Siegen. Wer mit nichts flieht, braucht alles. Menschen aus der Ukraine erzählen, wie sie in ein neues Leben starten: „1000 Dank Siegen, Danke Deutschland“

Ihre ersten deutschen Wörter haben sie oft im Umsonstladen gelernt und das Nötigste für den Start ins neue Leben im fremden Land haben sie auch hier bekommen: Spielzeug, Geschirr, Schuhe, Suppenlöffel, Bettwäsche, Jacken, Portemonnaie, Handtasche. Das ließe sich beliebig fortsetzen. Olena Chemeris zum Beispiel konnte nur das Allernötigste mitnehmen, als sie in der Ukraine in den Zug stieg und vor dem russischen Angriff floh, „ich hatte nur eine Zahnbürste“, sagt sie. Alles andere habe sie aus dem Umsonstladen.

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Die Einrichtung hat sich Beginn des Krieges in der Ukraine zu einer zentralen Anlaufstelle für geflüchtete Menschen entwickelt. Gut 100 sind jeden Mittwoch da, sie kommen zusätzlich zu denen, die vorher schon da waren und die auch wenig haben, die jeden Euro und jeden Cent mehrmals umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben. „Aus den ganzen Kleinigkeiten zuhause macht man sich nicht viel“, sagt Olena Chemeris, „aber jetzt zählt jeder Löffel, jede Gabel.“ Wie viele andere ihrer ukrainischen Landsleute habe sie nie erwartet, so viel Herzlichkeit zu erfahren; im Umsonstladen, in Siegen, in Deutschland. „Spasybi“, Danke, fällt in vielen Sätzen mehrfach.

Alles was dieser Vater von vier Kindern hat, hat er aus dem Umsonstladen in Siegen

Evgenii Ouhijnnykov, Vater von vier Kindern, ist mit seiner Familie seit neun Monaten in Siegen. Geflohen sind sie aus Charkiw. Jeden Mittwoch kommt er her, sagt er, und findet den Umsonstladen eine super Idee. Auch er hatte nichts, auch er hat das meiste, was er jetzt hat, aus dem Umsonstladen. Auch Bücher: „Für die Weiterbildung, zum Deutsch lernen“, sagt er.

Weihnachtsfeier im Umsonstladen: Zusammen leiden und zusammen lachen.
Weihnachtsfeier im Umsonstladen: Zusammen leiden und zusammen lachen. © Privat

Sie alle erzählen ähnliche Geschichten, sie alle danken den Deutschen, den Siegenern, dem Umsonstladen für Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Maria Selpij hatte bei ihrer Flucht nur das, was sie am Körper trug, „ich habe alles hier bekommen, wirklich alles“, betont sie und zeigt ihre Brieftasche. Jetzt gerade sucht sie Winterkleidung. „Ich hoffe dass es weitergeht, dass der Laden bleibt“, sagt sie noch. Dass der Umsonstladen schließen soll, haben sie alle gehört. Dass es die Einrichtung gibt, sprach sich sehr schnell herum unter den Ukrainern und auch diese Information machte schnell die Runde. „Eine sehr nützliche Organisation“, findet Jevhenii Tsap. Sie alle bekämen nur wenig Geld, „der Laden nützt uns sehr im Alltag.“

Ukrainern in Siegen helfen auch schon nette Worte, wenn es ihnen schlecht geht

Es seien nicht nur die materiellen Dinge, das ist Kalina Lubov wichtig zu erzählen: Die seelische und moralische Unterstützung, Hilfe beim Papierkram, dass jemand zuhört, Anteil nimmt. „1000 Mal Dankeschön!“, sagt sie immer wieder. Raisa Bodnarchuk möchte diesen Dank allen Deutschen aussprechen: „Für die Unterstützung in einer sehr schwierigen Situation.“ So viel Hilfe, so viel Liebe wie in Siegen habe sie nicht einmal in der Ukraine erfahren, von wo sie mit drei kleinen Kindern geflohen ist: „Auch nette Worte helfen sehr, wenn es einem schlecht geht.“ Dass sie in allen Lebenslagen Unterstützung bekommen; bei der Wohnungssuche, beim Übersetzen, dass Mütter sich zurückziehen können um in Ruhe ihre Kinder stillen zu können oder einfach nur einen Kaffee trinken, gemeinsam Essen kochen zu können. „Alle sind sehr dankbar, dass das hier gemacht wird“, sagt Raisa Bodnarchuk: „Man sieht die Not der Menschen, was sie alles brauchen und wie ihnen hier geholfen wird.“

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Eine vergleichbare Anlaufstelle für Geflüchtete und viele Bedürftige sehe er nicht in der Stadt, sagt Mitarbeiter Dominik Korczak. „Das ist auch nicht ihre Aufgabe.“ Aber genau dafür wolle man diesen Ort schaffen: Zum Umverteilen, zum Helfen, um Kontakt herzustellen zwischen ganz unterschiedlichen Menschen. Das wolle doch auch die Stadt.

Stadt Siegen betont: Alternativ-Angebote bestehen weiter

„Der Umsonstladen begleitet Menschen mit ganz unterschiedlichen Schicksalen“, sagt Elena Müller – Geflüchtete, aber genauso Einheimische; Akademiker und Arbeiter, Junge und Alte. „Hier müssen sich alle vertragen – das ist eine Integrationsleistung! Wir stehen bereit, wir lassen niemanden alleine“, sagt Müller, die sich auch in der CDU, der Frauenunion, im Kinderschutzbund, bei Foodsharing und „Siegen isst bunt“ engagiert. Jeder könne seine Fähigkeiten und Bedürfnisse einbringen, es werde gemeinsam gekocht und Geburtstag gefeiert, Theater gespielt und Kunst erstellt. Die Grenze zwischen Ehrenamtlichen und Kunden verschwimme schnell. Wer mehrmals kommt, mache bald selber mit, irgendwie. Auch viele der Ukrainer, „wir sind eine Plattform geworden für Erste Hilfe in diesem neuen Lebensabschnitt“, sagt sie. Ganz grundlegend dafür sei am Anfang das Umverteilen gewesen: „Was die Menschen hier bekommen und dadurch sparen, können sie dann woanders ausgeben.“ Für Lebensmittel etwa. Sie alle gemeinsam lernen teilen, Ressourcen gut zu nutzen, „und blicken dabei in zufriedene, glückliche Gesichter.“

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Die Stadt betont nun: Die Angebote an den Umsonstladen bezüglich alternativer Räumlichkeiten und Lösungen bestünden grundsätzlich weiter. Einen Container könne man erst genehmigen, wenn man Details kenne. Umsonstladen-Initiator Philip Engelbutzeder hat sich umgehend auf die Suche nach einem Container gemacht.