Siegen. Immer mehr Menschen muslimischen Glaubens wollen sich in Siegen bestatten lassen. Doch dazu müssen Friedhöfe spezielle Anforderungen erfüllen.

Für Menschen muslimischen Glaubens stehen mittelfristig in Siegen zu wenig Grabflächen zur Verfügung. Die Stadt plant nun die Erweiterung zweier Grabfelder auf dem Lindenbergfriedhof. Zu entscheiden hat der Ausschuss für Umwelt, Klima und Energie am Dienstag, 29. November.

Siegen: Warum braucht es für Menschen muslimischen Glaubens Extra-Grabfelder?

Während die Ausrichtung von Gräbern in Deutschland für gewöhnlich nach den topographischen Gegebenheiten des jeweiligen Friedhofs vorgenommen wird, müssen muslimische Gräber nach Mekka ausgerichtet sein. Außerdem ist Verstorbenen, wie in der Vorlage erläutert ist, nach dem muslimischen Glauben „möglichst ein ewiges Ruherecht einzuräumen, wodurch prinzipiell nur Wahlgrabstätten nachgefragt und belegt werden dürfen“. Diese können im Gegensatz zu Reihengräbern nach Ablauf der Nutzungsfrist regelmäßig nacherworben werden. Der Platzbedarf für die Grabstätten fällt in jedem Fall höher aus – auch, weil Urnenbestattungen für Musliminnen und Muslime unüblich sind.

Die Nachfrage nach muslimischen Grabstätten in Siegen steigt. Die Stadt möchte die sogenannten Sondergradfelder auf dem Lindenbergfriedhof erweitern. (Symbolbild)
Die Nachfrage nach muslimischen Grabstätten in Siegen steigt. Die Stadt möchte die sogenannten Sondergradfelder auf dem Lindenbergfriedhof erweitern. (Symbolbild) © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Steigt der Bedarf an Grabflächen für Muslime in Siegen?

Ja. Auf dem Lindenbergfriedhof besteht seit Mitte der 1990er Jahre die Möglichkeit, Beisetzungen nach muslimischem Bestattungsritus durchzuführen. Seitdem wurden dort mehrere Sondergrabfelder angelegt. Doch „in den letzten beiden Jahren ist die Zahl der muslimischen Beisetzungen von Verstorbenen ab dem vollendeten 5. Lebensjahr sprunghaft angestiegen“, wie die Verwaltung schreibt: 2020 waren es 36, im Jahr darauf 29.

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Ein Grund ist, dass Verstorbene wegen der Pandemie nicht in ihre Heimatländer überführt werden konnten. Gleichzeitig aber wollen inzwischen mehr Menschen muslimischen Glaubens gar nicht mehr in anderen Ländern bestattet werden, wie Nando Rujanski, Leiter der Arbeitsgruppe Friedhöfe und stellvertretender Abteilungsleiter der Grünflächenabteilung der Stadt Siegen, im Gespräch mit der Redaktion erklärt. Dies gelte zum Beispiel oft für Musliminnen und Muslime, deren familiäre Wurzeln in Osteuropa liegen: „Das ist auch ein Zeichen von Integration.“

Der Lindenbergfriedhof in Kreuztal hat einen ausgeprägt parkähnlichen Charakter: Es gibt viel alten Baumbestand.
Der Lindenbergfriedhof in Kreuztal hat einen ausgeprägt parkähnlichen Charakter: Es gibt viel alten Baumbestand. © WP | Florian Adam

Wie dringend werden in Siegen weitere muslimische Grabfelder benötigt?

Da bei weitem nicht alle Kommunen in Deutschland muslimische Bestattungen ermöglichen, wurden auf dem Lindenbergfriedhof auch Verstorbene dieses Glaubens aus Städten und Gemeinden von außerhalb beigesetzt. Der Verwaltungsvorstand entschied deshalb im März, das Angebot auf Bürgerinnen und Bürger der Stadt Siegen zu begrenzen. Im näheren Umkreis haben laut Vorlage lediglich Attendorn, Olpe und Betzdorf muslimische Grabfelder, halten diese aber weitestgehend nur für ihre eigenen Bürgerinnen und Bürger vor. Kreuztal plant Sondergrabfelder für den Friedhof in Krombach, Freudenberg für den Friedhof in Büschergrund.

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Trotz der Beschränkung und trotz der bereits erfolgten Erweiterungen ist in Siegen aber ein Ende der Kapazitäten in Sicht. „Setzt man die derzeitigen Bestattungszahlen Verstorbener ab dem vollendeten 5. Lebensjahr der letzten drei Jahre von im Schnitt etwa 25 Bestattungen pro Jahr ins Verhältnis mit den seit 2021 zur Verfügung stehenden Grabstellen von etwa 140 Stück, ergibt sich hieraus eine Verfügbarkeit von Bestattungsplätzen für die nächsten fünf bis sechs Jahre beginnend mit dem Jahr 2021“, rechnet die Verwaltung in der Vorlage vor. Dabei seien Kindergrabstätten sowie Beisetzungen von Tot- und Fehlgeburten nach muslimischem Ritus „sogar noch unberücksichtigt“.

Wie werden die zusätzlichen muslimischen Grabfelder in Siegen angelegt?

Für die Erweiterung der Sondergrabfelder 83/84 und 85 bis 87 auf dem Lindenbergfriedhof „sind die abschnittsweise Rodung der angrenzenden etwa 7.100 Quadratmeter großen Gehölzfläche und im Anschluss Erdarbeiten insbesondere in Form von Bodenauftrag auf dem Urgelände erforderlich“, wie die Verwaltung darlegt. Für Baumfällungen sind Ersatzpflanzungen angekündigt.

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Die Ausrichtung nach Mekka übernimmt die städtische Vermessungsabteilung, erklärt Nando Rujanski. Ansonsten sei keine besondere Präparierung des Geländes notwendig. Dass nach muslimischem Bestattungsritus Tote im Leichentuch ohne Sarg beigesetzt werden, „ist eigentlich besser, weil keine zusätzlichen Fremdkörper in die Erde gelangen“.

Nehmen wegen der muslimischen Grabfelder die Kapazitäten für andere Gräber ab?

Faktisch nicht. Was die Nutzung des Areals als Friedhof anbelangt, ist eher von einem gegenteiligen Effekt auszugehen – denn in der Gesellschaft insgesamt vollzieht sich seit Längeren schon ein Wandel in der Bestattungskultur, der den Platzbedarf signifikant senkt.

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„Der Trend geht von der Erd- zur Urnenbestattung“, sagt Nando Rujanski. „Das sieht man vor allem an der hohen Nachfrage im Friedhofswald.“ In Siegen lag der Anteil der Urnenbeisetzungen im Jahr 2021 bei 75 Prozent. Und weil die Menschen heute mobiler seien und die Mitglieder von Familien deshalb häufig verstreut lebten, gebe es zudem einen zweiten „Trend hin zu pflegearmen Grabanlagen“, etwa mit einer schlichten Grabplatte auf dem Rasen. Der Platzbedarf ist auch hier geringer als bei traditionellen Gräbern, und die Pflege übernimmt die Friedhofsverwaltung. Diese Entwicklungen „können sich natürlich auch wieder umkehren“, sagt der Experte. Darum sei es auch nicht sinnvoll, Brachflächen auf bestehenden Friedhöfen sofort umzuwidmen – weil niemand weiß, was kommt. Diese Tendenzen seien allerdings vor allem auf größeren Friedhöfen in urbaneren Bereichen zu verzeichnen, wie Nando Rujanski anmerkt. In eher ländlich geprägten Stadtteilen gebe es oft noch eine höhere Nachfrage nach Flächen und oft auch noch Familiengrabstätten.

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