Siegen. Väter sind für die Entwicklung des Kindes von größter Bedeutung, ist Prof. Frank Dammasch überzeugt. Hier erklärt er, was gute Väter ausmacht.

Dass Väter wichtig sind, ist zwar klar. Ihre Rolle befindet sich aber genauso wie das Männerbild im Wandel. Prof. Frank Dammasch, analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut mit einer Professur für psychosoziale Störungen an der Frankfurt University of Applied Sciences in Frankfurt am Main, ist auf das Thema spezialisiert. Bei einer sozialpädagogischen Fachtagung am Berufskolleg Allgemeingewerbe, Hauswirtschaft und Sozialpädagogik in Siegen erörterte er die Bedeutung des Vaters mit Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern in der Erzieher*innenausbildung – und gibt im Gespräch mit Florian Adam Einblicke.

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Steigen wir direkt voll ein: Was macht einen guten Vater aus?

Prof. Frank Dammasch: Ein guter Vater ist ein Vater, der seine Kinder liebt und eine genügend gute Beziehung zu seiner Frau hat. Er sollte Mutter und Kind auch für sich sein lassen können und den Rahmen für eine gute Mutter-Kind-Beziehung ermöglichen. Er sollte also weniger eine zweite Mutter sein, weil es für die Kindesentwicklung wichtig ist, dass er die Differenz in die Beziehung zum Kind einbringen kann. Vater und Mutter sind gleichwertig und gleichberechtigt – aber eben nicht gleich.

Prof. Frank Dammasch, analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, forscht unter anderem zur Bedeutung des Vaters und zu Jungen- und Männlichkeitsentwicklung. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Fachbücher und -artikel.
Prof. Frank Dammasch, analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut, forscht unter anderem zur Bedeutung des Vaters und zu Jungen- und Männlichkeitsentwicklung. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Fachbücher und -artikel. © WP | Florian Adam

Siegen: Unterschiede zwischen den Geschlechtern haben Einfluss auf die Elternrollen

Das klingt, als sei es sehr von der Annahme grundlegender Unterschiede zwischen den Geschlechtern geprägt. Welche sollen das sein?

Das ist eine Frage, die die Wissenschaft seit ewig beschäftigt. Was ist Gesellschaft, was ist Natur? Ich glaube, es gibt eine biologische Grundkonstante: Das Kind ist neun Monate lang im Bauch der Mutter, sie hat Brüste und stillt den Säugling. Das lässt sich nicht wegdekonstruieren. Der Vater kommt als Dritter hinzu.

Zur Person

Prof. Dr. phil. Frank Dammasch, Diplom-Soziologe und Diplom-Pädagoge, ist analytischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut. Er hat die Professur für psychosoziale Störungen im Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Seine Forschungsschwerpunkte sind Vaterbedeutung, Jungen- und Männlichkeitsentwicklung, ADHS, Modernisierungsprozesse und Migration. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Fachartikel und Fachbücher.

Seine Mitwirkung an der Fachtagung am Berufskolleg AHS in Siegen kam über den ebenfalls beteiligten Kinder- und Jugendlichen-Psychoanalytiker Heribert Kellnhofer aus Weidenau zustande.

„Hinzukommen“ hört sich etwas unverbindlich an.

Nein. Es gibt Forschungen, die belegen, dass das Kind schon sehr früh mehrere Beziehungen aufnehmen kann. Die Gebär- und Stillpotenz liegt aber nun einmal bei der Mutter. Die Frage ist: Wie geht der Mann damit um, dass Kind und Mutter da etwas Besonderes haben? Fühlt er sich ausgeschlossen? Der Vater ist zwar von Anfang an da, wird aber erst später relevant. Gerade für engagierte Väter ist das etwas, das sie aushalten müssen.

Siegen: Erziehung und Entwicklung profitieren vom „väterlichen Prinzip“

Nicht immer sind Eltern zu zweit. Und selbst wenn: Nicht immer sind sie unterschiedlichen Geschlechts.

Es geht in der Beziehung zum Kind vor allem um das „väterliche Prinzip“. Das ist aber nicht an ein Geschlecht gebunden. Die Mutter zum Beispiel hat eigene biografische Erfahrungen mit ihrem Vater und und anderen Männern, die sie verinnerlicht hat. Daher denkt sie im Unbewussten das Väterliche auch immer mit. Sie trägt quasi auch einen Vater in sich.

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Gehen wir der Einfachheit halber mal davon aus, dass das väterliche Prinzip in erster Linie von einem männlichen Elternteil eingebracht wird. Was sollte ein Vater tun?

Von „sollte“ zu reden, ist schwer – das hat schnell etwas Normatives...

… und wird dann der Vielfalt menschlicher Individualität nicht gerecht, klar. Aber wie wären die Tendenzen?

Männer zeigen sich insgesamt etwas aggressiver und etwas rougher im Umgang mit dem Kind. Sie sind fordernder, kämpfen und toben eher. Die Mutter zeigt mehr Sorge um die körperliche Unversehrtheit ihres Nachwuchses. Auch, wenn das ein Geschlechterklischee ist: Es ist eine empirische Beobachtung in vielen Studien. Das Männliche steht auch dafür, aggressive Affekte im Spiel zu regulieren und hilft dabei dem Jungen, die eigene Aggression produktiv in Besitz zu nehmen, statt eine zu große Vorsicht auszuprägen, die entwicklungshemmend wirken kann. Der Vater bringt dem Sohn also eher die Grenzüberschreitung bei – allerdings im Idealfall eine, die den Rahmen der sozialen Rücksichtnahme nicht überschreitet.

Der Siegener Kinder- und Jugendlichen-Psychoanalytiker Heribert Kellnhofer (links) hat den Besuch von Prof. Frank Dammasch am Berufskolleg AHS vermittelt. Der Frankfurter Experte beteiligt sich dort an einem Workshop in der Erzieher*innen-Ausbildung.
Der Siegener Kinder- und Jugendlichen-Psychoanalytiker Heribert Kellnhofer (links) hat den Besuch von Prof. Frank Dammasch am Berufskolleg AHS vermittelt. Der Frankfurter Experte beteiligt sich dort an einem Workshop in der Erzieher*innen-Ausbildung. © Berufskolleg AHS Siegen

Erziehung: Nur 28,5 Prozent der Männer sehen sich als „egalitäre Väter“

Da gibt es aber auch eine Menge Frauen, die das tun.

Darum ja „väterliches Prinzip“. Das ist der Ausweg, um nicht in Geschlechterstereotype zu gehen.

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Die Abkehr von Stereotypen erfordert von Menschen die Offenheit, sich mit der eigenen Rolle ernsthaft auseinanderzusetzen. Wie weit sind die Väter da?

In einer Studie in Frankfurt mit 1500 Beteiligten zeigte sich, dass sich rund 28,5 Prozent der Väter als „egalitäre Väter“ sahen. Gleichwertigkeit zwischen den Eltern ist eine gute Voraussetzung, damit das Kind von beiden lernen kann. Vor allem der Junge braucht den Vater, um sich selbst mit dem Vater identifizieren zu können – inklusive dessen, wie der Vater die Mutter und die Weiblichkeit sieht. Aufgabe des Vaters ist dabei auch, die eigenen männlichen und weiblichen Seiten in sich zu integrieren und seinem Kind vorzuleben.

Also das jeweilige Prinzip?

Genau.

Aber was heißt all das auf der Verhaltensebene?

Der egalitäre Vater sollte natürlich auch mal nachts aufstehen, wenn das Kind schreit, sollte es wickeln und später auch mal zum Elternabend gehen. Was das betrifft, muss man allerdings sagen: Viele Männer zeigen sich zwar verbal flexibel, neigen aber gleichzeitig zu einer gewissen Verhaltensstarre.

Siegen: Bedeutung der Väter steigt – doch Druck auf Mütter nimmt zu

Eine sehr diplomatische Formulierung. In de Hoffnung, dass Männer ihren Worten an solchen Stellen Taten folgen lassen – was sollten sie dem Nachwuchs noch mitgeben?

Der Vater hat auch die Funktion des Störenfrieds – aber des produktiven Störenfrieds. Das mütterliche Prinzip schließt das Zusammenhaltende, das Integrierende ein. Der Vater dagegen ist der Organisator der Trennungskompetenz und eröffnet dem Kind dadurch zusätzliche Räume und Möglichkeiten. Der Vater muss aber auch Kränkungen aushalten, wenn das Kind beispielsweise manche Dinge lieber mit der Mutter machen möchte. Da bei Männern der Narzissmus meist stärker ausgeprägt ist als bei Frauen, sollte der moderne Mann also auch an seinem Narzissmus arbeiten – und einsehen, dass er nicht immer nur bewundert werden kann.

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Früher wurde die Rolle des Vaters oft als die eines Menschen gesehen, der auf die Arbeit geht und somit meist weg ist, irgendwann nach Hause kommt und dann auch unsympathische Aufgaben übernimmt – Abteilung „Warte, bis der Papa wieder da ist!“. Ist die Bedeutung des Vaters in der allgemeinen gesellschaftlichen Wahrnehmung größer geworden?

Etwas schon. Aber aus meiner klinischen Erfahrung heraus glaube ich eher, dass die Bedeutung der Mutter und ihre Arbeitsbelastung größer geworden. Sie kriegt das Kind, steht aber inzwischen unter dem Druck, so bald wie möglich in die Arbeitsgesellschaft zurückkehren zu müssen. Väter, könnte ich bösartig sagen, können sich immer noch viel mehr Rosinen rauspicken. Für egalitäre Väter ist das natürlich schwieriger. Aber wohlbemerkt: Das sind nur 28,5 Prozent.

Erziehung: Auch bei Alleinziehenden gibt es „väterliches“ und „mütterliches Prinzip“

Bisher sprechen wir über Familien mit zwei Elternteilen. Was ist mit Alleinerziehenden?

Es gibt Alleinerziehende, die für sich selbst akzeptieren, dass sie alleinerziehend sind. Andere haben bald wieder einen Partner oder eine Partnerin. Wenn Alleinerziehende auch den Raum zum Fremden öffnen können, kommt als väterliche Bezugsperson beispielsweise auch ein sozialer Vater, zum Beispiel ein Kinderarzt oder ein Erzieher in Frage. Weil es um das väterliche und das mütterliche Prinzip geht, muss es dabei nicht immer ein Mann sein. Entscheidend ist es, die Erfahrung von Differenz zu ermöglichen. Schwierig wird es erst, wenn Alleinerziehende sich nur auf ihr Kind beziehen und das Kind als Teil des eigenen Selbst sehen.

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