Siegen. In einer Sondersitzung hat der Rat das Bürgerbegehren gegen Schulschließungen zugelassen. Die Bedenken des Bürgermeisters wachsen allerdings.

„Sie können mit der Unterschriftensammlung beginnen.“ Bürgermeister Steffen Mues gibt Sandra Drößler, Michael Petin und Hermann J. Hellmann das Signal unmittelbar nach der Abstimmung im Rat. Spätestens bis 22. November werden sie im Rathaus rund 4000 Unterschriften von wahlberechtigten Siegenern abgeben müssen, die sich für den Erhalt von Haupt- und Realschulen aussprechen. Danach würde der Bürgerentscheid eingeleitet, wenn der Rat nicht vorher im Sinne der Initiative einlenkt: Eine Mehrheit von mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten, also rund 8000 Siegenern, könnte den Ratsbeschluss kippen, mit dem die Errichtung einer vierten Gesamtschule verbunden ist.

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Die Debatte: Motive „völlig schleierhaft“

Mit großer Mehrheit hat der Rat am Mittwoch in einer Sondersitzung das Bürgerbegehren zugelassen. Die vier Stadtverordneten der Linken stimmten dagegen, die CDU-Fraktion enthielt sich der Stimme. „Bürgerbegehren sind ein demokratisches Recht", sagte Joachim Pfeifer (SPD), der sich allerdings „ausdrücklich“ von dem angestrebten Ziel distanzierte: „Die Realität wird durch das Schulwahlverhalten der Eltern bestimmt.“ Ähnlich Theresa Pflogsch (Grüne): Bürgerbegehren seien „ein wichtiges Instrument zur Stärkung der Demokratie". Aber: „Wir sind der festen Überzeugung, dass die Bürger für die Schließung der Schulen stimmen werden.“ Und Samuel Wittenburg (Volt): „Die Motive des Bürgerbegehrens sind mir völlig schleierhaft.“ So würden Schüler zum „Spielball der Politik“ gemacht.

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In einer Sondersitzung lässt der Siegener Rat das Bürgerbegehren gegen Schulschließungen zu.
In einer Sondersitzung lässt der Siegener Rat das Bürgerbegehren gegen Schulschließungen zu. © Steffen Schwab | Steffen Schwab

Linke: Begehren „absolut unzulässig“

Massiv gegen die Zulassung des Bürgerbegehrens argumentierte die Linke. Zum einen, so Silke Schneider, werde mit einem Beschluss für den Erhalt von Haupt-. und Realschulen „nur etwas verlängert, was längst schon Geschichte ist“. Zum anderen seien nur mindestens 16-jährige Bürger mit deutscher oder EU-Staatsangehörigkeit stimmberechtigt. Damit sei einem „Großteil der Siegener Bevölkerung“ die Stimmabgabe verwehrt, vor allem denen, die von den Schulschließungen betroffen seien. Henning Klein sah das Recht des Rates verletzt. Sollte das Bürgerbegehren („absolut unzulässig“) Erfolg haben, „könnte ich mir vorstellen, dagegen zu klagen“. Seine eigene Zeit an einer Siegener Hauptschule („bestenfalls dritte Liga“) nannte der Linken-Fraktionschef „nicht wirklich prickelnd“ – die eigenen Kinder hätten es da besser: „Ich weiß, was Gesamtschule kann.“

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CDU: Schulen nicht zu retten

„Wir glauben nicht, dass diese Schulen langfristig erhalten werden können“, sagte Marc Klein (CDU). „Wer 15 Millionen für die Sanierung eines Bunkers ausgeben will“, so spielte der fraktionslose AfD-Stadtverordnete Roland Steffe auf die Museums-Debatte an, „sollte auch ein paar Euro für unsere Kinder übrig haben.“ Das sei „populistisch“, konterte Bürgermeister Steffen Mues.

Die Initiative: Ratsbeschluss „unverständlich“

„Unverständlich“ sei der Ratsbeschluss, Haupt- und Realschulen zugunsten einer vierten Gesamtschule zu schließen, sagte Michael Petin, einer der der Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens, die die Debatte einleiteten. An den Schulen, die nun aufgegeben werden sollen, würden Kinder und Jugendliche intensiv und langfristig begleitet. „Gezielte Beratung und sogar Vermittlung in das zukünftige Berufsleben“ zeichne die Hauptschule aus, sagte Hermann J. Hellmann: „Zur Abwahl steht die bestmögliche schulische Förderung.“ Sandra Drößler, Lehrerin an der Realschule Am Oberen Schloss, wies auf die Pilotrolle der Talentschule als „nachhaltigen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit“ hin: „Warum entscheidet der Rat kontraproduktiv?“

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Ein Knackpunkt: Kostenschätzung zu nicht gestellter Frage?

Die Initiatoren des Bürgerbegehrens hatten sich von der Verwaltung nicht zu einer Änderung ihrer Fragestellung bewegen lassen: Gefragt wird somit nicht, ob „die“, also alle drei Haupt- und Realschulen erhalten werden sollen, sondern womöglich neben der Hauptschule nur eine der beiden Realschulen. Damit werde die Fragestellung unbestimmt, berichtete Bürgermeister Steffen Mues über die Diskussion im Vorfeld. Es habe daher „erhebliche Bedenken“ gegeben, die Zulassung des Bürgerbegehrens zu empfehlen. „Ich halte es aber nicht für gut, ein jahrelanges Klageverfahren mit offenem Ausgang durchmachen zu müssen.“

Auch Schüler der Realschule am Oberen Schloss kommen ins Geísweider Rathaus.
Auch Schüler der Realschule am Oberen Schloss kommen ins Geísweider Rathaus. © Steffen Schwab | Steffen Schwab

Am Mittwoch meldete sich die von den Vertretungsberechtigten eingeschaltete Düsseldorfer Anwaltskanzlei bei der Stadt: In die erforderliche Kostenschätzung (4,5 Millionen Euro) sei der Erhalt aller drei Schulen eingeflossen – somit nicht die Fragestellung des Bürgerbegehrens („Sollen Haupt- und Realschulen in Siegen erhalten werden?“). Bürgermeister Steffen Mues sah darin einen Hinweis, dass die Fragestellung doch nicht konkret genug sei, um sie mit „Ja“ oder „Nein“ entscheiden zu können. Er habe „Bedenken, ob dieses Schreiben hilfreich ist“, sagte Mues. Wäre es nicht erst am Mittwoch eingegangen, „weiß ich nicht, ob wir Ihnen heute den gegenteiligen Beschluss vorgeschlagen hätten.“ Also das Bürgerbegehren als unzulässig zurückzuweisen.

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