Wittgenstein. Er soll seine Kinder mit einem Gürtel „gezüchtigt“ haben – wegen Stress, behauptet er. Doch die Beweise deuten auf einen anderen Hintergrund hin.

Körperverletzungen sind nicht selten ein Grund, weshalb Menschen auf der Anklagebank landen. Auch im Amtsgericht Bad Berleburg nicht. Das hat sich auch am Dienstag wieder mal bewahrheitet. Doch dieser Fall ist besonders tragisch: Auf der Anklagebank sitzt ein 40-jähriger Wittgensteiner.

Er soll seine eigenen Kinder körperlich gezüchtigt haben — und das über Jahre hinweg. Richter Torsten Hoffmann verurteilte den Angeklagten letztlich wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung. Außerdem muss der 40-Jährige in Zukunft mit einem Bewährungshelfer zusammenarbeiten und eine 1600 Euro hohe Geldbuße an den Förderverein des Abenteuerdorfs Wittgenstein zahlen.

Mit Gürtel „gezüchtigt“

In der Anklageschrift ist von einem „ritualisierten Bestrafungssystem“ die Rede. Der Beschuldigte soll drei seiner Kinder im Zeitraum 2012 bis 2018 körperlich misshandelt haben. Zwei dieser Kinder soll er dabei mit einem Gürtel geschlagen haben — Hämatome waren die Folgen. Einem weiteren Kind habe er ein Schlüsselbund ins Gesicht geworfen. Das Kind sei glücklicherweise mit einem Kratzer nahe des Auges davongekommen. Die Kinder waren zu den Tatzeitpunkten etwa acht, 15 und 16 Jahre alt. Seit drei Jahren lebt der Angeklagte, der in seiner Kindheit selbst Gewalt von seinen Eltern erfahren haben will, von seinen Kindern und seiner Noch-Ehefrau getrennt.

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Lediglich eine Körperverletzungen von dreien räumt der Angeklagte zunächst ein. Zu den anderen äußert er sich wie folgt: „Diese Straftaten habe ich nicht begangen.“ „Dass mir mal die Hand ausgerutscht ist, streite ich nicht ab“, so der Angeklagte weiter. Auch Schläge mit einem Gürtel habe es laut seiner eigenen Aussage in Vergangenheit gegeben. Doch die konkreten Vorwürfe in der Anklage seien nicht geschehen. „Acht Kinder sind ständig am streiten und zanken“, versucht der 40-Jährige die Gewalt, die er an seinen Kindern ausübte, zu rechtfertigen.

Schriftsatz deutet auf anderen Hintergrund

Laut ihm habe er also durch Überforderung und Stress zugeschlagen. Doch aus einem Schriftsatz eines familiengerichtlichen Verfahrens aus dem Jahre 2021 geht eine ganz andere Motivation des Vaters hervor — und das ist eine tief verankerte Überzeugung: Das Züchtigungsrecht aus dem alten Testament der Bibel. Nun stellt sich die Frage: Leitete den Vater lediglich die Überforderung der familiären Situation oder war es eine christliche Grundeinstellung? Ein Chat-Verlauf zwischen dem Angeklagten und einer seiner Töchter gibt Aufschluss darüber. Hier schreibt der 40-Jährige seiner Tochter unter anderem: „Körperliche Züchtigung gehört nunmal zur biblischen Erziehung.“

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An dieser Aussage lässt sich nichts drehen oder wenden — das weiß auch das Gericht. Oberamtsanwältin Judith Hippenstiel rät dem Verteidiger des Angeklagten, Wolf Heller, dringend dazu, die Sache nochmals mit seinem Mandanten zu besprechen — und zu überlegen, ob das, was in der Anklageschrift steht, nicht doch der Wahrheit entspricht. Nach einer rund 20-minütigen Unterbrechung wendet sich die Einlassung des Familienvaters: „Ich kann mich konkret nicht erinnern, aber ich kann mir alles vorstellen und demnach nichts ausschließen.“

Keine Einzelfälle

Dass er sich nicht konkret an die Fälle erinnern kann, ist nicht verwunderlich — denn es handelt sich laut den Kindern, die teilweise als Zeugen geladen waren, nicht um Einzelfälle. „Wenn wir laut geworden sind, dann kamen solche Bestrafungen mit dem Gürtel. Das ist ja nicht nur in 2012 passiert, das war dauernd“, so ein Kind des Angeklagten. Teilweise sei es am ganzen Körper mit blauen Flecken übersäht gewesen. Und auch eine weitere Aussage eines anderen Kindes ist erschreckend. Es sei nicht oft geschlagen worden. „Nur“ zwei Mal im Monat.

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„Wir reden hier nicht mehr von ‚Hand-Ausrutschen‘. Das ist schon schlimm genug. Aber hier sprechen wir von gezielten Schlägen“, zeigt sich Anklägerin Hippenstiel empört. „Man muss leider sagen, dass das ein System war“, pflichtet Richter Hoffmann ihr bei. Der Angeklagte entschuldigte sich in seinem letzten Wort bei seiner Familie, die im Zuschauerraum Platz nahm. Doch es war unschwer zu erkennen, dass seine Kinder seine Worte nicht ernst nahmen — und ihm nicht verziehen. Sie belächelten ihn.