Siegen. Das Quartett aus Berlin begeistert in Siegen. Konzert und Show sind ein Gesamtkunstwerk. Apollo Vokal ist wieder da.
Als „Onair“ vor sieben Jahren erstmals im Apollo auftrat, galten die sechs Berliner als die neuen Fixsterne am deutschen A-Cappella-Himmel. Weitere Konzerte in der Kreuztaler Stadthalle und am Oberen Schloss folgten und einiges änderte sich: Sie sind, nachdem zwei Sänger ihren Abschied genommen haben, ein Quartett – und inzwischen weltbekannt, was ihre Tourneen in alle Erdteile eindrücklich zeigen. Onair ist also die Idealbesetzung für eine Wiederauferstehung der jahrelang so erfolgreichen Apollo-Vokal-Reihe.
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Mit technischen Raffinessen
„Teardrop“, ein Hip Hop von Massive Attack, und „Shackles“ von Mary Mary, ein Lied, das dazu ermutigt, alles Fesselnde abzulegen: Gleich mit den ersten Songs packen sie aus, was stimmlich, choreografisch, aber auch technisch und optisch möglich ist, also die Gene sind, die Onair ausmachen: In erster Linie Gesangskunst in Vollendung, Stimmen, die wie füreinander geschaffen scheinen. Zwei Sopranistinnen, eine im ganz hohen, die andere im mittleren Bereich, ein Sänger, der durch seine Beat-Box-Kunst begeistert und für die tieferen Töne zuständig ist, während der Kollege mit seinem samtweichen und strahlenden Tenor herausragt.
Sie verschweigen nicht, dass bei ihrer Performance auch allerlei technische Raffinessen eine wichtige Rolle spielen. Etwa „Loopen“, das es ermöglicht, Tonschleifen aufzunehmen und als Basis für weitere Melodien zu wiederholen. Beim Zuhörer entsteht so der Eindruck eines deutlich größeren Chores. Nicht ohne Risiko, denn „Singt man Mist drauf, hört man den immer wieder“, schmunzelt eine Sängerin. Doch die vier bewegen sich den ganzen Abend über mit beeindruckender Sicherheit selbst über schwierigste Melodiehürden. Die stellen sie sich selbst auf.
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Covern nach den eigenen Regeln
„Wir covern, aber nach unseren Regeln“, scheint ihr Rezept zu sein. Das heißt: Sie singen das Original nie nach, sondern interpretieren es neu und verfremden es bisweilen. So veredeln sie Stevie Wonders Soul-Klassiker „Superstition“ mit einem federleichten Swing; verzichten bei John Miles „Music was my first love“ – dem Arrangeur sei Dank – aber nicht auf die unverwechselbaren Harmonie-Kaskaden und Bombast-Orgien des Originals.
Wie hier aus einem Quartett plötzlich ein riesiges Orchester und ein ebensolcher Chor wird: Wie dieses Klangwunder letztendlich entsteht, kann nur der Mann am Mischpult beantworten. Und natürlich die Licht-Designerin, die an den Reglern all der Scheinwerfer, Lampen, Spots und auch der Nebelmaschine sitzt und optische Effekte herbeizaubert, dass man meint, in einer Großstadt-Disco zu sein.
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Persönliche Geschichten
Ganz starke Momente entstehen immer dann, wenn es ganz stark „menschelt“. Etwa als Marta Helmin erzählt, wie ihr Glaube ihr geholfen hat, aus einer Lebenskrise herauszukommen. Mancher im Theater wähnt sich anfangs vielleicht bei einem Evangelisationsabend auf der Siegener Hammerhütte: Doch Martas Worte kommen so von Herzen, dass man ihr jedes Wort abnimmt. Zumal sie dann die Ballade „Ocean“ so gefühlsstark interpretiert, dass man die Augen schließt und die Wellen des Ozeans zu hören meint.
Schön auch die Geschichte von „Patrick aus dem Osten“, der vor Jahren zur Vokal-Gruppe des Bundes-Jugend-Jazzorchesters gehörte. Dessen damaliger Chef, die Bandleader-Legende Peter Herbolzheimer, lobte einst Patrick mit den Worten „Gar nicht so schlecht für einen Ossi“. Was dieser Ossi dann zaubert, gehört zu den ganz großen Momenten des Konzerts. Mit seiner Mund-gemachten Percussionskunst lässt er den Eindruck entstehen, auf der Apollo-Bühne stände ein Schlagzeug mit allen erdenklichen Trommeln, die er mit Sticks, Schlegeln, Besen und Händen bearbeitet und das alles noch mit einem E-Bass begleitet.
Zum Abschluss ein Abendlied
Ob Onair Bewegung in Musik oder Musik in Bewegung umsetzt? Bei ihnen bilden beide eine Einheit, ihre fein ausgetüftelte Choreografie ist Teil ihrer Show, ergänzt ihre Musik. Onair ist ein Gesamtkunstwerk. Das spüren die Besucher, die es nach einer Reihe von heftig geforderten Zugaben nicht mehr auf ihren Plätzen hält, laut mitsingen. Kein Wunder, befinden sich doch viele heimische Choristen im Publikum.
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Doch zum Schluss wird es ganz still. Die vier Berliner legen ihre Mikros beiseite, nehmen ihre Ohr-Monitore ab, stellen sich nebeneinander auf und singen ein Abendlied. Auch der reine Klang ihrer Stimmen verzaubert.
Überschattet wurde das Konzert von einem internistischen Notfall. Onair unterbrach das Programm, das Publikum verließ den Saal. Feuerwehr und ein zufällig anwesender Arzt waren sofort zur Stelle, die ohnehin bevorstehende Pause wurde vorgezogen.
Weitere A-Cappella-Termine: Montag, 18. Dezember, Ringmasters: “It`s Christmas Time”; Sonntag, 5. Mai, Maybebop: „Muss man mögen“
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