Hagen. Es ist kein Geheimnis: Süßes ist ungesund. Doch wieso fällt der Verzicht auf Zucker so schwer? Und wo steckt er überall drin? Ein Selbstversuch.

Schokolade. Nach stressigen Tagen vorm Fernseher vernichte ich sie manchmal wie am Fließband. Wie konnte das jetzt schon wieder passieren, frage ich mich dann nach dem Zuckerrausch und mit Blick auf die leere Packung.

„Natürlich bringt es etwas, auf Zucker zu verzichten“ sagt mir Dr. Theodoros Dufas, den ich in seiner Hagener Praxis aufsuche. „Für die Insulinausschüttung ist das gut und der Körper verbrennt mehr Kalorien.“ Ich bin für mein Experiment hier: Eine Woche lang so gut wie nichts Süßes.

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Durch Zucker wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet und sorgt offenbar nicht nur bei mir für abendliche Fresskicks auf dem Sofa. Die Deutschen konsumieren weitaus mehr als die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen 50 Gramm pro Tag.

Die Liste an Krankheiten die dadurch begünstigt werden ist lang. Geheim ist sie auch nicht. Ich möchte mich selbst verstehen: Wenn mir die Folgen als erwachsener Mensch doch so bewusst sind, warum werde ich immer wieder schwach? Und: Lohnt es sich auf zugeführten Zucker zu verzichten?

Eisernes Einkaufen

Mein Selbsttest startet im Supermarkt. Von der Einkaufsliste verbannt: Süßigkeiten, Säfte, Softdrinks, aber auch Obst (Fruchtzucker!) – ich mache hier keine halben Sachen. Beim Gang durch die Regale lenke ich meinen Blick eisern vorbei an Keksen und Bonbons.

Um Tipps bitte ich Diplom-Oecotrophologin Birgit Molitor aus Menden. Sie rät mir, vor allem auf den versteckten Zucker zu achten: Kohlenhydrate und Zucker sind auf den Produkten gesondert aufgelistet. Also drehe ich jeden Kirschjoghurt zweimal um. „Allein die meisten Fruchtjoghurts haben schon so 12 bis 13 Gramm Zucker auf 100 Gramm“, sagt die Expertin. Es stimmt. Ich greife zum Naturjoghurt.

Fiese Zuckerfallen

Oft muss ich höllisch aufpassen: Die vorgekochte und eingeschweißte rote Beete zum Beispiel enthält einiges an Zucker. Auch in eingelegtem Sauerkraut hätte ich ihn nicht vermutet. Das Saure-Gurken-Glas bleibt für mich mit knapp 14 Gramm Zucker ebenfalls tabu. „Stellen Sie sich auch im Supermarkt vor, Sie gingen auf dem Wochenmarkt einkaufen“, empfiehlt mir Birgit Molitor, die ich darauf anspreche. Dosen, Gläser und Eingeschweißtes findet man hier kaum: Wenig Quellen für heimtückische Zuckerfallen.

Kalter Entzug

„Wenn man häufig den Fruchtjoghurt isst, ist man schon so konditioniert, dass der Naturjoghurt erstmal nicht schmeckt“, sagt Birgit Molitor. Mein erstes Frühstück ohne Schoko-Müsli empfinde ich als ziemlich fade: Naturjoghurt, Haferflocken, ein paar Nüsse. „Wenn man groß wird mit angezuckerten Produkten, bleibt man vom Geschmack her auf diesem Level.“ Für viele ihrer Patienten sei es schwierig davon runter zu kommen: „Ich höre oft so Ausdrücke, dass jemand sagt: Ich bin ein Cola-Junkie.“ Was hier helfe: Jeden Tag ein bisschen mehr mit Wasser verdünnen.

Für langsame Entwöhnung bleibt mir keine Zeit. Bei mir heißt es: kalter Entzug. Auch auf Süßstoff möchte ich nicht zurückgreifen, auch wenn dieser oft null Kalorien hat. Mir geht es nicht um stumpfe Kalorienreduzierung – ich möchte ja meine Geschmacksnerven von Süßem entwöhnen.

Kein Hungern

Innerlich schüttele ich in dieser Woche oft den Kopf über meine selbst gemachten „First World-Problems“: Bei der Familienfeier auf Tiramisu verzichten? Fies! Stückchen Schokolade zum Espresso? Hach, schön wär‘s. Es ist aber ja nun wirklich nicht so, dass ich irgendwie hungern müsste. Viele Milchprodukte, Gemüse, Eier, Fleisch, Fisch, Nüsse: alles okay. Zu meinem Glück auch Käse, von dem ich in dieser Woche deutlich mehr esse als sonst – als Snack dienen auch mal ein paar Gouda-Würfel. Ansonsten gibt es oft Gemüsepfannen in verschiedenen Variationen, ich setze viel auf Linsen und Kartoffeln und brate mir auch mal ein Stückchen Lachs.

Kritische Momente

Gespannt warte ich jeden Tag auf die positiven Veränderungen, die ich mir erhoffe. Tatsächlich fühle ich mich in den ersten Tagen etwas schlapp. Auf dem Weg zur Arbeit bin ich an roten Ampeln latent gereizt. Meine Nachmittagstiefs wirken tiefer als sonst. Auch beim Artikelschreiben bin ich unkonzentrierter. Mehr als sonst habe ich dann Lust auf Schokolade. „In Stressmomenten steigt der Blutzucker, ohne dass ich gerade etwas esse“, erklärt Birgit Molitor. „Dann benötigen Sie Insulin.“ Doch ich halte durch – greife in kritischen Momenten häufiger zu Nüssen.

Süßes Ende

Ab Tag vier bemerke ich jedoch mehr Schwung, bilde mir ein, dass ich besser schlafe. Mein Blutdruck ist immer noch im Normalbereich. Nach einer Woche sitzt auch die Jeans lockerer. Ich habe 1,8 Kilo abgenommen. „Vielleicht haben Sie insgesamt weniger Kalorien zu sich genommen. Vielleicht ist die Gewichtsreduktion aber durch Ihre Ernährungsumstellung bedingt“, sagt Dr. Theodoros Dufas. Deutlichere Ergebnisse würde das Experiment bei jemandem zeigen, der tatsächlich Diabetes habe oder adipös sei. Würde ich den Selbsttest noch zwei Monate fortsetzen, ließen sich Veränderungen womöglich auch anhand der Blutwerte feststellen.

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Doch obwohl der ganz große Heißhunger auf Süßes bei mir ausbleibt, endet für mich hier der Verzicht. In die Redaktion hat eine Kollegin Printen mitgebracht. Feierlich beende ich den Selbsttest: Boa, sind die süß!

Neben gesetzlich geregelten Werbeaussagen finden sich auf Lebensmitteln oft Botschaften, die laut Verbraucherzentrale irreführend sein können. Empfohlen wird deshalb immer den Zuckergehalt in den Nährwert-Tabellen zu beachten.

„Weniger süß“ bedeutet zum Beispiel nicht, dass weniger Zucker verarbeitet wurde.

„Mit Traubenzucker“ heißt nicht, dass das Produkt gesünder ist. Durch die geringere Süße von Traubenzucker ist vielleicht sogar mehr Zucker nötig.

„Natursüß“ muss nicht ungesüßt sein.