Siegen. Die Streits in Beziehungen haben sich während der Pandemie oft verschärft. Simone Weiß, Leiterin der EFL Siegen, erklärt Gründe und gibt Tipps.
Pandemie zeigt zwischenmenschliche Nebenwirkungen. Konflikte in Beziehungen haben sich innerhalb der vergangenen zweieinhalb Jahre bei vielen Paaren verschärft. „Bei den Themen hat sich nichts geändert – aber was die Intensität angeht“, beschreibt Simone Weiß, Leiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle (EFL) des evangelischen Kirchenkreises Siegen, ihre Beobachtungen. „Wir müssen oft tiefer schürfen, um die Konflikte aufzulösen.“
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„Corona wirkt wie ein Brennglas“, sagt die Diplom-Psychologin. Schwierigkeiten, die bereits vorher bestanden haben, hätten sich intensiviert und verhärtet. Mitunter seien Paarkonflikte auch durch familiäre Konflikte ausgelöst worden – etwa, wenn Eltern oder Schwiegereltern im selben Haus oder der unmittelbaren Nachbarschaft wohnten und es in diesen Konstellationen Spannungen gegeben habe.
Siegen: Während der Lockdowns hockten Paare aufeinander – das verschärfte Konflikte
Vor allem während der Lockdowns hingen die Menschen aufeinander, oft ohne Möglichkeit, dieser räumlichen Enge zu entgehen. Dazu kamen Herausforderungen wie Homeoffice und Homeschooling. Gerade in Haushalten mit Kindern gab es häufig, „weniger Paarzeit“, wie Simone Weiß sagt – also Zeit für erfüllende und Nähe fördernde Zweisamkeit. Gemeinsame Unternehmungen waren zeitweise ebenfalls kaum oder nur sehr eingeschränkt möglich. Letzteres gilt auch für viele Hobbys, denen Menschen unabhängig vom Partner oder der Partnerin zum Abschalten und Kraft tanken nachgehen. Unterm Strich: Idealer Nährboden, um einander auf die Nerven zu gehen.
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Der einzige Streitpunkt, der während der Pandemie „gefühlt weniger“ geworden sei: „Fremdgehen“, sagt die EFL-Leiterin. Ansonsten sei es durch die Bank ärger geworden: Konflikte wegen Uneinigkeit in Erziehungsfragen, wegen unterschiedlich ausgeprägten Engagements im Haushalt, wegen des Alkoholkonsums eines Partners. „Klassisch“, sagt Simone Weiß, sei das Problem, „dass sich einer – oder beide – zu wenig gesehen oder wertgeschätzt fühlt“ – etwa, wenn die Frau den Eindruck habe, dass die Betreuung des Homeschoolings der Kinder überwiegend oder allein an ihr hängenbleibe.
Siegen: Nachfrage nach psychologischer Beratung ist während der Pandemie gestiegen
Das Team der EFL merkt die Verschärfung nicht so sehr daran, dass die Zahl der Hilfesuchenden gestiegen ist, sondern daran, dass es oft mehr Termine als früher braucht, um Situationen zu verbessern. Auch den Nachfrageknick während der Sommermonate „hatten wir seit Corona nicht mehr“, sagt Simone Weiß. „Wir haben seit Beginn der Pandemie sehr viel zu tun.“ Dabei kommen nicht nur Paare, sondern auch viele Einzelpersonen, die beispielsweise unter Ängsten oder Einsamkeit litten. Angesichts der langen Wartelisten bei Therapeutinnen und Therapeuten sei die EFL für viele eine Anlaufstelle.
Besonderheiten in der Pandemie: Fokus aufs Negative und vollendete Tatsachen
Zwei Aspekte seien für die zurückliegenden zweieinhalb Jahre speziell, erklärt Simone Weiß:
• „Wegen Corona hatten viele den Fokus nur noch auf negative Dinge. Und wo man hinguckt: Das mehrt sich.“
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• „Corona hat Fakten geschaffen.“ In zwischenmenschlichen Beziehungen gehe es immer ums Aushandeln. Doch das Virus und die damit verbundenen Einschränkungen hätten die Menschen „vor vollendete Tatsachen gestellt und ihnen keine Zeit gelassen“ – etwa beim Homeschooling, das die Familien von Jetzt auf Gleich bewältigen mussten. In dieser Lage „haben viele Paare einfach funktioniert und funktioniert und funktioniert – obwohl man vielleicht frustriert war“. Als die Lockerungen kamen, wurde der Blick dann wieder klar für die Dinge, die nicht gut laufen, und die sich bei freier Sicht zum Teil als recht massiv darstellten. „Aber vorher im Hamsterrad haben sie nur das Rad gesehen.“
Siegen: So hilft das Team der Ehe-, Familien- und Lebensberatung Paaren bei Konflikten
• „Häufig stellen wir in der Paarberatung fest: Beide wollen dasselbe“, betont Simone Weiß. Woran es dann trotz solcher Einigkeit hapert, wollen die Fachleute gemeinsam mit den Ratsuchenden herausarbeiten. „Wer braucht was? Was sind die Wünsche und Bedürfnisse? Wer hat welche Ressourcen?“ gibt die Leiterin Beispiele für grundlegende Fragen und Herangehensweisen. Wichtig sei außerdem, zu entschlüsseln, welcher Konflikt hinter dem Problem liegt. „Es geht ja meist nicht tatsächlich um das Einräumen der Spülmaschine“, erläutert Simone Weiß – sondern vielleicht eher darum, dass einer von beiden das Gefühl hat, sein Einsatz für das Gelingen des gemeinsamen Alltags werde vom anderen nicht wahr- oder einfach als selbstverständlich hingenommen.
Häusliche Gewalt
Ein Sonderfall bei den Paarproblemen: häusliche Gewalt. Die hat bekanntermaßen während der Pandemie zugenommen.
„Da waren dann schon im Vorhinein Konflikte“, sagt Simone Weiß von der EFL. In den Lockdowns hätten die Beteiligten dann oft keine Möglichkeiten mehr gehabt, einander auszuweichen.
Der Rat, Frauen sollten Partner in solchen Situationen doch einfach verlassen, sei von außen sehr leicht gesagt, kommentiert Simone Weiß. In der Realität sei die Sache aber sehr viel komplizierter. Häufig bestünden finanzielle oder emotionale Abhängigkeiten, es gebe in der Beziehung vielleicht Kinder und die Opfer seien massiv verunsichert. Das EFL-Team zeige Optionen auf, was Betroffene tun können – etwa durch Hinweis auf das Frauenhaus. „Aber die Frau entscheidet“, betont Simone Weiß. Wichtig sei, zunächst den Selbstwert wieder aufzubauen.
• Hilfreich könne auch sein, die Aufmerksamkeit bewusst zu lenken. Wenn Menschen überwiegend nur noch das Negative sehen, sollte man gezielt auf das schauen, was gut läuft. „Das gilt auch für alte Erinnerungen“, ergänzt Simone Weiß. „In was haben Sie sich beim anderen verliebt? Was ist Ihnen gelungen?“
• „Ganz wichtig“, hebt die Beraterin hervor: qualitativ hochwertige Paarzeit – weil sie Beziehungen festigt und Menschen vor Augen führt, was sie aneinander haben und schätzen. Hilfe wie die der EFL in Anspruch zu nehmen sei da bereits ein Schritt. „Es ist schon Paarzeit, wenn die Leute zu uns kommen“, sagt Simone Weiß. Dahinter steht immerhin die Entscheidung, sich als Paar intensiv miteinander beschäftigen zu wollen. „Schon, wenn sie sich auf den Weg zu uns machen, verändert sich etwas.“
Pandemie: Manche Paare genossen die gemeinsame während der Lockdowns auch sehr
Übrigens ist es nicht so, dass die zwangsweise miteinander verbrachte Zeit während der Pandemie grundsätzlich zu Belastungen geführt habe, hebt die Psychologin hervor. „Es gibt auch den gegenteiligen Fall: Dass Paare es sehr genossen haben, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Aber die landen dann nicht bei uns.“
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