Siegerland. Die neue Ausgabe von „Siegerland“ erinnert an das alte Stadtbad, macht die Ginsburg wieder etwas jünger und das Untere Schloss fromm.

Der aktuellste Text in der neuen Ausgabe von „Siegerland“, der Zeitschrift des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins, ist der persönlichste: Hans-Peter Fries erinnert sich an seinen Schwimmunterricht im alten Siegener Hallenbad auf der Sieghütte – als ob es zur Zentralbad-Diskussion für Weidenau passen soll.

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Hallenbad

Am 22. Juli 1882 wird die private „Badeanstalt“ eröffnet: ein Schwimmbecken mit hölzernen Umkleidekabinen drumherum, erst später kommt ein Dach obendrauf. Für 28.000 Mark kauft die Stadt Siegen 1898 das Bad, 1902 wird es nach Renovierung wiedereröffnet, 1923 wegen zu geringer Besucherzahlen beinahe geschlossen. Nach einem weiteren Umbau 1927/28 „galt das Siegener Hallenbad als eines der schönsten und modernsten Westdeutschlands“. 1947 wird das Hallenbad nach dem Krieg wiedereröffnet, 1948 kommt eine Sauna hinzu. Die Schwimmzeiten sind für Männer-, Frauen- und Familienbad getrennt.

Hans-Peter Fries wird 1951 am Jungengymnasium eingeschult, dem späteren Gymnasium Am Löhrtor. „Mein Versetzungszeugnis von Quinta nach Quarta (Klasse 6 nach Klasse 7, d.Red.) weist das Fach Schwimmen aus, mit der etwas gnädigen Note ‚ausreichend‘, die auch ‚mangelhaft‘ hätte lauten können, da ich zu dieser Zeit noch Nichtschwimmer war.“

Schwimmunterricht im alten Siegener Stadtbad in den 1950er Jahren.
Schwimmunterricht im alten Siegener Stadtbad in den 1950er Jahren. © Raimund Hellwig, Siegen | Repro: Raimund Hellwig

Zu Fuß geht es von der Oranienstraße ins Hallenbad auf der Sieghütte. Das Becken ist klein, eine Bahn knapp 17 Meter lang. Ein Drittel ist für Nichtschwimmer abgeteilt. An den Längsseiten sind Umkleidekabinen, die zum Becken hin mit einem Vorhang blickdicht gemacht werden. An einer Schmalseite befinden sich Wandduschen. Auf der fünf Meter hohen Galerie sind Bänke und Spinde, dort müssen sich die Jugendlichen umkleiden. Es gibt ein Ein-Meter-, ein Drei-Meter-Sprungbrett und vier Startblöcke. „Einladend schön war das ozeangrüne Wasser.“ Am 27. März 1957 macht Hans-Peter Fries den Fahrtenschwimmer. „30 Minuten mit weiteren fünf oder sechs Probanden in einem fast quadratischen Mini-Schwimmerbecken von 10 x 10 Metern ständig im Kreis zu schwimmen, ohne dass man einen Drehwurm bekam, das war eigentlich ein unmögliches Unterfangen. (…) Stolz und richtig groß fühlte ich mich, wenn ich mit meinem Vater ins Stadtbad ging und mit ihm unten in eine Umkleidekabine durfte.“

1966 wird das Stadtbad am Dilnhenrichsweg geschlossen und das neue Stadtbad am Löhrtor eröffnet. In den Jahren danach dient es als Reifenlager und Fitnessstudio, 2019 wird es abgerissen. Dort entsteht nun ein Seniorenzentrum.

Unteres Schloss

Christian Brachthäuser, Bibliotheksassistent am Siegener Stadtarchiv, forscht weiter zum Unteren Schloss. Zuletzt hatte er – in den „Siegener Beiträgen“ der Geschichtswerkstatt – über das Ballhaus geschrieben, an dessen Stelle heute Karstadt-Kaufhaus und Uni-Hörsaalzentrum stehen. Im neuen „Siegerland“-Heft geht es um die Hofkapelle über der Fürstengruft im Kurländer Flügel.

1715 wurde die Kapelle aus Anlass der Taufe von Prinzessin Charlotte eingesegnet, 1781 zum letzten Mal für einen Gottesdienst genutzt. 300 Taufen, 100 Trauungen, elf Konfirmationen und 100 Sterbefälle der Fürstlichen Hofgemeinde sind für die Zeit der Hofkapelle dokumentiert. Der Hof beschäftigte Organisten, Glöckner und Küster, auch Presbyter waren eingesetzt. 16 Kirchenstühle waren für die kleine Gemeinde aufgestellt. Zum Inventar gehörten außer Wandleuchtern und Klingelbeutel auch „zwey schifferne steinerne Taffelln worauf die Gesänge angeschrieben werden“ und „eine eißerne Kistw worinnen die Allmoßen gelder gethan werden“. Erwähnt wird ein „Fürstliches Vorgemach“ mit Tischen, Gemälden, Nachtstuhl und Kleiderkiste.

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Vorgängerin der Hofkapelle war die Klosterkirche St. Johannis im 1695 abgebrannten Nassauischen Hof, davor versammelte sich die Hofgemeinde in der Martinikirche (bis 1626) und im Oberen Schloss (bis 1624). Unter dem Regime Fürst Friedrich Wilhelm Adolphs (Brachthäuser: „Mit absolutistischen Allüren und einem Hang zur Pedanterie“) wurde die Kapelle errichtet, auf ihn zurück geht auch der Bau des benachbarten Dicken Turms 1721, „mit einer Schnecken Treppe inwendig hinauf und oben mit Schießlöchern“. Sein Sohn Friedrich Wilhelm wurde nur 28 Jahre alt, er starb 1734. Nach der Auflösung der Hofgemeinde verstaubte die Hofkapelle allmählich, wie Christian Brachthäuser berichtet. Während das Untere Schloss zur napoleonischen Zeit als Lazarett genutzt wird, werden die sakralen Gegenstände in Sicherheit gebracht.

Besonders interessiert sind im Jahr 1800 reformierte und katholische Gemeinde Wilnsdorf – an der Orgel. Die Landesregierung in Dillenburg lehnt ab: Vielleicht werde Siegen doch noch wieder Residenz; tatsächlich kommen Prinz, Prinzessin und Erbprinz 1802 für eine Woche nach Siegen. Ende desselben Jahres meldet sich die Gemeinde Rudersdorf – sie hätte gern die Kanzel für ihre wiederaufgebaute Laurentiuskapelle. Geschenkt, wie sich nach abermaligem Briefwechsel herausstellt, als die Dillenburger Regierung 30 Gulden verlangte: „Für eine nicht ganz unbeträchtliche Gemeinde, wie die Rudersdorfer ist, macht diese Summe eben keine schwere Ausgabe.“

1846 wurde aus der verlassenen Kapelle schließlich ein Teil der Wohnung des Landrats. Nachgewiesen ist auch die Vermietung an einen Musikverein und die Veranstaltung von Bällen. Von der Hofkapelle bleiben am Ende nur Klingelbeutel und Kirchenbuch in Siegen, nachdem die Stadt nicht bereit war, weiteres Kirchensilber gegen die Taufschale von Johann Moritz in der Nikolaikirche einzutauschen.

Unteres Schloss: Über der Fürstengruft war die kleine Hofkapelle, Später wurde sie der Wohnung des Landrats zugeschlagen.
Unteres Schloss: Über der Fürstengruft war die kleine Hofkapelle, Später wurde sie der Wohnung des Landrats zugeschlagen. © Christian Brachthäuser | Christian Brachthäuser

Ginsburg

Die Ginsburg ist in den Jahren 1200 bis 1250 errichtet worden, also kurz vor ihrer ersten urkundlichen Erwähnung im Jahr 1255. Annahmen, dass die Ginsburg schon 200 Jahre früher auf ihrem Felssporn gestanden hat, also im 11. Jahrhundert, haben sich nicht bestätigt. Leander Wilhelm Kühn und Christine Hasenpflug berichten in ihrem Beitrag zu den Anfängen der Ginsburg vor allem über die erneute Auswertung der hochmittelalterlichen Keramikfunde, die Gerhard Scholl um 1962/63 ausgegraben hat. Ausgangspunkt ihrer Arbeit ist die auch von Gerhard Scholl formulierte Vermutung, das „nowum castrum“ aus der Urkunde von 1255 habe einen Vorgänger gehabt. „Die Funde der Grabungen (…) widerlegen die Möglichkeit einer durch Erbe erhaltenen bzw. einer generell bereits im 12. Jahrhundert bestehenden Burg.“ Bei der „fast flächendeckend bis auf den Fels erfolgten Grabung“ sei „eindeutig ältere Keramik“ gefunden worden.

Leander Wilhelm Kühn und Christine Hasenpflug berichten auch über das Ergebnis der 2020 und 2021 erfolgten Lehrgrabungen der Universität Marburg. Danach hatte Prof. Dr. Felix Teichner, der die Bachelor-Arbeit der Verfasserin betreut hat, das 11. Jahrhundert ins Spiel gebracht. In seinem Forschungsbericht musste er davon abrücken, wie jetzt auch im neuen „Siegerland“-Heft nachzulesen ist: Es habe keine weiteren Funde aus dieser Zeit gegeben, womöglich habe der Altholzeffekt die Radiocarbon-Untersuchung – also, wie der Kohlenstoff in Pflanzen und Bäumen zerfallen ist - beeinflusst. Denn bei dieser Untersuchung wird nicht ermittelt, wie lange die abgestorbenen Bäume vor ihrer Verwendung noch als Holz oder Holzkohle gelagert wurden.

Siegerland

In einem weiteren Beitrag befasst sich Daniel Schneider mit den Mühlen im Amt Friedewald. Rolf Hermann Thomas schreibt über seinen Großvater Hermann Friedrich Henrich: „Ein Kirchener in Rotterdam“.

Siegerland, Blätter des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins, Band 99, Heft 1/2022 ist über www.siegerlaenderheimatverein.de und im Buchhandel erhältlich.

Dampfkessel

Thomas A. Bartolosch, inzwischen pensionierter wissenschaftlicher Mitarbeiter der Siegener Uni, macht seinem Professor ein besonderes Geschenk: Zu seinem 90. Geburtstag bekommt der Historiker Harald Witthöft seinen Aufsatz über Dampfkessel-Explosionen im Siegerland: Genau fünf waren es bis zum Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914. Unglücksfälle dieser Art waren zur Zeit der Industrialisierung so gravierend, dass sie von königlichen Revisoren untersucht und im Statistischen Handbuch für das Deutsche Reich festgehalten wurden – und dass die Zulassung der Maschinen an „Dampfkesselüberwachungsvereine“ übertragen wurde. Aus dem DÜV wurde der heutige TÜV.

Das erste Unglück passiert am 27. Mai 1880 bei der Haarfilzfabrik Vollpracht & Weiss in Haarhausen bei Hilchenbach. Die Teile des überhitzten Kessels fliegen bis zu 220 Meter weit, das Kesselhaus wird zerstört. Am 4. Juli 1892 fliegt der Dampfkessel der Ziegelei und Schneidemühle Heinrich Feindler in Weidenau in die Luft, vier Beschäftigte werden schwer verletzt. „Wassermangel in Folge fahrlässiger Wartung“ hält der Revisor als Ursache fest, „es wurde weiter geheizt, ohne dass jemand den Wasserstand kontrollierte“.

Nur wenige Wochen später, am 31. August, explodiert einer von vier Kesseln der Eisenerzgrube Storch & Schöneberg in Gosenbach – „schlechtes Blech“, findet der Revisor als Ursache des Unglücks heraus, bei dem vier Menschen leicht verletzt werden.

Bei der Explosion des Dampfkessels der Filzfabrik Albert Müller in Büschergrund am 22. Februar 1898 erleiden drei Mitarbeiter Verbrühungen.

Das schwerste Unglück ereignet sich am 8. Oktober 1906 in der Spateisensteingrube der Gewerkschaft Eisenzecher Zug in Eiserfeld. Ein Mann stirbt, einer wird verletzt. Der Kessel flog 52 Meter durch die Luft. „Unaufmerksamkeit des Heizers“, hält der Revisor fest.

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Zwangsarbeit

In den Nachbarkreis Altenkirchen führt der Bericht von Carsten Trojan über das Zwangsarbeiterlager der Grube Füsseberg-Friedrich Wilhelm. In Rastatt standen 13 Angeklagte vor Gericht, „die Kriegsverbrecherprozesse in der französischen Besatzungszone gehörten zu den größten der Nachkriegszeit, schreibt Trojan. Die Angeklagten mussten sich für den Tod von 36 zivilen Zwangsarbeitern und zwölf Kriegsgefangenen verantworten. Zehn wurden zu Gefängnisstrafen zwischen einem und 15 Jahren verurteilt, drei wurden freigesprochen. Hauptangeklagter war Erich Böhne als Direktor der Krupp’schen Bergverwaltung in Betzdorf. Böhne, zu drei Jahren Gefängnis und 50.000 Reichsmark Geldstrafe verurteilt, wird 1958 mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

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