Siegen. Sollte die Errichtung der vierten Gesamtschule scheitern, droht für Siegens Schullandschaft „absolutes Chaos“, warnen Politik und Verwaltung.
Nur ein Bürgerentscheid kann eine neue „Gesamtschule Am Rosterberg“ noch verhindern – oder ein Scheitern des Anmeldeverfahrens, wenn im Januar nicht mindestens 100 Siegener Kinder für die ersten vier 5. Klassen angemeldet werden. Den Errichtungsbeschluss für die vierte Siegener Gesamtschule hat der Rat am Mittwoch mit großer Mehrheit gefasst, ebenso die Beschlüsse zur Auflösung der Realschulen Am Oberen Schloss und Auf der Morgenröthe sowie der Achenbacher Hauptschule.
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Eine Abstimmung über einen von GfS, UWG und FDP beantragten Ratsbürgerentscheid war danach nicht mehr erforderlich. Damit hätte der Rat die Abstimmung direkt in die Hände der (kommunal)wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger legen können. Dies wird nun nur über den Weg eines Bürgerbegehrens möglich.
So hat der Rat debattiert
„Handeln ist das Gebot der Stunde“, sagte Joachim Pfeifer (SPD). Mit der Konzentration auf die beiden Schulformen Gymnasium und Gesamtschule werde der „Anmeldestress“ beseitigt und in der Schullandschaft „endlich Klarheit und Planbarkeit“ hergestellt. „Chuzpe“ warf Pfeifer den Umlandgemeinden vor, „die nur das Ziel hatten, sich mit einem Gymnasium zu schmücken“, und nun gegen die Siegener Pläne opponierten: Bis zu 40 Prozent der Plätze an den Siegener Gesamtschulen hätten deshalb nicht Siegener Kindern zur Verfügung gestanden, weil sie durch Kinder aus Nachbarkommunen belegt wurden.
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„In einem Aufwasch“ mit den Straßennamen
Florian Kraft (Grüne) stellte fest, dass das derzeitige Siegener Schulangebot „nicht kompatibel ist mit den Wünschen der Eltern“. „Die Einheitsschule soll Platz greifen“, meinte dagegen Hans Günter Bertelmann (UWG). An dieser Entscheidung müssten die Bürger beteiligt werden. „Wir haben überhaupt nichts gegen die Gesamtschule“, sagte Christian Sondermann (GfS). Haupt- und Realschulen würden aber dennoch gebraucht. „Nicht alle Kids kommen gleich gut mit der Gesamtschule zurecht. Eine zunehmende Zahl von Kindern wird ohne Abschluss auf der Strecke bleiben.“ Ein Bürgerentscheid biete eine „große Chance“, sagte Sondermann. Und weil die Stadt Bürger ohnehin nach der Umbenennung von Straßen fragen wolle, die die Namen von Antisemiten und Nationalsozialisten tragen, wäre dies „in einem Aufwasch nahezu ideal“.
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Samuel Wittenburg (Volt) lehnte den beantragten Ratsbürgerentscheid ab. „Jahr für Jahr können Dutzende Kinder nicht die Schule besuchen, die sie besuchen wollen.“ Ein nochmaliges Anmeldeverfahren werde die nun ohnehin „angezählten“ Haupt- und Realschulen nicht retten – sie könnten keine Eingangsklassen bilden, während die Zahl der Abweisungen an den Gesamtschulen weiter steige: „Die Folge wäre absolutes Chaos“ – eine Einschätzung, die Schuldezernent Andree Schmidt bestätigte. Ein Bürgerentscheid, so Wittenburg, werde womöglich auch nicht zustande kommen. Schon die laufende Online-Petition habe nur 645 Unterstützerinnen und Unterstützer: „Das sind zu wenig.“
CDU nicht einig – Kritik von Ex-Fraktionschef Rüdiger Heupel
Die Bürgerinnen und Bürger hätten bereits entschieden, indem sie ihre Kinder an den Gesamtschulen und eben nicht an Haupt- und Realschulen anmeldeten, sagte Silke Schneider (Linke). Der beantragte Bürgerentscheid sei „ein verzweifelter Versuch, ein System zu erhalten, das die Bürger nicht erhalten möchten.“ „Die Eltern haben mit ihrem Anmeldeverhalten entschieden“, sagte Martin Heilmann (Grüne). Die Stadt habe sich seit der Gründung der ersten Gesamtschule 1988 darüber hinweggesetzt, dass Siegen zu viel Gymnasialkapazität habe – erst im vorigen Jahr wurde das Peter-Paul-Rubens-Gymnasium aufgegeben, in dessen Räumen die neue Gesamtschule starten soll. Haupt- und Realschulen stehe dasselbe Schicksal bevor, wenn der Rat an ihnen festhalte: „Wir rennen sehenden Auges in das Siechtum der nächsten Schulen.“
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Klaus Volker Walter (FDP) wandte sich an die Gegner eines Ratsbürgerentscheids: „Ist es die Furcht, dass die Bürger anders entscheiden?“ Rüdiger Heupel (GfS) richtete seine Worte an die CDU-Fraktion, deren Vorsitzender er bis 2020 war: Die CDU trage das gegliederte Schulsystem zu Grabe, „das entspricht nicht der CDU, die ich über 40 Jahre gekannt habe.“
Die CDU-Fraktion stimmte nicht geschlossen ab. Alexander Patt wiederholte ein Bekenntnis zum dreigliedrigen Schulsystem. Umzugehen sei aber mit einem „Elternwillen, der in dieser Deutlichkeit nicht ignoriert werden kann“. Ähnlich äußerte sich Peter Stahl (CDU): „Ein Großteil der Fraktion hat sich damit abgefunden. Ich sehe für diese Schulen leider keine Zukunft.“
So läuft ein Bürgerbegehren
In der nächsten Woche wollen die Initiatoren formell im Rathaus ihr Bürgerbegehren ankündigen. Damit ist die Frist von drei Monaten, in denen ein Bürgerbegehren gegen einen Ratsbeschluss eingereicht werden kann, zunächst gestoppt. Wenn der Rat am Ende ein Bürgerbegehren annimmt und damit einen Bürgerentscheid freigibt, darf die Verwaltung nichts mehr tun, was den Bürgerentscheid unausführbar machen würde – es kommt also auf die genaue Formulierung der Frage an, die die Initiatoren zur Abstimmung stellen wollen.
Die Verwaltung muss den Initiatoren in einem ersten Schritt mitteilen, was die Umsetzung der angestrebten Entscheidung kosten würde. Danach können die Initiatoren entweder direkt mit der Unterschriftensammlung beginnen oder eine Vorprüfung durch den Rat beantragen. Dann muss der Rat innerhalb von acht Wochen entscheiden, ob er die formulierte Abstimmungsfrage für zulässig hält. Wenn er das bejaht, kann er später allenfalls noch die Unterschriftensammlung beanstanden. In Siegen müssen fünf Prozent der rund 80.000 Wahlberechtigten unterzeichnen, das sind etwa 4000 Unterschriften. Wird das Bürgerbegehren für zulässig erklärt, hat der Rat die Möglichkeit, sich dem Votum anzuschließen oder die Wahlberechtigten zur Abstimmung aufzurufen.
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