Siegen. Soll Siegen sich an einem Cannabis-Modellvorhaben beteiligen? Ein klares Ja kommt bisher nur von Grünen und Linken.

Erwachsene sollen künftig Cannabis in bestimmten Mengen privat oder in nicht-gewinnorientierten Vereinigungen anbauen dürfen. Das hat die Bundesregierung beschlossen – außerdem ein Modellvorhaben, Cannabis in Fachgeschäften abzugeben, „wissenschaftlich konzipiert, regional begrenzt und befristet“. Damit sollen Auswirkungen auf Gesundheits- und Jugendschutz und den bisherigen Schwarzmarkt untersucht werden. Soll sich Siegen als Modellregion bewerben? Das haben wir die Ratsfraktionen gefragt.

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CDU: „Gefahr für Jugendliche und junge Erwachsene“

CDU: Fraktionschef Marc Klein sagt Nein. „Wir lehnen die Legalisierung von Cannabis grundsätzlich ab.“ Das gelte folglich auch für ein Modellvorhaben. Klein verweist darauf, dass auch die NRW-Landesregierung solche Versuche ablehnen. „Wir sehen vor allem die Gefahr für Jugendliche und junge Erwachsene, dass es zu Gesundheitsschädigungen kommen kann.“

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SPD: „Nicht geschlossen“ dafür

SPD: „Die Mitglieder der Siegener SPD-Fraktion sind nicht geschlossen für die Cannabis-Legalisierung“, erklärt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Ingmar Schiltz. „Falls sie jedoch kommen sollte, halten wir die bislang bekannten Ziele, die mit der Einführung von Modellregionen verbundenen sind, mehrheitlich für sinnvoll. Denn die Abgabe von Cannabis-Produkten soll in Modellregionen unter strengen Jugend- und Gesundheitsvorschriften erfolgen. Die Abgabe an Jugendliche ist untersagt. Zur Qualität der Produkte wird es Vorgaben geben (keine Streckung/Verunreinigung, Verbot von Zusatzstoffen wie Tabak, Aromen oder synthetischer Cannabinoide, etc.). Die Modellregionen sollen wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden. Die dabei gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse werden der EU-Kommission sowie europäischen Partnerländern zur Verfügung gestellt. Die Siegener SPD-Fraktion wird sich daher nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens erneut mit der Frage beschäftigen, ob Siegen sich als Cannabis-Modellregion bewerben soll, falls es diese Möglichkeit dann geben wird.“ Tatsächlich gebe es Überlegungen „in einigen Siegener Ratsfraktionen“, bestätigt Ingmar Schiltz. Sie hätten sich vertagt, bis feststehe, ob es wirklich Modellregionen geben wird. Schiltz verweist darauf, dass die in der Landesregierung vertretenen Parteien CDU und Grüne gegensätzliche Auffassungen vertreten. Sie müssten sich zunächst „auf eine gemeinsame Haltung in dieser Frage verständigen“.

Das hat die Bundesregierung vor

Von der Bundesregierung gibt es bisher zwei Gesetzentwürfe. Das Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten soll auf fünf Jahre begrenzt sein. „Genusscannabis“ soll nur an Erwachsene abgegeben werden dürfen.

Der Eigenanbau soll nur „nicht-gewinnorientierte Vereinigungen“ für ihre Mitglieder zugelassen werden. Pro Mitglied dürfen höchstens 25 Gramm Cannabis pro Tag, 50 Gramm pro Monat, sieben Samen oder fünf Steck­linge pro Monat abgegeben werden, an Heranwachsende unter 21 Jahren höchstens 30 Gramm pro Monat. Auch der THC-Gehalt – das ist der rauscherzeugende Wirkstoff – soll begrenzt werden.

Privatleute dürfen höchstens drei weibliche blühende Pflanzen straffrei anbauen. In der Öffentlichkeit dürfen bis zu 25 Gramm straffrei mitgeführt werden.

Der Konsum in der Nähe von Kitas, Schulen und in Fußgängerzonen soll bis 20 Uhr verboten sein.

Sobald die Gesetze in Kraft treten, werden Strafverfahren beendet und Verurteilungen aus dem Zentralregister gelöscht, die Verstöße betreffen, die nach der Legalisierung keine mehr sind.

Grüne: „Auf jeden Fall“

Grüne: „Wir würden auf jeden Fall mitgehen“, sagt Grünen-Fraktionschef Michael Groß, der auch mit einer entsprechenden Initiative im Rat rechnet, „wir haben das ausführlich diskutiert.“ Einzelheiten seien allerdings noch nicht bekannt, auch nicht, ob das Nein aus Düsseldorf Auswirkungen auf ein Votum der Kommunen hat. Den Grünen sei es wichtig, „sicheren Konsum zu gewährleisten, ohne kriminell zu werden“. Ebenso wichtig sei aber auch die Stärkung der Suchtprävention. Grundsätzlich sei die Legalisierung von Cannabis bei den Grünen „völlig unstrittig“, sagt Michael Groß, man müsse aber „wie bei allen Suchtmitteln eine gewisse Vorsicht an den Tag legen“. Das Thema sei „nicht einfach“, „,man darf die Gefahren nicht ignorieren“.

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GfS: „Nicht zwingend nach vorne drängen“

GfS: Der Konsum von Cannabis ist eine gesellschaftliche Realität und der bisherige Umgang damit hat diverse Nachteile ans Tageslicht geführt. Daher begrüßen wir grundsätzlich die Diskussion über eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene in ganz klaren und engen Grenzen“, schreibt Fraktionschef Christian Sondermann. „Dabei muss der Gesundheitsschutz bei allen Überlegungen im Vordergrund stehen. Einen kommunalen Austausch darüber, ob Siegen Modellregion werden soll, halten wir angesichts der aktuellen Rahmenbedingungen aber für verfrüht. Das Land NRW möchte derzeit gar keine Modellregionen, der Bund dürfte mit dem Gesetzgebungsprozess noch bis weit ins Jahr 2024 hinein beschäftigt sein und grundsätzlich finden wir, dass Siegen sich in dieser Thematik nicht zwingend nach vorne drängen muss. Wir meinen, dass die Erfahrungen beim Verkauf in Abgabestellen auch gerne erstmal in anderen Kommunen gesammelt werden dürfen und sehen Siegen wirklich nicht als einen geeigneten Standort für eine Modellregion an.“

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FDP: „Zunahme von Suchtproblemen“

FDP: „Die FDP-Fraktion im Rat der Stadt Siegen steht einer Legalisierung von Cannabis kritisch gegenüber und lehnt die Teilnahme an einem regionalen Modellprojekt ab“, erklärt Fraktionschef Markus Nüchtern. Die Gründe: „Das sind zum einen Gesundheitsrisiken, denn Cannabis kann gesundheitsschädlich sein und langfristige Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit haben. Cannabis kann süchtig machen und zu einer Abhängigkeit führen. Eine Legalisierung könnte zu einem Anstieg des Konsums führen und somit zu einer Zunahme von Suchtproblemen führen. Insgesamt entwickeln etwa neu Prozent aller Personen, die jemals Cannabis probiert haben, eine Abhängigkeit. Diese Rate beträgt 17 Prozent, wenn der Cannabiskonsum in der Jugend beginnt und 25 bis 50 Prozent, wenn Cannabinoide täglich gebraucht werden. Darum sieht die Weltgesundheitsorganisation Cannabis als eine Einstiegsdroge an. Besonders für Jugendliche sehen wir die Gefahr, dass diese mehr Cannabis konsumieren, was gerade in der Wachstumsphase negative Auswirkungen hat. Weiter sehen wir die Gefahr, dass eine Legalisierung zu einem Anstieg von Verkehrsunfällen führen kann, die durch den Konsum von Cannabis verursacht werden.“

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Linke: „Feste Abgabestellen in der Innenstadt“

Linke: „Seit Jahren gibt es immer wieder Diskussionen und Debatten um das Thema der Legalisierung von Cannabis“, schreibt Fraktionsgeschäftsführerin Melanie Becker. „Die frühere Drogenbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland, Daniela Ludwig, kann keine mit Fakten belegten Argumente nennen, welche ihre Verweigerungshaltung stützen würden. Auch eine Umfrage in Apotheken aus dem Jahr 2020 zeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung für eine kontrollierte und legale Abgabe von Cannabis ist. Zudem werden die Strafverfolgungsbehörden durch eine Legalisierung entlastet. Wir wollen hier Siegen zu einer Modellstadt machen, das Projekt soll wissenschaftlich begleitet werden. Es sollen feste Abgabestellen in der Innenstadt eingerichtet werden, maximal pro Woche 10 Gramm pro volljährige Person herausgegeben werden. Der Handel bleibt natürlich weiterhin illegal.“

Volt: „Sicheren Konsum gewährleisten“

Volt: „Das Ziel der Bundesregierung, Cannabis schrittweise zu legalisieren und damit den Schutz von Jugendlichen zu verbessern, einen sicheren Konsum zu gewährleisten und die Justiz zu entlasten, unterstützen wir voll und ganz. Volt Siegen ist der Ansicht, dass neue Ansätze in der Cannabispolitik dringend erforderlich sind, da Cannabis trotz seiner Illegalität bereits ein weit verbreitetes Genussmittel in Deutschland ist. Der Konsum ohne klare Regelungen birgt gesundheitliche Risiken und begünstigt den illegalen Handel. Durch die Einrichtung einer Modellregion in Siegen können wir wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über die Auswirkungen einer regulierten Abgabe von Cannabis gewinnen und dadurch einen verantwortungsvollen Umgang fördern.“ Kenny Schulz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Volt Siegen, betont: „Die Einrichtung einer Cannabis-Modellregion in Siegen bietet uns die Möglichkeit, innovative Lösungsansätze zu erproben und den Jugendschutz zu stärken. Gleichzeitig können wir damit einen wichtigen Beitrag zur Entlastung von Justiz und Polizei leisten. Es ist an der Zeit, einen fortschrittlichen und präventionsorientierten Umgang mit Cannabis einzuführen.“ Volt Siegen setze sich dafür ein, dass in einer möglichen Cannabis-Modellregion wie Siegen die Rahmenbedingungen sorgfältig erarbeitet werden. Dabei müssten medizinische, gesundheitliche und soziale Aspekte ebenso berücksichtigt werden wie der Jugendschutz. Die Einbeziehung der Träger und Einrichtungen der Drogenhilfe, wie zum Beispiel die Suchthilfe Siegerland, sei von großer Bedeutung, um die bestmöglichen Ergebnisse zu erzielen.

Wir haben die Fraktionen am Dienstag, 27. Juni, angefragt und eine Antwort bis Freitag, 7. Juli, erbeten. UWG, AfD und Team Dylong haben sich nicht geäußert.

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