Netphen. Ulf Stötzel – ein Porträt: Warum der Siegener Altbürgermeister einen ganz besonderen Bezug zum Aschermittwoch hat .

Er wohnt mit seiner Familie mitten in Netphen. In einem Haus, um 1900 erbaut, das sein Großvater in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts erworben hat, die katholische Kirche auf der einen, das evangelische Gemeindezentrum auf der anderen Seite. Ulf Stötzel: „Die Heiligenscheine überkreuzen sich hier“. Auf dem weitläufigen Grundstück liegen Spielsachen, steht eine Schaukel, sieht es nach Leben aus: Bei gutem Wetter toben hier die Enkelkinder, kann hier gegrillt werden. Die Stötzels sind eine 3-Generationen-Familie.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

Die Kindheit verbrachte der 1939 geborene Ulf in Schlesien. Sein Vater, an der Siegener Wiesenbau-Schule ausgebildet und einst mit 18 Jahren der jüngste Bauingenieur Deutschlands, war dort im Weinort Grünberg nach vorherigen Berufsstationen in Zell an der Mosel und Stolzenau an der Weser zum Kreis-Baumeister berufen worden und damit zuständig für Flussdeiche und die Weinberge. Auch der Weltkrieg bestimmte Ulfs erste Lebensjahre: Eine explodierende Handgranate, deren herumfliegende Splitter seine Mutter verletzten. Dann die Flucht vor der heranrückenden Front durch das brennende Berlin in ein Dorf bei Gera, wo sie vom Bürgermeister in ein kleines Zimmer eingewiesen wurden. Die Mühen der Suche nach Essbarem und dann die Fahrt im offenen Viehwaggon vom Lager Friedland ins zerbombte Siegerland. Ein Glück, dass ihr Haus in Netphen weitgehend unbeschädigt war. Es wurde die provisorische Heimstatt von bis zu 16 Menschen. Kinder mussten schon früh Verantwortung übernehmen und nach der Schule Beeren und Bucheckern sammeln: Diese verkauften sie an Mühlen, die daraus Öl pressten. Manchmal waren auch Tauschgeschäfte möglich: So bekam der kleine Ulf bei der ersten Kirmes nach dem Krieg für zwei Kohlköpfe aus dem eigenen Garten von einem Schausteller 20 Freikarten für die Schiffsschaukel. Halbwegs normal wurde das Leben erst, als der Vater 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft nach Netphen zurückkehrte. All diese Erlebnisse haben Ulf Stötzel tief geprägt und er kann darüber berichten, als wären sie erst gestern geschehen.

+++ Lesen Sie auch: Humorvoller Abschied für das FJM-Urgestein +++

Eigentlich wollte er Flugzeuge bauen

Nach seiner Grundschulzeit in Netphen wechselte Ulf zum FJM-Gymnasium nach Weidenau, wo er 1958 Abitur machte. Sein ehrgeiziger Opa, ein pensionierter Lehrer, gab dem Jungen jahrelang nachmittags „Privatunterricht“ – nicht immer zu dessen Freude. Schon seit früher Kindheit hatte Ulf Stötzel den Wunsch, Flugzeugbauer zu werden. Das entsprechende Studium jedoch war damals noch nicht möglich: Denn in Deutschland durften bis in die 60er Jahre keine Flugzeuge gebaut werden. Also ging er zum Bauingenieur-Studium nach Aachen, wo er im Haus einer Verbindung wohnte. An den 29. Februar 1960, einen Rosenmontag, kann er sich noch genau erinnern: „Da habe ich meine Frau Gisela kennengelernt“. Morgens Klausur, mittags Karnevalszug, den er von seinem Zimmer im 4. Stock perfekt sehen konnte. Doch noch mehr interessierte er sich für die junge Goldschmiedin im Haus gegenüber, mit der er seitdem zusammenlebt. Stötzel: „Der beste Beweis, dass am Aschermittwoch nicht alles vorbei ist.“

Von der Autobahn ins Rathaus

Nach nur neun Semestern schaffte Ulf Stötzel das Examen, erhielt seine erste Stelle in Köln und wechselte 1964 als Planungschef zum Straßenneubauamt. Er plante die Auffahrten Siegen-Süd und Siegen-Mitte sowie den Zubringer hoch zum Siegerlandflughafen. Zwei Jahre später die nächste Veränderung: Amtsbaumeister in Netphen, einem Bezirk, der damals aus 32 kleinen Gemeinden bestand, zu denen mit Breitenbach, Feuersbach, Setzen auch Orte gehörten, die später der Stadt Siegen zugeteilt wurden. Weitere Beförderungen zum 1. Beigeordneten und anschließend zum Gemeindedirektor folgten. Seine kommunalpolitische Erfolgsgeschichte kann sich sehen lassen: Telekom nach Netphen geholt, Freizeitpark, Sportplätze, Geschäftszentren, Feuerwehrhäuser, Baugebiete. Und: Die Einwohnerzahl entwickelte sich von knapp 19.000 auf 25 000. „Die ha mr Seje geklaut“, schmunzelt Ulf Stötzel, was aber auch bedeutet, dass sich Netphen fortan Stadt nennen kann. Vor allem war er aber immer ein ganz normaler, bodenständiger Netpher, engagiert in vielen Vereinen und auch als aktiver Sportler: Als Handballer beim TVE Netphen und als Fußballer in der „Dritten Welle“. Er schmunzelt, wenn er sich daran erinnert, dass eine alte Netpherin in sein Bürgermeister- Büro kam und sagte: „Herr Stötzel, each moss dr moa wat säh.“ Mehr Kompliment für seine Bürgernähe geht eigentlich nicht.

+++ Lesen Sie auch: FDP ehrt drei Preisträger mit dem Siegerländer Haubergsknipp +++

Angebot auf der Fahrradtour

Wozu eine Fahrradtour nicht alles gut ist: Diese sogenannte „Mühlentour“ durch das Netpherland machte Ulf Stötzel im Sommer 1996 mit dem legendären Siegener CDU-Kommunalpolitiker und Amtsrichter Heinz Holzäpfel, der ihn unterwegs fragte: „Wollen Sie nicht Stadtdirektor in Siegen werden?“ Er sagte „Ja“, verlor jedoch bei der Abstimmung mit einer Stimme, dem knappsten aller Ergebnisse, gegen den SPD-Mann Ulrich Mock. Kurz danach bei der Kommunalwahl 1999 nahm Stötzel einen zweiten Anlauf, diesmal um das Amt des Bürgermeisters, das ab da hauptamtlich geführt wurde. Er trat also ein zweites Mal gegen den erfahrenen Siegener Mock an. Das hieß für ihn, von Montag bis Freitagnachmittag Politik für Netphen zu machen und von da an bis Sonntag Wahlkampf in Siegen, dort Vereine und Feste zu besuchen, sich vorzustellen, mit den Menschen zu sprechen. Ein Knochenjob, von dem er heute sagt: „Da haben meine Frau und die Familie einiges mitgemacht“.

Das Wahlergebnis kann man nur als einen politischen Erdrutsch bezeichnen: Die CDU holte sämtliche Wahlkreise direkt und alle wussten, wem sie das zu verdanken hatten: Ulf Stötzel. Nach dem Grund seiner Beliebtheit gefragt, sagt er: „Ich mag die Menschen.“ Das verschaffte ihm den großen Vorsprung auf den SPD-Bewerber, der vielen Bürgern trotz seiner politischen Kompetenz als zu unnahbar erschien. Stötzels Amtszeit war von spektakulären Veränderungen in Siegen geprägt: Ansiedlung von Ikea, Krönchen Center, Foyer der Siegerlandhalle, Umwandlung des Heidenbergs… Und vor allem der Bau des Apollo-Theaters, dessen Planung er von Anfang an begleitete, dessen Grundstein er höchstpersönlich gelegt hatte. „Ein Wunder ist geschehen“, war der erste Satz der Rede, die Bürgermeister Ulf Stötzel bei der Einweihung des Apollo am 31. August 2007 hielt. Wohl wahr, zumal die Kosten für dieses große Projekt im Rahmen der Planungen geblieben waren.

+++ Lesen Sie auch: Empfang für Alt-Bürgermeister Ulf Stötzel +++

Klavier spielen und Theater sehen

Im gleichen Jahr endete die Amtszeit von Ulf Stötzel. Aber nicht, weil er abgewählt wurde. Er hatte kurz vorher seinen 68. Geburtstag gefeiert und damit das Höchstalter für Beamte erreicht. Am 30. September, als die Glocke der nahen Nikolaikirche nachts zwölf Mal schlug, gab er sämtliche Schlüssel des Rathauses an seinen Nachfolger Steffen Mues weiter, der seitdem Bürgermeister der Universitätsstadt Siegen ist. Der „Altbürgermeister“ erinnert sich: „Trotz der nächtlichen Stunde waren über 50 Gäste dabei, Familie, Mitarbeiter, Freunde. Ich hatte alle meine Sektflaschen aus dem Keller geholt.“

Doch Ulf Stötzel „hat noch lange nicht fertig“. Er engagiert sich für das Siegerlandmuseum, hat mitgeholfen, dass die Käner Weißtalhalle erhalten bleibt und für Veranstaltungen aller Art gebucht wird. Ebenso war es sein Anliegen, den Bestand der Freibäder Kaan-Marienborn und Geisweid zu sichern, wobei umfangreiche, kostspielige Sanierungen nötig waren. Und in seinem Heimatverein, dem TVE Netphen, ist er Ehrenvorsitzender. Wenn er gebraucht wird, ist er da, wenn er gefragt wird, gibt er Ratschläge. Aber immer wieder betont er in seiner direkten Siegerländer Art: „Each ha nix meh zoa schwätze on nix meh zoa säh.“ Denn zu sagen und zu entscheiden hatte er ja jahrelang genug. Entspannt kann er nun mehr Zeit mit seiner Familie verbringen, in Ruhe Klavier spielen oder mit seiner Frau ins Apollo gehen, das es sicherlich ohne sein unermüdliches Engagement nicht gegeben hätte.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++