Beienbach. Pilotprojekt von Sebastian: Nutzhanf im großen Stil im Siegerland anbauen – die Pflanze ist nahezu komplett verwertbar, ein echter Tausendsassa.

  • Sebastian Schmeck aus Netphen startet ein Pilotprojekt in Netphen-Beienbach mit Nutzhanf
  • Die Pflanze ist genügsam und robust und daher auch für Siegerländer Böden gut geeignet
  • Nutzhanf kann etwa für Viehfutter, Kleidung, proteinreiche Nahrungsmittel verwendet werden

Nach etwa zwei Monaten ist der Hanf schon mannshoch. Sonne, Regen, ausschließlich Gülle zum Düngen und die gute Beienbacher Luft – die Pflanzen gedeihen prächtig. Ende April wurde gesät, im August wird geerntet, dann wird der Nutzhanf, „Futura75“, Sebastian Schmeck deutlich überragen. Der Netphener ist angetreten, um auf einem Feld mitten in der schönsten Siegerländer Natur etwas zu beweisen: Dass man mit Hanf eine ganze Menge machen kann. Vor allem, zur Lösung einiger aktueller Probleme beizutragen; in Sachen Nahrungsmittel, Klima- und Naturschutz.

Der Macher: Aus der Öl- und Gasbranche zur nachhaltigen Nutzhand-Landwirtschaft

In der Öl- und Gasbranche arbeitet Sebastian Schmeck schon seit einiger Zeit nicht mehr. Er war da ziemlich erfolgreich, „aber ich musste mich immer ein Stück weit verstellen“, sagt der 39-Jährige. Gearbeitet habe er lange nur für Geld, als ein Jobwechsel anstand, fragte er sich: Kann ich mich nochmal motivieren, nur für die Kohle? In einer Branche, in der er die Ausbeutung natürlicher Ressourcen so hautnah mitbekam wie in wohl kaum einer anderen Branche? Schmeck ging in den Sozialbereich. Als Alltagsbetreuer hilft er heute einer vollinvaliden Frau.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Vegan lebt er schon länger, hörte erst mit Eiern und Milch auf, dann auch mit Fleisch. Gesunde, ausgewogene Ernährung allein auf Pflanzenbasis ist kein Problem mehr, „ich stemme auch ein bisschen die Eisen“, sagt Schmeck, pflanzliches Protein, nachhaltig hergestellt, gibt’s längst in jedem Lebensmitteldiscounter. Und da stehen auch immer häufiger Hanfprodukte: Öl, Samen, Proteinpulver, Knusperhanf, Snacks. Sebastian Schmeck arbeitete sich ein, erkannte das Potenzial und ging zu Henner Braach.

Der Beienbacher Landwirt war schnell überzeugt von Schmecks Vorhaben: Ein Hanf-Feld zum Testen; Säen, Ernten, Weiterverarbeiten und -verkaufen. „Wir wollen regional zeigen, was geht“, sagt Sebastian Schmeck. Die Hanf-Szene, die die uralte Nutzpflanze wieder verstärkt nutzen will, sei mit viel Leidenschaft dabei. Um Kommerz gehe es dabei kaum. „Da komme ich ja auch her.“ Braach stellte ein Feld zur Verfügung, nun wachsen die charakteristischen Hanfpflanzen neben Spargel und Mais.

Das Projekt: Einmal zeigen, dass Nutzhanf im Siegerland geht – und dann expandieren

Keine Pestizide, keine künstliche Bewässerung oder Gentechnik, die Ressource Hanf wird fast buchstäblich aus dem Boden gestampft, der vorher natürlich kontrolliert wurde. „Man muss nur sehen, dass das Beikraut nicht höher kommt als der Hanf“, sagt Sebastian Schmeck und ärgert sich ein wenig über eine Distel, die er trotz aller Bemühungen wohl übersehen hat. Zuallererst wurde das Feld mit Gülle gedüngt und die sanften Wogen der unterschiedlich hohen Hanfpflanzen lassen erkennen, wo mehr und wo weniger Jauche verteilt wurde.

Kurz nach der Aussaat: Schon die kleinen Pflänzchen zeigen sich sehr robust – und brauchen nur wenig Pflege.
Kurz nach der Aussaat: Schon die kleinen Pflänzchen zeigen sich sehr robust – und brauchen nur wenig Pflege. © Unbekannt | Sebastian Schmeck

Hanf macht es Landwirten einfach, auch im Siegerland, das nicht für seine fruchtbaren Böden berühmt ist. Das will Sebastian Schmeck mit seinem Pilotprojekt zeigen: Einmal das ganze Prozedere von A bis Z – dann haben andere Interessierte eine Blaupause, nach der sie selbst arbeiten können. „Erstmal müssen wir uns erfolgreich beweisen“, sagt Schmeck – Landwirte wollen Zahlen, Daten, Fakten, Erträge. 8000 Pflanzen wachsen in Beienbach, die 25 Kilogramm Samen kosteten 170 Euro, „kein Rieseninvest“, sagt Schmeck. Man muss sich halt kümmern, grade am Anfang gerade in der ersten Zeit, dann wächst der Nutzhanf fast von allein. Pro Pflanze rechnet Schmeck mit einem Ertrag von bis zu 200 Gramm Samen. Und 300 Gramm Biomasse – aus Stängeln, die mehrfach fingerdick werden, und Blättern. Macht 1,6 Tonnen Samen, wenn alles wirklich perfekt und ohne jegliche Einbußen liefe.

So wird der Beienbacher Hanf nach der Ernte weiterverarbeitet

Die Ernte machen sie erstmal von Hand, die Beienbacher Dorfjugend ist schon Feuer und Flamme, weitere Helfer werden aber noch benötigt. Gesät wurde in Reihen, die Helferinnen und Helfer können hindurchschreiten und die Pflanzen abschneiden, derzeit erprobt Sebastian Schmeck schon die beste Technik – welche Scheren sich besonders gut eignen, damit die Hände nicht lahm werden, zum Beispiel. Nach getaner Arbeit wird es auch ein kleines Festival am Hanf-Feld geben, mit Livemusik und allem, was so dazugehört.

In einem Schuppen in Beienbach werden die Hanfpflanzen auf Edelstahldrähte zum Trocknen aufgehängt, später dann die Samen gelöst, aufgefangen und gelagert. Kontakt zu einer Ölmühle gibt es auch schon und jede Menge Expansionspotenzial. „Wir könnten hier in Beienbach zehn Hektar vollmachen“, sagt Sebastian Schmeck. Ziel: Dass jeder, der ein Stück Land übrig hat, dort Nutzhanf anbaut. Aber erstmal wird es eine Herausforderung, erstmal geht es um diese eine Saison, „wir müssen alles daransetzen, dass es jetzt gut läuft“.

Nächstes Jahr könnte blaue Süßlupine auf dem Feld dazu kommen, auch eine Fleischalternative. Dieses Wechselprinzip hat Methode: Die Hülsenfrucht wächst tief in den Boden, bildet dort Knollen, die Nährstoffe für den Hanf in der folgenden Saison einbringen. Geschäfte und Restaurants haben schon Interesse an Hanf-Produkten, es gibt auch erste Ideen für ein Hanf-Bier.

Eigentlich geht es beim Hanf um Tradition – eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt

Das Beienbacher Hanf-Feld ist zwar ein Pilotprojekt, gedacht als moderne, neue, innovative Landwirtschaft. Aber eigentlich geht es um Tradition. Hanf ist eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt – die das Pech hatte, politisch und kulturell aufs Abstellgleis geschoben zu werden. Weil man sich mit manchen Sorten auch zudröhnen kann, was zwar nicht immer sinnvoll und gesundheitsförderlich, zumindest aber auch nicht schädlicher ist, als das Nervengift Alkohol zu konsumieren. Hanf rückt zunehmend heraus aus der Schmuddelecke, zahlreiche US-Bundesstaaten haben die Pflanze voll legalisiert, auch die rauchbaren.

Dazu taugt der Beienbacher Hanf nicht, man müsste die Pflanze kiloweise zu sich nehmen, um eine Art Rausch zu erreichen. Aber sie lässt sich als Nutzpflanze fast vollständig verwerten: 99 Prozent der Pflanze lassen sich nutzen, sagt Schmeck. Öl und nährstoffreiches „Superfood“ aus den Samen – mit Hanf gäbe es wohl so schnell keine leeren Supermarktregale an dieser Stelle mehr –, die Biomasse wird an den Großhandel weiterverkauft. Die Fasern sind als Einstreu nutzbar, für Viehfutter, für Papier oder Kleidung, Sebastian Schmeck will auch entsprechende Startup-Unternehmen unterstützen. „Es muss wieder geil sein, Landwirt zu sein“, findet Sebastian Schmeck, dann erreiche man auch junge Leute wieder.

In Netphen-Beienbach Nutzhanf anbauen – und über Nutzhanf aufklären

Parallel betreibt Sebastian Schmeck Aufklärungsarbeit, in Schulen zum Beispiel. Sein Sohn geht in die dritte Klasse, für ihn will er Vorbild sein, zeigen, dass eine nachhaltige Lebensweise nicht nur möglich, sondern auch recht komfortabel ist. Und bei den wenigen Skeptikern, die Hanf in erster Linie mit Kiffen verbinden. Aber eigentlich, sagt Schmeck, „haben uns alle übelst unterstützt“.

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++

Um alles richtig zu machen – ein so großes Hanf-Feld mitten in der Siegerländer Natur kann durchaus für Irritationen sorgen – hat Sebastian Schmeck das Projekt bei der Polizei angemeldet. Die übernimmt den Objektschutz, die erste Kooperation dieser Art in Nordrhein-Westfalen, „die Szene konnte es gar nicht glauben“, sagt der Projektleiter grinsend. Die Kommunalpolitik ist auch mit im Boot – und begeistert. Denn auch für Kommunen lohnt sich der Hanf-Anbau, erklärt Schmeck: Ein Quadratmeter Hanf-Feld ist für die CO-Bilanz deutlich lohnender als ein Quadratmeter Wald. Und der ökologische Effekt für die Bienen ist auch immens.