Siegen. Künstlerin Miriam Cahn erhält am Sonntag den Rubenspreis der Stadt Siegen. Ihre kompromisslose Haltung zeigt sie regelmäßig in Kunst und Tat.

„Desch is lässig“, sagt Miriam Cahn, im Interview gefragt nach der Verleihung des 14. Rubenspreises an eben sie. Dabei hebt sie nicht vorrangig auf die Dotation von 25.000 Euro ab, ist sie doch eine Künstlerin, deren Werke weltweit von Wert sind; sondern sie ist regelrecht elektrisiert von der Möglichkeit, das Museum für Gegenwartskunst in Siegen zu bespielen, ein „Superhaus“ mit einer Leitung, von der sie sich verstanden weiß.

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In 14 Räumen kann sie ihre Themen setzen, kann diese mal groß-, mal kleinformatigen, aber immer gleichwertig einzuordnenden Bilder zeigen, die das Menschsein so ganz und gar auf den Punkt bringen. Zwischen Leben und Tod, verletzlich und verletzend, in einer Welt, die schön und schrecklich sein kann, rot und gelb und grün, aber auch tiefschwarz. Landschaften, Personen, Tiere, Pflanzen, militärisches Gerät … alles stellt sie unter die eine, in Versalien gesetzte Überschrift „MEINEJUDEN“ und verbindet mit diesem Buchstabencluster das Ich mit dem Anderen, drückt Nähe aus und Fremde auch.

Identität im Namen begründet

Miriam Cahn, geboren 1949 in Basel und im Bergell zu Hause, ist Jüdin. Der Vater war Jude, emigrierte 1933 mit der Mutter („Entweder Hitler oder ich …“) und dem Bruder in die Schweiz, ihre Mutter, in Paris aufgewachsene Auslandsschweizerin, war es nicht. Doch jüdisch-mütterliche Tradition hin oder her, sie bestimme, „wer jüdisch ist, in meinem Fall“, so Miriam Cahn. Sie sieht ihre Identität durchaus in ihrem Namen begründet. Sie ist eine Cahn, und dieser Name, wie etwa Kohn oder Cohen auch, führt zurück auf die Kohanim, jene Priester im Tempel von Jerusalem, die allein Zugang zum Allerheiligsten hatten und Autoritäten in besonderer Verantwortung waren. Es wird nicht nur das, aber womöglich auch das sein, was Miriam Cahn zu einer Streiterin für die Juden macht.

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Es sei ihr Anspruch, wehrhaft zu sein, „als Kriegerin“ aufzutreten, gegen das Klischee vom Jüdischsein zu kämpfen. Zum einen im ach so Alltäglichen, war doch das wie nebenbei unter Freunden an einem Silversterabend hinworfene „die Juden sind mir aber unsympathisch“, für sie ein Schlüsselerlebnis, weil sie sich nicht gleich wehrte, sich nicht dagegen verwehrte. Zum anderen streitet sie im Kulturpolitischen auch und zurzeit ziemlich zentral.

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Miriam Cahn macht Schlagzeilen, als sie Ende 2021 ankündigt, ihre Werke „wegen dem Bührle“ aus dem gerade neu eröffneten Kunsthaus Zürich abziehen zu wollen. Zu unscharf ist ihr der Umgang mit der dort integrierten Sammlung des Waffenfabrikanten Emil Georg Bührle (1890-1956), dazu empören sie die antisemitischen Äußerungen der Kunsthaus-Leitung in der Kommunikation nach außen. Und so fordert sie ihre Arbeiten zurück, will sie zum Originalpreis herauslösen und hat damit „anscheinend eine Bombe gelegt“. Denn dieses „starke Zeichen“, wie das „Tagblatt“ schreibt, deckt ziemlich schonungslos auf, wie abhängig der Kunstmarkt vom „schmutzigen Geld“ ist. Es sei ihre Pflicht, sagt Miriam Cahn, dem vehement zu begegnen. Kunst kaufen, um sich vom Vergehen weißzuwaschen, das zähle nicht. Im Fall Bührle nicht, und übrigens auch nicht im Fall von Friedrich Christian Flick.

Von der Vergangenheit ins Heute

Zahlen sollen sie, bezahlen, all jene, die aus der Judenenteignung der Nazis Profit schlugen. Vom „holocaustgedenkstättenwahn in deutschland“ hält Miriam Cahn so gar nichts, wie sie im Dezember 1997 in einem Brief an Jochen Gerz schreibt. Sie spricht von „pseudowiedergutmachung“, das Gedenken ist das Ihre nicht. In ihrer Ausstellung „MEINEJUDEN“ zeigt Miriam Cahn zwar die Vernichtungsstätten des millionenfachen Judenmordes, verharrt aber nicht im Blick auf Vergangenes. Sie fragt im Heute zornig an, wie es um die Würde des Menschen steht. Und sie zeigt, etwa in den berührenden Bildern von Flucht, vom Ertrinken im Meer, wie schlecht es darum steht.

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Miriam Cahn ist die Vierzehnte in der Reihe beim Rubenspreis, der seit 1957 alle fünf Jahre vergeben wird, sie ist nach Maria Lassnig (2002) und Bridget Riley (2012) die dritte Frau. Die Künstlerinnen bekommen auch in Siegen mehr Raum. Im Fall von Miriam Cahn würdigt die Jury ausdrücklich deren „bewusst feministische, unabhängige und kompromisslose Haltung“.

Große Feierstunde

Miriam Cahn nimmt seit den 1970er-Jahren eine der meist beachteten Kunstpositionen der Schweiz ein. Sie stellt weltweit aus. 1984 war sie auf der Venedig Biennale vertreten, 2017 nahm sie an der documenta 14 in Kassel teil.

Der Rubenspreis wird am Sonntag an Miriam Cahn verliehen – in einer Feierstunde im Großen Saal der Siegerlandhalle und mit geladenen Gästen. Die Ausstellungseröffnung findet am Nachmittag um 17 Uhr im Museum für Gegenwartskunst statt.

„MEINEJUDEN“ wird bis zum 23. Oktober 2022 im Museum für Gegenwartskunst zu sehen sein. Es gibt ein umfangreiches Rahmenprogramm. Mehr unter: www.mgksiegen.de.

Dass die Künstlerin, die in ihrer Biographie immer wieder auch Einladungen ausgeschlagen hat, beim Rubenspreis tatsächlich gesagt hat „I nehm’s“, darf durchaus als Auszeichnung für den Preis verstanden wissen. Und als Glück für die Stadt. Denn ihre „eigensinnige malerische Position von großer Ausdruckskraft“ (O-Ton Juroren) lohnt das Entdecken. Dass die Eröffnung von „MEINEJUDEN“ just in die gegenwärtige Diskussion um den Antisemitismus-Eklat der documenta in Kassel fällt, zeigt, wie wichtig Miriam Cahns Stimme ist. Jetzt!

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