Siegen-Wittgenstein. Um die 70 Bäume sollen ihre Naturdenkmal-Plakette verlieren – weniger, als ursprünglich geplant. Dennoch gehen Naturschützer auf die Barrikaden.
Die Geschichte ist lang: Vor nunmehr fast drei Jahren wollte der Kreis Siegen-Wittgenstein die Liste der damals 267 Naturdenkmale kräftig durchforsten und die Denkmalplakette nur noch auf 154 Bäumen haften lassen. Die Politik machte nicht mit. Damit nun aber nicht alle Baum-Denkmale auf einmal zum 9. Dezember 2021 – da lief die „Ordnungsbehördliche Verordnung“ auf den Tag nach 20 Jahren ab – ungeschützt da stünden, wurde die alte Verordnung noch einmal neu beschlossen: mit 237 bisherigen Naturdenkmalen, weil 30 gar nicht mehr standen, und vier neuen.
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Und dann ging es weiter. Die neue „alte“ Verordnung wurde offengelegt, 14 Kommunen und Behörden und 22 Grundstückseigentümer und weitere Beteiligte nahmen Stellung, der Beirat der Unteren Naturschutzbehörde unternahm eine Bereisung und tagte zwei Mal. Jetzt liegt ein neuer Entwurf für die Naturdenkmal-Verordnung vor, die nun erneut offengelegt, danach überarbeitet, wiederum dem Naturschutzbeirat vorgelegt und im Dezember vom Kreistag verabschiedet werden soll. Das wäre dann zwei Jahre später als ursprünglich vorgesehen – wenn es dafür eine Mehrheit gibt. Denn auch die neue Liste mit nun 168 Naturdenkmalen, 14 mehr als im ersten Vorschlag, ist umstritten. Obwohl die Verwaltung darauf hinweist, dass Siegen-Wittgenstein dann immer noch weit und breit Spitzenreiter ist: Der Hochsauerlandkreis hat nur 96, der Kreis Olpe 38 und der Kreis Soest 21 Naturdenkmale.
Der Kreistag
Im Kreistag hat Bernd Schneider (Grüne) keinen Erfolg mit seinem Antrag, zumindest die bisher als Denkmal geschützten Bäume in der Liste zu belassen. „In der Regel sind das schöne alte Bäume.“ Sollten sie den Schutzstatus verlieren, würden sie „nach und nach“ durch ihre Besitzer entfernt. Die Mehrheit folgte der Argumentation von Landrat Andreas Müller: Es gehe um Denkmalwert, nicht um Baumschutz, den die Städte und Gemeinden selbst durchsetzen könnten. So wie in Neunkirchen, berichtete Jutta Capito (CDU): Dort habe der Gemeinderat die Bäume, die nicht mehr Denkmal sein sollen, sofort in die örtliche Baumschutzsatzung aufgenommen.
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Umweltdezernent Arno Wied räumte ein, dass es „den einen oder anderen Baum geben wird, der sehr sehr schnell beseitigt werden wird“. Grundsätzlich sehe er aber „in unserer Bevölkerung eine andere Akzeptanz im Umgang mit der Natur als früher“. Andreas Klein (WB) war skeptisch. „Das sind alles keine kleinen Bäume.“ Deren Pflege, für die bisher der Kreis aufkomme, sei teuer. „Nicht alle Kommunen haben eine Baumschutzsatzung.“ „Wir haben in den letzten Jahren genug Bäume verloren“, gab Horst Günter Linde (UWG) zu bedenken. Katrin Fey (Linke) plädierte für eine großzügige Auslegung der Denkmal-Kriterien: „In dubio pro arbor.“ Regine Stephan (AfD) forderte, „ausnahmslos jeden Baum zu schützen“, warf den Grünen allerdings vor, „hunderte und tausende Lastwagen“ für den Bau von Windrädern in den Wald fahren zu lassen. „Um zweifelhafte Fehlentwicklungen zu manifestieren“, würden „Bäume in großem Stil abgeholzt“.
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Der Blick ins Siegerland
236 Naturdenkmale hält der Naturschutzbeirat weiterhin für schutzwürdig. 23 Bäume wurden neu vorgeschlagen, von denen die Naturschutzbehörde fünf in ihren Vorschlag übernommen habe. Letztlich nur bei 16 Bäumen, so Beiratsvorsitzende Prof. Dr. Klaudia Witte im Umweltausschuss, seien sich Beirat und Behörde einig.
Burbach: bisher 17 Naturdenkmale, nach neuem Vorschlag sieben. Die Naturschutzbehörde ist für die Streichung von acht Naturdenkmalen, der Naturschutzbeirat stimmt bei vier zu.
Freudenberg: bisher 18 Naturdenkmale, nach neuem Vorschlag sechs. Die Naturschutzbehörde ist für die Streichung von neun Naturdenkmalen, der Naturschutzbeirat stimmt bei drei zu.
Hilchenbach: bisher 42 Naturdenkmale, nach neuem Vorschlag 27. Die Naturschutzbehörde ist für die Streichung von neun Naturdenkmalen, der Naturschutzbeirat stimmt bei sieben zu. Zumindest eine der beiden Eichen am Ernst-August-Platz in Dahlbruch bleibt geschützt. Die Behörde lässt sich vom Naturschutzbund (Nabu) überzeugen, der insgesamt zu 82 Bäumen Stellung nimmt und 22 Bäume neu als Naturdenkmale vorschlägt. Der noch nicht gefällte Baum sei ortsbildprägend, schreibt der Nabu. Die Naturschutzbehörde stimmt zu. „Da auch die Vitalität des Baumes besser ist als erwartet, sollte man den Baum weiter als Naturdenkmal schützen.“
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Kreuztal: bisher 44 Naturdenkmale, nach neuem Vorschlag 30. Die Naturschutzbehörde ist für die Streichung von sieben Naturdenkmalen, der Naturschutzbeirat stimmt bei keinem zu. Eine Eiche in Burgholdinghausen verärgert die Nachbarn, nicht nur wegen des Laubs und abbrechender Äste: „Die der Eiche zugewandten Zimmer müssen bei Nutzung ständig beleuchtet werden. Somit brennt zum Beispiel in der Küche nahezu den ganzen Tag das Licht. Hier gibt es keinen Kostenersatz. Einige Räume werden von uns daher schon nicht mehr genutzt.“ Die Naturschutzbehörde rät, den Baum „aufgrund seiner hervorgehobenen Wirkung als Einzelschöpfung“ weiter zu schützen. Dagegen folgt die Behörde nicht dem Wunsch des Beirates, eine Gruppe von fünf Buchen und zwei Linden in einem Garten am Stendenbacher Weg weiter zu schützen. In Richtung des unterhalb stehenden Wohnhauses müssten regelmäßig Äste an den Buchen eingekürzt werden. „Durch diese Maßnahme greift man in den natürlichen Wuchs der Bäume ein.“
Netphen: bisher 33 Naturdenkmale, nach neuem Vorschlag 18. Die Naturschutzbehörde ist für die Streichung von 15 Naturdenkmalen, der Naturschutzbeirat stimmt bei fünf zu. Die Winterlinde an der Ecke Brauersdorfer/Lahnstraße soll auch „aufgrund des schlechten Standortes“ nicht länger geschützt werden, findet die Behörde. Das mache sie aber „eindeutig“ zu einem ortsbildprägenden Baum, widerspricht der Naturschutzbeirat: „Diese Linde steht an einer Straßenkreuzung auf einem freien Platz mitten im Ort.“ Die vier Linden neben dem Salchendorfer Backes sollen dagegen nun doch geschützter Landschaftsbestandteil werden. Das hatte die Behörde vor zwei Jahren noch anders gesehen.
Neunkirchen: bisher 14 Naturdenkmale, nach neuem Vorschlag fünf. Die Naturschutzbehörde ist für die Streichung von acht Naturdenkmalen, der Naturschutzbeirat stimmt bei vier zu. Die Archäologen des Landschaftsverbandes setzen sich mit Erfolg für die Kaisereiche in Struthütten ein; die Naturschutzbehörde nimmt sie von der Streichliste. Bei der „Meisterlinde“ in Zeppenfeld beißen die Archäologen („Wer den Baum kennt, kommt nicht zu dem Ergebnis, dass dieser etwa nicht ortsbildprägend ist“) indes auf Granit: . „Es handelt sich um eine Linde, die in dieser Größe häufig im Kreisgebiet vorkommt.“
Siegen: bisher 57 Naturdenkmale, nach neuem Vorschlag 37. Die Naturschutzbehörde ist für die Streichung von 15 Naturdenkmalen, der Naturschutzbeirat stimmt bei fünf zu. Gegenstand öffentlicher Auseinandersetzung war eine Blutbuche am Siegbogen in Weidenau. Die Kreiswohnungsbau- und -siedlungsgesellschaft will den Baum weg haben, Nachbarn sind dagegen. Die Naturschutzbehörde hält den Baum nicht für ein Denkmal: „Gründe wie Seltenheit oder Eigenart kommen hier auch nicht zum Tragen.“ Dagegen stellt sich die Behörde im Fall einer 140 Jahre alten Blutbuche am Eisernbach in Eiserfeld auf die Seite der Familie, die für den Baum plädiert: „Es braucht mindestens fünf bis sechs Menschen mit ausgebreiteten Armen, um den Stamm umfassen zu können! Alle Eiserfelder lieben diesen Baum mit der herrlich ausladenden großen, gleichmäßig runden Krone.“
Wilnsdorf: bisher 24 Naturdenkmale, nach neuem Vorschlag acht. Die Naturschutzbehörde ist für die Streichung von 13 Naturdenkmalen, der Naturschutzbeirat stimmt bei sechs zu.
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