaupt noch lebt, liege vielleicht an ihrem Dickschädel, sagt sie und ihre Augen funkeln herausfordernd.
Geboren in fromme katholische Siegener Familien – Kirche hat Macht bis ins Ehebett
Beide wurden in fromme katholische Familien geboren. Familien, in denen die Kirche Macht hatte, bis in die Details des Alltags – bis ins Ehebett. Sie wusste ja selbst nichts vom Kinderkriegen, als junge Frau, sagt sie. „Licht aus und los.“ Er war ihr eher ein guter Freund, weniger ein Ehemann. „Er konnte nichts dazu. Aber es quält mich heute fürchterlich.“ Sie hingen aneinander. „Aber unser Eheleben war grausam. Er hatte Berührungsängste.“
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Ihr Mann war engagiert, in zig Vereinen, und beliebt. Immer unterwegs, werktags und am Wochenende. Sie war viel allein. „Er lief irgendwie immer weg vor irgendwas“, das hatte sie bald gemerkt. „Es war zum Teil sehr schwer.“ Sie forschte nach: Warum meidet er mich eigentlich? „Aber ich kam nicht drauf. Er war immer unruhig, hat nirgendwo Ruhe gefunden“. Ihr wich er aus. Sie akzeptierte das, irgendwann, schuf sich ein eigenes, selbstbestimmtes Leben. Das Gefühl blieb: „da stimmt was nicht mit ihm“.
Irgendwann, da waren die Kinder schon aus dem Haus, sagte er beiläufig so etwas wie „Ich sollte ja Priester werden.“ Da machte es bei ihr „Klick“. Er war schon auf dem Sprung, sie hielt ihn auf: „Du bleibst jetzt hier, jetzt reden wir darüber: Ist daraus das Leben entstanden, das wir führen?“ Er erzählte dann stotternd, was passiert ist. In groben Zügen zumindest. In dem Internat im Rheinland bei Bonn. In dem Schlafsaal, in dem die Jungen untergebracht waren. Und auch ein Priester.
Sie hat ihren Glauben an die Kirche schon als junge Frau in Siegen verloren
„Missbrauch“. Das Wort vermag Brutalität und Grausamkeit hinter den Tat nicht zu beschreiben. Taten, wie diese, die die Seelen junger Menschen für ihr ganzes Leben schwer und schwer heilbar verletzten. Dieser Redaktionen liegen Schilderungen von Details vor, von brutalen Vergewaltigungen eines verunsicherten Heranwachsenden durch einen erwachsenen Mann. Der körperlich und geistig die Kontrolle über diesen jungen Menschen ausübt. Von einem Priester, einem Seelsorger, einem Hirten, der ein junges Opfer systematisch foltert, es nachher zum Schweigen bringt. Im Namen des Herrn.
Es war heraus. Sie wusste endlich, was mit ihm los war. Wenigstens ungefähr. Er wollte, konnte nicht mehr erzählen, ging dann weg, wieder einmal. „Er hielt es nicht mehr aus.“ Sie hätten immer über alles gesprochen, sagt sie. Aber darüber nicht – nur dieses eine Mal. „Sie haben ihn kaputtgemacht und trotzdem zog es ihn immer wieder in die Kirche.“ Sie selbst hatte den Glauben an die Institution da schon längst verloren.
Sie rief das Erzbistum an. Ihr Mann sei früher von einem Priester missbraucht worden, sagte sie. Ein Pater kam zu ihnen nach Hause, der den Fall aufnehmen und untersuchen sollte, genau weiß sie das bis heute nicht. Aus Paderborn wurde der Geistliche nicht geschickt, so das Erzbistum auf Anfrage – der Vorwurf beziehe sich auf eine Ordensgemeinschaft und ein Geschehen außerhalb des Erzbistums Paderborn.
„Das war das allerschrecklichste, was passieren konnte“, sagt die gebürtige Siegenerin
Vier Mal sei der Pater gekommen, „für nichts und wieder nichts“, sagt die Witwe. Sie hätte zumindest damit gerechnet dass er sich entschuldigt, stellvertretend. Tat er nicht. „Eine bodenlose Frechheit“. Ihr Mann ging immer raus, wenn der Pater kam. „Er konnte es nicht ertragen.“ Sie erfuhr dann auch, wer der Täter war. Der wurde identifiziert und nach Kanada versetzt. „Abgeschoben“, sagt sie. Irgendwann ging beim Bistum niemand mehr ans Telefon. „Ich hätte gerne gewusst, wie es weitergeht. Aber es hat sie nie je wieder gemeldet.“ Laut Erzbistum habe der Interventionsbeauftragte Anfang 2023 Kenntnis von dem Fall erlangt und daraufhin Kontakt zu ihr hergestellt.
Dann versuchte er das erste Mal, sich umzubringen. „Ich hab’ nichts ausgelassen im Leben“, sagt sie. Sie war an Krebs erkrankt, das nahm ihn sehr mit, „er hatte stets und ständig Angst, mich zu verlieren“. Als er sich das zweite Mal das Leben nehmen wollte, verhinderte sie das. Sie sagte es ihm auf den Kopf zu: „Du kannst gehen“. Er solle aber gründlich darüber nachdenken, ob er das wirklich tun wolle. Ob er ihr das auch noch antun wolle. Als er zurückkam, versprach er ihr: „Es wird nie wieder vorkommen.“
Danach, sagt sie, „war das Leben nur noch zum Brüllen“. Denn auch ihr Mann wurde nun sehr krank, auch Krebs, beiden ging es gleichzeitig sehr schlecht, sie konnten sich kaum helfen. Sie kämpften um ihr Leben, er verlor. „Das war das allerschrecklichste, was passieren konnte: Ich konnte nicht einmal ein vernünftiges Gespräch mit ihm führen.“
Missbrauch in Netphen: Betroffener hilft ihr zu verstehen, was mit ihrem Mann war
Sie war nun allein. „Ich hatte einen schrecklich guten Mann. Er fehlt mir natürlich.“ Dann fand sie Michael Schoppe. Noch eine gequälte Seele, noch einer, dessen Leben von einem Priester zerstört wurde. Als sich der heute 55-Jährige, der als Kind vom damaligen Netphener Pfarrer schwer sexuell missbraucht wurde, sich öffentlich traute zu erzählen, was ihm angetan wurde, ging sie hin. Zum „Netpher Dialog“, als es kurz so aussah, als würde sich die Kirche mehr um ihre Opfer kümmern als ihnen Geldzahlungen zuzubilligen. In ihm erkannte sie ihren Mann ein Stück weit wieder. „Er hilft mir zu verstehen, was mit ihm war.“ Und auch mit ihr. Vielleicht auch mit den anderen Angehörigen von Menschen, die Opfer eines Priesters wurden.
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Michael Schoppe wollte sie helfen bei seinem Kampf um Anerkennung seines Leids und deshalb erzählt sie die Geschichte ihrer Ehe, in der sie ungewollt zum Mit-Opfer wurde. Sie habe auch Anspruch auf Entschädigung, findet sie. „Allein für die Missachtung, die man zurückkriegt.“