Siegen. Der 17-jährige Nico hat seit seiner Kindheit mit Diabetes zu kämpfen. Für seine Familie bricht nach der Diagnose fast eine ganze Welt zusammen.

Die Typ-1-Diabetes-Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter steigen deutschlandweit kontinuierlich an. Inzwischen sind weit über 30.000 Kinder und Jugendliche an der Stoffwechselstörung erkrankt – eine Aussicht auf Heilung gibt es bis heute nicht. Auch der 17-jährige Nico Stinnjergler ist seit Kindheitstagen von der Krankheit betroffen. Im Gespräch erzählt er gemeinsam mit seiner Familie, wie er gelernt hat, mit der Schockdiagnose umzugehen und was sich in seinem Leben alles verändert hat.

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Schockdiagnose ein „richtiger Tiefschlag“

Bereits im frühen Kindesalter ist nach einer prophylaktischen Untersuchung in der DRK-Kinderklinik klar: Der damals erst dreijährige Nico hat Typ-1-Diabetes und kann kein lebenswichtiges Insulin eigenständig herstellen – die Gründe für die Erkrankung sind offen und ungeklärt. Für die junge Familie ein absoluter Tiefschlag. „Im ersten Moment bricht für einen die ganze Welt zusammen“, erzählt Tatjana Stinnjergler. Der Mutter ist sofort klar, dass mit der Diagnose eine komplette Lebensumstellung für Kind und Familie einhergeht – und zwar für immer. „Ich habe versucht, kühl und klar im Kopf zu bleiben und habe gesagt, komm’ da müssen wir jetzt durch“, berichtet Tatjana Stinnjergler.

Für Nico ändert sich über Nacht fast alles. Ab sofort muss er zu jeder Zeit auf seinen Blutzuckerwert achten, um auf Ober- oder Unterzucker blitzschnell reagieren zu können. Auch die Ernährung muss komplett umgestellt werden. Raffinierte Kohlenhydrate, Früchte mit hohem Zuckergehalt oder Süßigkeiten sind tabu.

Die Familie hält zusammen: Mutter Tatjana unterstützt ihren Sohn Nico, wo sie nur kann.
Die Familie hält zusammen: Mutter Tatjana unterstützt ihren Sohn Nico, wo sie nur kann. © WP | Daniel Engeland

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Neue Ernährungsregeln schwer umsetzbar

Besonders die richtige Ernährung gestaltet sich im Alltag schwierig, ob im Kindergarten, später in der Schule oder bei Freunden, überall lauern Gefahren für den jungen Nico. „Ich muss immer darauf achten, was ich esse, wann ich es esse und wie ich es esse“, erzählt er aus seinem Alltag. Bei jeder Tagesmahlzeit heißt es, direkt Blutzucker messen, ausrechnen, wie viel gegessen werden darf und Insulin spritzen. So kommt es immer wieder vor, dass das Messgerät anschlägt und der Siegener schnell reagieren muss: „Du merkst ,dir wird langsam schwindelig, du schwitzt viel und du kriegst eine Heißhungerattacke“, beschreibt er den Ernstfall.

Ein Maß an Selbstdisziplin, was ab und zu auch an den Nerven zehrt. „Es gibt schon Tage, wo man sich denkt, warum muss ich das haben. Manchmal hat man schon Wut und will alles hinwerfen, aber dann sage ich mir, dass ich es akzeptieren muss.“

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Kein normaler Lebensalltag mehr möglich

Auch Oberärztin Dr. Barbara Müksch und Chefarzt Dr. Gebhard Buchal von der DRK-Kinderklinik wissen nur zu gut, wie schwierig es ist, den Lebensalltag mit der Diagnose Typ-1-Diabetes zu bewältigen. „Sie rennen ja schon so einen zwei- bis dreijährigen Kind hinterher und da kommt dann noch die Situation dazu. Die Eltern sind dauerhaft in Alarmbereitschaft“, berichtet Dr. Gebhard Buchal von seinen Erfahrungen. An vielen Stellen fehle es an Unterstützung – sogar viele Kindergärten würden Patienten mit Diabetes nicht mehr aufnehmen. Daher versuche die DRK-Kinderklinik über Schulungen auch die örtlichen Betreuungseinrichtungen mit ins Boot zu holen und aufzuklären, damit das Personal mit erkrankten Kindern richtig umgeht.

Die Diabetologen raten Eltern dazu, bereits früh bei ihren Kindern auf Warnsignale zu achten. Dazu gehören übermäßiges Trinken, viel Wasserlassen sowie eine Gewichtsabnahme. Trotz der deutlich erkennbaren Symptome komme es oft viel zu spät zu einer ersten Untersuchung. „Wir haben Kinder, die haben 20 Kilo abgenommen, das hätte einen eigentlich auffallen müssen“, mahnt die Siegener Diabetologin, auf deutliche Zeichen achtzugeben. Ihr Kollege Dr. Gebhard Buchal ergänzt: „Wir sprechen hier von zwei bis dreijährigen Kindern, die dann zehn Flaschen pro Tag trinken.“

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Erkrankung kann schon im frühen Babyalter auftreten

Bei einer Diabetes-Typ-1-Erkrankung bilden sich beim Patienten Antikörper, die die insulinherstellenden Betazellen bekämpfen und zerstören. Ist der Autoimmunprozess erst einmal im Gange, lässt sich dieser über natürliche Wege nicht mehr umkehren. Bereits nach dem ersten Lebensjahr kann es zur Erkrankung kommen. Umso wichtiger sei es daher über einfache Bluttests bereits früh festzustellen, ob der Patient an Vorerkrankungen wie „Prädiabetes“ leide. Hierbei handele es sich zwar nur um eine Vorstufe zum Typ-1-Diabetes, jedoch sei nach der Früherkennung klar, dass es in Zukunft zu einer vollständigen Erkrankung kommen werde, so die Fachärzte. Die Diabetologen plädieren dafür, bereits während der Vorstufe, mit einer Immuntherapie zu beginnen. „Wir wollen den Kindern damit mehr Zeit geben“, erklärt Dr. Barbara Müksch.

Die DRK-Kinderklinik sorgt neben Behandlung auch für Aufklärung bezüglich Typ 1 Diabetes. Hier im Bild: Dr. Barbara Müksch und Dr. Gebhard Buchal.
Die DRK-Kinderklinik sorgt neben Behandlung auch für Aufklärung bezüglich Typ 1 Diabetes. Hier im Bild: Dr. Barbara Müksch und Dr. Gebhard Buchal. © WP | Daniel Engeland

Trotz unzähliger Studien und Forschungsuntersuchungen sind die Ursachen für das Aufkommen und den Anstieg von Diabetes-Typ-1 weiter völlig unklar. Dies erschwere den Umgang und die Maßnahmen gegen den Ausbruch der Krankheit enorm. „Wir kennen die Auslöser der Krankheit nicht, daher gibt es auch keine Präventivmaßnahmen“, verdeutlicht die Oberärztin. Dafür hätten sich aber die Therapiemöglichkeiten über die Jahre stetig verbessert. Während früher einzig und allein mit Insulin-Spritzen gearbeitet wurde, gebe es mit Insulin-Pens aktuell deutlich mehr Handlungsspielraum für Kinder und Jugendliche. Zusätzlich biete die sogenannte Pumpentherapie eine dauerhafte Behandlung gegen den Insulinmangel. Die Pumpe ahmt den Ausschuss von Insulin nach und kann sich an die aktuellen Blutzuckerwerte des Patienten anpassen. In Kombination mit digitalisierten Messwerten und dauerhaften Aufzeichnungsverfahren über Handyapps bedeute das deutlich mehr Sicherheit für Familie und Kind, so die Fachärzte.

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