Siegen. Aufwand für Ordnungsamt Siegen steigt in der Pandemie stark: Weil mehr protestiert wird und vorgegeben Kontrollen faktisch unmöglich machbar sind

Die Corona-Proteste haben den Ordnungsbehörden Mehrarbeit in erheblichem Umfang beschert. Einerseits wegen der deutlichen Zunahme von Versammlungen, die von Polizei und Ordnungsamt begleitet werden müssen – vor allem aber wegen Vorgaben der jeweils gültigen Coronaschutzverordnung (CoronaSchVO), die in der Praxis teilweise gar nicht kontrolliert werden konnten. Der Aufwand für die Begleitungen der Versammlungen geht aus einer Aufstellung für den Ausschuss für Feuerschutz, Sicherheit und Ordnung hervor.

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Die Versammlungen sind von Jahr zu Jahr gestiegen. Vor der Pandemie lag ihre Zahl noch im niedrigen bis mittleren zweistelligen Bereich (2016: 32; 2017: 33, 2018: 52), währenddessen ging es deutlich nach oben: 2020 waren es schon 113 Versammlungen, 2021 dann 149, im laufenden Jahr (bis einschließlich 6. Oktober) 152. Zeitweise fand mindestens einmal pro Woche eine Corona-Protestveranstaltung statt, durchaus auch mehr. Die Ordnungsämter mussten in der Zeit von April 2020 bis November 2022 insgesamt etwa 60 verschiedene CoronaSchVO umsetzen. In Siegen habe man versucht, die jeweiligen Änderungen, die sich zeitweise im Wochentakt änderten, mit den Betroffenen „in möglichst akzeptanzschaffender Art und Weise zu erörtern“. Viele Protestierenden waren indes wenig geneigt, sich an die geltenden Vorgaben zu halten.

Vor jedem Demonstrationszug, jedem Protest in Siegen muss geprüft werden

Normalerweise ist laut Versammlungsgesetz die Polizei für die Durchführung zuständig, Ordnungsamt und Straßenverkehrsbehörde werden informiert. Spricht aus städtischer Sicht etwas dagegen, wird wiederum die Polizei informiert. Mit der Corona-Pandemie änderte sich die Zuständigkeit: Auch die Ordnungsämter waren nun dafür zuständig, die Versammlungen vor Ort zu begleiten. Im Vorfeld mussten die Behörden zunächst entscheiden, ob die Versammlung bei der aktuellen Inzidenz möglich war, ob sie mit Einschränkungen stattfinden konnte, ob sie verboten werden musste. Dazu wurde das Gesundheitsamt um Rat gefragt (zu viele Teilnehmer, Örtlichkeit mit Blick auf Mindestabstände zu klein), dann teilte das Ordnungsamt Auflagen oder Absage per Ordnungsverfügung mit. Als im weiteren Pandemie-Verlauf die Maskenpflicht für Versammlungen vorgeschrieben wurde, mussten die Ordnungsämter auch die kontrollieren.

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Erschwerend für die Behörden kam dem Bericht zufolge hinzu: Die Versammlungen wurden meist erst wenige Tage vorher bei der Polizei angemeldet, „in Ermangelung entsprechender Empfehlungen oder Vorgaben von Seiten des Gesetzgebers“ folgte daraus erheblicher Zeitdruck – weiterhin musste zuerst geprüft, die Begleitung und Kontrolle der Versammlung oder des Demonstrationszuges organisiert werden, „mit zusätzlich aufwändiger Personalstärke“. Denn die Proteste konnten durchaus auch länger dauern, meist ab dem späten Nachmittag, vorher und nachher waren in der Regel Besprechungen nötig. Zeitweise wurden aufgrund der Vielzahl der Teilnehmer Einheiten der NRW-Bereitschaftspolizei angefordert.

Überstunden im Siegener Ordnungsamt durch zusätzlichen freiwilligen Dienst

In der Realität waren die Vorgaben und Auflagen so kompliziert, dass sie kaum kontrolliert werden konnten. Zum Beispiel musste der Mindestabstand bei Familienmitgliedern nicht eingehalten werden, bei Gruppen von 3, 5 oder 10 Personen – je nach gerade gültiger CoronaSchVO – auch nicht. Um das festzustellen, hätten die Daten aller Teilnehmenden erfasst werden müssen. Die Ordnungsbehörde bemühte sich in Siegen mit Unterstützung der in der Regel starken Polizeikräfte sehr darum, dem nachzukommen, das aber forderte „einen personellen Einsatz, der teilweise nur durch zusätzlichen freiwilligen Dienst durch das ohnehin in außerordentlichem Maße eingesetzte Personal erfüllt werden konnte“.

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Allein die immer neuen Vorgaben der CoronaSchVO, die teils im wöchentlichen Rhythmus auszuwerten und zu verstehen, band demnach enorm Kapazitäten. Am 11. Mai 2020 zum Beispiel musste bei Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz ein Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen zwei Personen gewährleistet werden. Am 20. Mai galt das dann nicht mehr für Familien und zwei häusliche Gemeinschaften, am 30. Mai waren dann „Verwandte in gerader Linie, Geschwister, Ehegatten, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner“ sowie Personen aus „maximal zwei verschiedenen häuslichen Gemeinschaften“, Begleitung Minderjähriger und Unterstützungsbedürftiger, ansonsten höchstens 10 Personen davon ausgenommen. Faktisch unmöglich, das vor Ort alles nachzuhalten, geschweige denn bei Verstößen durchzusetzen.

Gegen Siegener Ordnungsamt wird regelmäßig geklagt – regelmäßig mit Erfolg

Die Stadt mühte sich, den Vorgabendschungel zu durchdringen und Veranstaltungen gemäß aktuell geltender Rechtslage zuzulassen oder zu verbieten (vor allem, weil die Einhaltung der Mindestabstände nicht sichergestellt werden könne) – und gegen die Verfügungen wurde regelmäßig Klage vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg eingereicht, was wiederum die Justiz in erheblichem Maße beschäftigte. Weil die Versammlungsfreiheit im Grundgesetz stark verankert ist, seien „nahezu 90 Prozent der Verfahren zugunsten der Kläger entschieden“ worden, so die Stadt. Der vorgeschriebene Prüfungsaufwand war also regelmäßig umsonst.

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Im Frühjahr wurden die meisten Maßnahmen aufgehoben oder gelockert, seither wird das Ordnungsamt wie vor der Pandemie nur informiert, wenn eine Versammlung ansteht. Ob die Behörde wieder eingebunden wird, sollten Corona-Fallzahlen steigen und die CoronaSchVO wieder verschärft werden? „Wird sich zeigen“, heißt es dazu lapidar.