Siegen. Viele Geflüchtete bekommen keine Sprachkurse und Arbeitserlaubnis. Beim DRK Siegen-Wittgenstein ist das anders: Sie lernen Menschenleben retten.

Im DRK-Ausbildungsprojekt „Durchstarten - SanitäterPlus“ bekommen junge Flüchtlinge, die in Deutschland geduldet sind oder eine Aufenthaltsgestattung besitzen, wichtige Fähigkeiten im Gesundheits- sowie Rettungsbereich beigebracht. Die Flüchtlinge erhalten dabei in Sprachkursen von Beschäftigten des DRK-Kreisverbands Siegen-Wittgenstein erste Kenntnisse von deutschen Fachbegriffen. Das ambitionierte Vorhaben soll einen maßgeblichen Beitrag für die Integration im Land leisten und den Teilnehmern neue Motivation geben.

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Von der Mund-zu-Mund-Beatmung bis zum sicheren Abtransport von Testpersonen ist im Erste-Hilfe-Trainingsmodul alles mit dabei. Die Teilnehmer erwerben zunächst über spielerischen Frontalunterricht Kenntnisse über die Grundlagen der Ersten Hilfe. Im Anschluss können sie sich dann immer wieder in praktischen Übungen ausprobieren und zeigen, was sie gelernt haben. Diesmal steht bereits früh am Morgen der Erste-Hilfe-Kurs für Fortgeschrittene auf dem Programm. Die sieben Teilnehmer sind hellwach und achten auf jedes Detail – im Notfall kommt es schließlich auf jede Sekunde an. Unter der Anleitung von Dozentin Elvi Zimmer greift der Somalier Abelishakur Ibrahim sofort zur Beatmungsmaske – gemeinsam mit seinen Kollegen fixiert er einen großen Test-Dummy in der richtigen Position und wartet bis Masoud die fachgerechte Herzmuskel-Massage durchführt.

In Siegen lernen sie auch Deutsch – gerade die medizinischen Fachbegriffe müssen sitzen

Auch der Rest der Gruppe versucht sich am Dummy – solange bis der Rettungsablauf bei allen fehlerfrei sitzt – dann geht es sofort zur nächsten Übung: Die stabile Seitenlage. Immer wieder gibt es von außen Nachfragen – viele der Teilnehmer wollen wissen, wie die Handlungsschritte genau auf Deutsch heißen, damit sie im Notfall auch ohne ihre Muttersprache auskommen können.

Masoud bringt Abelishakur Ibrahim in die stabile Seitenlage.
Masoud bringt Abelishakur Ibrahim in die stabile Seitenlage. © Daniel Engeland

Aus der Sicht von Gruppenkoordinatorin Ioana Muntean ist besonders der Sprachunterricht während der Veranstaltung ein wichtiger Faktor für eine funktionierende Integration. Denn: Einigen der Flüchtlinge seien viele Türen nach ihrer Ankunft versperrt. „Die Leute bekommen keine Sprachkurse, können keine Arbeit machen und kriegen keine anderweitig geförderten Leistungen“, berichtet Muntean von den teils prekären Lebenssituationen ihrer Teilnehmer. Oft sei es dann schwierig die Motivation beizubehalten – Zukunftsängste im Leben der Migranten eher Alltag als Ausnahme. Der Kurs sei daher eine gelungene Abwechslung für Zuwanderer, um Wissbegierde zu zeigen und sich gleichzeitig weiterzubilden. Dazu kommt, dass die Teilnehmer nach einem erfolgreichen Abschluss der Prüfung, auch bei Sanitätseinsätzen, wie bei ehrenamtlichen Veranstaltungen als Rettungskraft teilnehmen können. „Das ist Integration und überwindet auch die Sprachbarriere“, betont Muntean. Die Koordinatorin, die hauptsächlich für die Sprachangebote im Kurs zuständig ist, fühlt sich in ihrer neuen Rolle pudelwohl. „Es macht einfach wahnsinnig viel Spaß mit den Leuten zusammenzuarbeiten. Ich bilde mich dabei auch selber weiter“, sagt sie. Das sieht die Projektgruppe ähnlich – für viele ist es eine willkommene Abwechslung, um aus einer schwierigen Lebenssituation neuen Mut zu schöpfen.

Drei Jahre im iranischen Gefängnis – Flucht vor den Mullahs nach Siegen

„Es gefällt mir wirklich sehr hier. Ich mag es, dass ich hier neue Erfahrungen machen kann. Sachen, die ich in meiner Heimat nie gelernt hätte“, betont Forough, die aus ihrem Heimatland Iran flüchten musste. Forough hat bereits eine bewegte Vergangenheit hinter sich und möchte ihren vollen Namen daher nicht in der Zeitung lesen. Als Rechtsanwältin war sie eigentlich schon fest im Arbeitsleben angekommen, doch dann wurde sie plötzlich aus ihrem Alltag gerissen und ohne Begründung festgenommen, erzählt sie: knapp drei Jahre verbrachte sie in der Folge in einem iranischen Gefängnis. Nach ihrer Freilassung gelang es ihr, ins Ausland zu flüchten, doch ob ihre berufliche Ausbildung in Deutschland anerkannt wird, steht noch in den Sternen. Unabhängig von anstehenden Entscheidungen möchte Forough nichts dem Zufall verlassen. Sie lernt daher täglich über YouTube-Videos die deutsche Sprache.

„SanitäterPlus-Ausbildung“: Koordinatorin Ioana Muntean und Dozentin Elvi Zimmer helfen zugewanderten Migranten bei der Rettungssanitäterausbildung. 
„SanitäterPlus-Ausbildung“: Koordinatorin Ioana Muntean und Dozentin Elvi Zimmer helfen zugewanderten Migranten bei der Rettungssanitäterausbildung.  © Daniel Engeland

Auch ihr Landsmann Masoud sieht in dem „SanitäterPlus“-Kurs eine große Chance. „Ich hatte mich schon oft gefragt, was ich tun soll, wenn jemand am Sterben ist“, erzählt er. Nun habe er nach kurzer Zeit, wichtige Fähigkeiten erlangt, die ihm dabei helfen, in Notsituationen handlungsfähig zu sein, sagt der studierte Biomedizin-Ingenieur. Allgemein liege sein Fokus darauf, so schnell wie möglich die deutsche Sprache zu beherrschen, um auch auf den Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Der Kurs sei daher ein gute Möglichkeit, die eigenen Sprachkenntnisse aufzufrischen, so der Iraner.

Zweite Runde für „SanitäterPlus“ des DRK Siegen-Wittgenstein

Nach einem mehr als erfolgreichen Pilotprojekt geht „SanitäterPlus“ des DRK-Kreisverbands nun bereits in die zweite Runde. Auch dieses Jahr belegen die Teilnehmer über sechs Monate in zwei wöchentlichen Kursen insgesamt 18 Module aus den Bereichen Sanitätsdienst, Technik und Sicherheit, Betreuung, Teambuilding, Sprache sowie Kommunikation. Am Ende des Kurses steht dann eine finale Ausbildungsprüfung zum Rettungssanitäter an. „Das ist im Prinzip eine Sanitäter- und Katastrophenausbildung“, erklärt Ioana Muntean vom DRK-Kreisverband Siegen-Wittgenstein.

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Für die Umsetzung des Projekts „SanitäterPlus“ sind die zahlreichen Sponsoren mitverantwortlich. Das Kommunale Integrationszentrum des Kreises Siegen-Wittgenstein, das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen sowie das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales beteiligten sich an der Projektgestaltung und Finanzierung.