Siegen. Das gemeinsame Singen und persönliche Tragödien führen Maggie Suttner und Michael Schumann zusammen – nach dem Ausstieg aus ihren Berufen.
Wenn Maggie Suttner und Michael Schumann nicht die Musik und besonders das Singen als gemeinsame Leidenschaft hätten, sich nicht im Langenauer Chor „Intermezzo“ begegnet wären, wären sie sicherlich heute kein Paar. So viel „hätte“ und „wäre“ in einem Satz bedeutet aber auch: Sie haben sich nicht gesucht, aber gefunden.
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Sie: Ein Siegerländer Kind, zweisprachig aufgewachsen – Platt spricht sie fließend
Margarete Suttner ist ein „Siegerländer Kind“ aus Nenkersdorf. „Zweisprachig aufgewachsen“, wie sie schmunzelnd erwähnt, was besagt, dass sie bis heute noch fließend Platt spricht. Nach der Volksschule in Grissenbach, damals einklassig, und der Realschule Netphen machte sie am Weidenauer FJM-Gymnasium Abitur – als erstes Mädchen im Oberen Siegtal. Willy Schütz, Kunstmaler und Lehrer am FJM, erkannte schon früh ihr künstlerisches Talent und schlug ihr vor, dieses Fach auch zu studieren. Margarete wollte, aber die Pläne ihres Vaters gingen mehr in Richtung Sekretärin.
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Vielleicht half auch der Hausbesuch von Willy Schütz in Nenkersdorf, den gestrengen Vater umzustimmen. Margarete, sie nannte sich seit einer Reise nach England „Maggie“, in Anlehnung an den gleichnamigen Hit von Rod Stewart, studierte ab 1972 in Siegen Kunst für Lehramt, dazu noch Deutsch und Hauswirtschaft, wählte also eine „sichere Variante“. Berufliche Stationen waren für 18 Jahre die Grundschulen Obernetphen und 16 Jahre die Grundschule in Niederdielfen, sie leitete daneben auch die Lehrerfortbildung „Kunst“ im Schulamt Siegen-Wittgenstein. Durch die beruflichen und familiären Herausforderungen als alleinerziehende Mutter ihrer Tochter Rike hatte Maggie Suttner noch keinen Platz für eigene Kunst. Wobei sie immer wieder auch ihre Leidenschaft für Fotografie in ihren Unterricht einbezog. Der frühe Tod von Rike im Jahr 1999 gehört zu den großen Tragödien in ihrem Leben.
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So wie für Michael Schumann der Tod seiner Frau Ingeborg. „Auch die gemeinsame Trauer hat uns zusammengebracht“, sagt er. Und das nach einem Leben von Verlusten von frühester Kindheit an: „Mein Vater hat mich kennengelernt, ich ihn aber nicht.“ Denn Michael war eines der vielen Kriegskinder, deren Vater bei irgendwelchen sinnlosen Schlachten sein Leben verlor. „Seine Briefe vor seinem Tod jedoch haben mir gezeigt, wie sehr er mich geliebt hat.“ Das Leben des im heutigen Tschechien geborenen Michael begann erst richtig, als er in den Westen gebracht wurde: „Mit dem Zug von Leipzig nach Düsseldorf und mit dem Schild um den Hals: Ich heiße Michael Schumann.“ Dort wohnte seine Tante, „die mich mit Malerei gefangen hat“.
Michael Schumanns zweite Liebe ist die Musik. Sein Großvater war Landesbischof, dem von seiner Kirche im fränkischen Feuchtwangen eine Wohnung zur Verfügung gestellt worden war. Dorthin zog auch Michael und besuchte das Internat in Windsbach, wurde in den Knabenchor aufgenommen: Ein Ensemble mit höchsten Ansprüchen. Die täglichen Proben wurden zur Pflicht, die großen Werke von Bach, Schütz, Reger… gingen ihm in Fleisch und Blut über. Und dabei streikte Michael. Nicht nur, dass er selbst manche Proben schwänzte; sondern auch, dass er Kameraden dazu anstiftete, „intelligent zu schwänzen“, also immer so, dass nie eine Probe ausfallen musste, weil eine Stimmlage komplett fehlte: Der Übeltäter war schnell gefunden. Michael wurde „rausgeschmissen“. Seine späte Erkenntnis: „Ich habe erst danach gemerkt, wie gut mir das Singen im Chor getan hat.“
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Nach seiner „roten Karte“ in Windsbach kam Michael Schumann zurück nach Feuchtwangen. Auf seinem täglichen Weg zu seiner neuen Schule in Dinkelsbühl lernte er seine spätere Frau Ingeborg kennen, die nach der Hochzeit zwei gemeinsamen Söhnen das Leben schenkte. In Feuchtwangen entdeckte Michael etwas neu, was ihm als kleiner Junge bei seiner Tante in Düsseldorf so viel Spaß gemacht hatte: Das Malen. Außerhalb des Ortes baute er gemeinsam mit einem Zimmermann eine Blockhütte, die ihm die Möglichkeit bot, seine Staffelei auf die Veranda zu stellen und Landschaften zu malen. Sein Vorbild: Die Impressionisten und vor allem Monet. Eines seiner ersten Bilder, ein Portrait seines Großvaters, dem Landesbischof, ziert heute das Atelier Michael Schumanns in seinem Haus „Am Schlossblick“ in Kaan-Marienborn.
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Vor allem aber: „Die Blockhütte war der Ort, wo ich ungestört war, mich frei fühlte.“ Beruflich wählte er dann, ebenso wie seine heutige Partnerin Maggie, den „sicheren Weg“. Und der hieß zunächst für ihn Studium der Theologie, „bis zum bitteren Ende“, wie er sagt. Denn sein damaliger Doktorvater weigerte sich, diese Aufgabe weiterhin einzunehmen, als er erfuhr, dass Michael Schumann in der 68er Bewegung aktiv war. Der Tipp eines Freundes: Geh nach Berlin zu Helmut Gollwitzer, einem liberalen Theologen. Auto gepackt, über Nacht mit Ingeborg nach Berlin gefahren, Gollwitzer getroffen, Doktorarbeit über Martin Niemöller geschrieben, durch neuen Studiengang einen Weg zur Sozialpädagogik gefunden, an der damaligen Gesamthochschule Siegen eine Professur für Erziehung mit dem Schwerpunkt „Außerschulische Bildungsarbeit“ erhalten: Das wurde Michael Schumanns weiterer Berufsweg in vier Jahrzehnten.
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Das Paar: Der Professor schreibt sich als Student ein und begegnet seiner neuen Liebe
Danach kommt wieder seine eigentliche Leidenschaft ins Spiel: Das Malen. Michael Schumann verschenkte nahezu alle Fachbücher seiner privaten Bibliothek, so um die 3000 mögen es gewesen sein, und verwandelte sein Arbeitszimmer in ein Atelier. Er schrieb sich als Gasthörer im Fachbereich Kunst an „seiner“ Uni Siegen ein, hatte dort 20 Semester lang eine gute Zeit, bei der er vieles lernte. Auch dass er runter von seinem Professoren-Thron musste. Ebenso wie seine Partnerin Maggie Suttner, nachdem sie nach 43 Jahren im Schuldienst in Pension ging. Sie hatte vor, ein Bummeljahr einzulegen. Doch daraus wurde nichts, als sie genau in dieser Zeit Michael begegnete und Zeit hatte, sich ganz ihrer Fotokunst zu widmen. Und eine Produzentengalerie zu gründen. Diese Möglichkeit ergab sich, als ein Mieter aus Michael Schumanns Haus auszog und damit dessen geräumige, lichtdurchflutete Wohnung frei wurde. Ihre Idee: Künstlern Ausstellungsmöglichkeiten zu geben, aber auch eigene Werke zu präsentieren. Bis zu sechs Ausstellungen im Jahr können sie so veranstalten. „Wir sind keine Galeristen“, sagen sie, die Künstler bestimmen selbst, was die Bilder kosten sollen. Aber: „Was immer wir ausstellen, muss Qualität haben.“ Und da das oft sehr unterschiedlich gesehen wird, gibt es ein Auswahlgremium, das die Entscheidung über die Ausstellungen trifft.
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Maggie Suttner und Michael Schumann leben zusammen, jeder aber hat seine eigene Wohnung. Maggie in Deuz, Michael in Kaan-Marienborn, Distanz 7,5 Kilometer. Ihre Selbstständigkeit ist ihnen wichtig. Ebenso wichtig ist ihnen, nicht „Künstler“ genannt zu werden. „Das sind Menschen, die von ihrer Kunst leben“, sagen sie, „wir nennen uns Kunstschaffende, aus Respekt vor den Künstlern.“ Auch da sind sich Maggie Suttner und Michael Schumann einig.