Weidenau. Nur mit knapper Mehrheit scheitert ein AfD-Antrag zum Ausstieg aus dem Evau. Unmittelbar darauf legt die Linke nach.

Die Linken-Kreistagsfraktion will, dass der Kreis aus der Mit-Trägerschaft des Evangelischen Gymnasiums („Evau“) in Weidenau aussteigt. Die Gremien des Kreises werden sich damit in ihren November- und Dezember-Sitzungen befassen. Der evangelische Kirchenkreis kündigt Widerspruch an.

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Das sagt der Kirchenkreis

„Wir würden uns wahrscheinlich in einem Rechtsstreit wiederfinden“, kündigt Oliver Berg, Verwaltungsleiter des Kreiskirchenamtes, für den Fall eines entsprechenden Kreistagsbeschlusses an. Denn der Vertrag über die Beteiligung des damaligen Landkreises Siegen über die Beteiligung an den Kosten, der am 31. März, 1964 beurkundet wird, sieht keine Kündigung vor – entsprechend ist seitdem von einem „Ewigkeitsvertrag“ die Rede. Die Stadt Siegen gehörte zu der Zeit nicht zum Kreis und war „kreisfrei“, die Stadt Weidenau war Teil des Amtes Weidenau.

Die wiederkehrenden Diskussionen über die Mit-Trägerschaft des Kreises seien „besonders für die Schule tragisch“, bedauert Oliver Berg. Dabei sei aus dem Gymnasium, heute von der Schülerzahl mit rund 760 Kindern und Jugendlichen das größte Gymnasium im Siegener Stadtgebiet, „ein Erfolgsmodell geworden“. Tatsächlich ist die inzwischen dreizügige Schule so gefragt, dass Jahr für Jahr Anmeldungen zu den 5. Klassen abgewiesen werden müssen – während die Stadt Siegen, als Konsequenz aus den gymnasialen Überkapazitäten im Stadtgebiet, das Peter-Paul-Rubens-Gymnasium auf dem Rosterberg aufgeben musste.

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So begann die Diskussion

Oliver Berg erinnert daran, dass der Landkreis Siegen in den 1960er Jahren auf die Kirche zugekommen sei. Damals gab es außerhalb von Siegen nur die beiden Gymnasien in Hilchenbach, übrigens beide ebenfalls nicht in kommunaler Trägerschaft: Das Jung-Stilling-Gymnasium war staatlich, Stift Keppel gehört dem Stift. Die einzelnen Ämter, Städte und Gemeinden im Kreis sahen sich nicht in der Lage, eigene Gymnasien zu finanzieren – deshalb war der Kreis eingesprungen, der selbst nur Träger der Berufskollegs und einer Förderschule ist.

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Inzwischen haben fast alle Kommunen im Kreis – bis auf Burbach, Freudenberg und Erndtebrück – eigene Gymnasien. Die „wesentliche Veränderung der Rahmenbedingungen, die in den 1960er Jahren zum Abschluss des Vertrages geführt haben“, wurde erstmals 2015 im Kreistag angesprochen. 2016 lag das daraufhin erstellte Rechtsgutachten vor. Die Essenz: Die Verhältnisse, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestanden, hätten sich so wesentlich verändert, dass der Vertrag gekündigt werden könne. Aus der einzügigen Halbtagsschule sei eine dreizügige Schule mit Übermittag-Betreuung und Nachmittagsunterricht geworden, der Gesamtbedarf an Gymnasialplätzen sei rückläufig, der Kreis sei nicht mehr in der Pflicht. „Der Kirchenkreis weist darauf hin, dass eine alleinige Übernahme der Schulträgerkosten durch den Kirchenkreis unmöglich sei. Der Betrieb der Schule sei damit insgesamt gefährdet“, heißt es in einer – nicht öffentlichen – Mitteilung, die die Kreisverwaltung dem Kreistag im Dezember 2016 vorgelegt hat.

Das hätte auch passieren können

Die Geschichte hätte auch ganz anders geschehen können: Denn eigentlich war es das Amt Ferndorf, die heutige Stadt Kreuztal, die 1962 den evangelischen Kirchenkreis dafür gewinnen wollte, ein Gymnasium zu eröffnen. Der Kirchenkreis entschied sich anders. 1963 beschließt die Kreissynode den Neubau eines evangelischen Gymnasiums in Weidenau, auf dem Gelände des Ludendorffschachts der ehemaligen Grube „Neue Haardt“. 1964 wird der Schulbetrieb in Pavillons aufgenommen

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Kreuztal lässt sich schließlich von seinem Ehrenbürger Friedrich Flick helfen, das heutige „Städtische Gymnasium“ wird 1969 als „Friedrich-Flick-Gymnasium“ eröffnet und wird sich bis zu seiner Umbenennung immer wieder mit dem Patronat eines verurteilten Kriegsverbrechers auseinandersetzen müssen. Das Friedrich-Flick-Gymnasium ist zunächst privates Gymnasium, Trägerin ist die von Flick errichtete Stiftung. Bereits 1970 übernimmt die Stadt Kreuztal die Trägerschaft. Das evangelische Gymnasium dagegen ist privates Gymnasium geblieben.

Das ist der aktuelle Stand

Es geht um Geld: 340.000 Euro überweist der Kreis 2023 an das Kreiskirchenamt, das als Schulträger insgesamt 15 Prozent der Kosten zu tragen hat – wobei das Lehrpersonal vom Land bezahlt wird und Gebäude und Einrichtung mit berücksichtigt werden. „Hätte man 2016 den Mut aufgebracht, den überkommenen so genannten Ewigkeitsvertrag zu kündigen, wären dem Kreis bereits circa zwei Millionen Euro erspart geblieben“, schreibt AfD-Fraktionschef Christian Zaum in einem Antrag, mit dem sich der Kreistags-Schulausschuss im September befasst hat. Die Schule sei „mehr als auskömmlich ausgestattet“. durch einen Rückzug des Kreises wäre „der Schulbetrieb wäre zudem in keiner Weise gefährdet“.

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In nicht öffentlicher Sitzung stimmt der Schulausschuss über den Antrag der AfD – auf Antrag der CDU – geheim ab: Sechs Ausschussmitglieder stimmen zu, neun dagegen, zwei enthalten sich. Bereits mit Datum der Schulausschusssitzung stellen die Linken einen eigenen Antrag für den Kreistag: den Vertrag zu kündigen, aber zunächst den Zuschuss von 325.000 Euro im nächsten Jahr Jahr für Jahr um jeweils 50.000 Euro zu verringern, „um dem Schulträger die Gelegenheit zu geben, sich auf die veränderte Situation einzustellen“. Ein möglicher Rechtsstreit über die Kündigung sei in Kauf zu nehmen „und nach den Aussagen in dem 2016 veröffentlichen Gutachten auch nicht aussichtslos“, heißt es in dem Antrag weiter. Eine weitere finanzielle Unterstützung für eine Schule in privater Trägerschaft sei „nicht mehr gerechtfertigt“.

Ob der Kirchenkreis einen Verlust des Kreisbeitrags verschmerzen kann? Verwaltungsleiter Oliver Berg antwortet zurückhaltend: Entscheidungsgremium sei die Kreissynode, die vor der Herausforderung stehe, auch Beratungsangebote und Kitas zu finanzieren: „Können wir das alles noch halten?“ Klar sei aber auch, „dass der Kirchenkreis zu dieser Schule steht“, betont Oliver Berg, „eine Schule nimmt man nicht einfach so vom Netz“.

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