Hilchenbach. „Erschütternd“: Corona wirkte wie ein Brennglas, so die Therapeutin der Kinderklinik-Beratungsstelle Siegen. Eine ganz schwere Zeit für Kinder.

Die Pandemie, sagt Antje Maaß-Quast, „hat wie ein Brennglas gewirkt: Was schlimm war, ist noch schlimmer geworden. Für Kinder war das eine ganz schwere Zeit. “ Die Therapeutin der Ärztlichen Beratungsstelle gegen Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern und Jugendlichen berichtet im Hilchenbacher Sozialausschuss von „ständig steigenden Fallzahlen“ – aktuell suchen in der Einrichtung an der Kinderklinik rund 300 Kinder und Jugendliche im Jahr Unterstützung. Vor zehn Jahren, als sie ihren Dienst antrat, waren es gerade einmal 90, erinnert Antje Maaß-Quast.

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Beratung wie in Siegen gibt es selten

Mehr als ein Viertel der Hilfe suchenden Kinder erfahren häusliche Gewalt und emotionale Misshandlung, „besonders seit Corona“. Jeweils rund 20 Prozent der Fälle haben mit sexuellem Missbrauch, körperlicher Misshandlung und Vernachlässigung zu tun. Diese jungen Menschen brauchen Hilfe von dafür ausgebildetem Personal, betont Antje Maas-Quast, die sich erst seit zwei Jahren mit einer Kollegin anderthalb Stellen teilt. „Erziehungs- und Familienberatungsstellen sind damit überfordert.“ Der Einzugsbereich der Siegener Beratungsstelle ist groß, die nächste dieser Art findet sich in Datteln.

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Als „Clearing“ bezeichnet die Therapeutin die Kernaufgabe der Einrichtung, die bei Bedarf auf die Kompetenzen der Kinderklinik zurückgreifen kann. Wenn Art und Umfang des Unterstützungsbedarfs geklärt sind, erfolgt die Überweisung an die jeweiligen Fachstellen. Wenn regelrechte Therapie erforderlich wird, müssen die Klienten warten: „Das ist genauso schwierig wie bei Erwachsenen.“ Oft reichen aber auch Angebote der Jugendhilfe. Und alternativ die Klinik: „Eine stationäre Krisenintervention kann unglaublich hilfreich sein.“ Weil auch sie die Entlastung der Familien bewirkt, in der die Belastung für das Kind entsteht: „Wir bieten Hilfemaßnahmen für die ganze Familie an.“ Manchmal wird ein Kind aber auch vorübergehend aus der Familie herausgenommen.

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Hinschauen, nicht wegschauen

Zweite Aufgabe der Beratungsstelle ist Fachberatung „für alle Menschen, die mit Kindern zu tun haben“, sagt Antje Maaß-Quast und formuliert das Ziel: „Hinschauen, nicht wegschauen.“ Überwiegend seien es Mütter, die ihre Kinder zur Beratung anmelden, durchaus aber auch das Jugendamt oder der Opferschutz der Polizei. Der Großteil der Betroffenen ist im Grundschulalter – sie haben in der Regel, so die Statistik, sieben Mal um Hilfe gerufen, bevor sie gehört wurden, wobei schon der Weg zum ersten Hilferuf lang sein kann: Die Kinder wollen ihr Zuhause schützen.

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Nichts tun helfe aber nie, betont Antje Maaß-Quast: „Das fällt Ihnen später um die Ohren.“ Gespräch und Therapie müssten stattfinden, „damit ich nicht Anfang 20 oder Anfang 30 in der Psychiatrie lande“. Bei den Mädchen ist es häufig sexueller Missbrauch, der in die Beratungsstelle führt, vertreten sind alle Altersgruppen bis zum 18. Geburtstag. Die Jungen sind überwiegend im Grundschulalter, sie haben meist körperliche Misshandlung erlitten.

„Erschütternd“ nennt Betty Roth (SPD) den Bericht aus der Beratungsstelle, der „sehr traurig“ stimme: „Es bleibt nichts versteckt.“ Ohne Unterstützung brächen die in der Kindheit und Jugend erlittenen Verletzungen noch im mittleren Alter auf.

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