Hilchenbach. Der Wald ist verwüstet wie zuletzt im 16. Jahrhundert. Forstamtsleiter Manfred Gertz zeigt auf, wie es weitergeht– nicht ohne Hilfe der Jäger.

Durch Dürre und Borkenkäferbefall ist in Hilchenbach in den letzten drei Jahren 400 von 2000 Hektar Waldfläche zerstört worden, das entspricht einem Verlust von 370.000 Festmetern Holz. Das hat Manfred Gertz, Leiter des Regionalforstamts Siegen-Wittgenstein, jetzt im Ausschuss für Klima und Umwelt berichtet.

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Die Lage: Das Baumsterben geht weiter

Leidtragende seien vor allem die Waldgenossenschaften – im Stadtwald habe bereits Kyrill vor 15 Jahren „ganze Arbeit geleistet“. In Hilchenbach habe nur noch die große Waldgenossenschaft Heinze und Hofes Hauberg nennenswerte Fichtenbestände. Die Waldgenossenschaft Grund habe dagegen „keine einzige Fichte mehr“. Der Forstamtsleiter zieht den Vergleich zu der Zeit, als es noch keine Haubergswirtschaft gab und die Menschen ihren Wald planlos verfeuert haben: „So hat das Siegerland im 16. Jahrhundert ausgesehen."

Darum geht es auch

Experimentier-Baumarten: Esskastanie, Baumhasel, Zeder und Mammut sind Baumarten, deren Ansiedlung versucht werden soll – das Risiko ist ihre Frostempfindlichkeit Immerhin ist die Durchschnittstemperatur im Siegerland von 6,5 Grad im Jahr 1995 auf jetzt acht Grad gestiegen – und damit Meran (10 bis 11 Grad) nähergerückt.

Dürrstände: Von der Idee, abgestorbene Bäume stehen und dazwischen neue wachsen zu lassen, hat sich das Forstamt verabschiedet. In der Regel brechen die Dürrstände innerhalb von zwei Jahren zusammen, Unternehmen schicken ihre Waldarbeiter dort nicht hinein. Jetzt werden die Stämme auf drei Meter Höhe gestutzt: „In deren Halbschatten pflanzen wir empfindliche Bäume“, erklärt Manfred Gertz.

Waldbrandgefahr: Die sieht Manfred Gertz weniger in den Dürrständen als vielmehr in den Halden mit Schlagabraum an den Wegrändern: „Die sind viel gefährlicher und machen mir immer mehr Sorge.“ Positiv sieht Wilhelmsburg-Försterin Anna-Maria Hille die gute Zusammenarbeit von Waldvorstehern und Feuerwehr: So sei sichergestellt, dass die Löschfahrzeuge direkt ans Ziel kommen. Die Löschgruppen selbst sind mit Tankrucksäcken und Allrad ausgestattet.

Starkregen: Kahle Hänge können rutschen – nämlich dann, wenn auch das Wurzelwerk abstirbt, das den Boden noch zusammenhält. Forstamtsleiter Manfred Gertz erinnert an den Rutsch auf die L 719 bei Walpersdorf. Hoch gefährdet sei der Steilhang über dem Sohlbacher Weiher bei Netphen-Sohlbach.

Waldboden: Schwere Maschinen auf den Rückegassen haben den Waldboden so verdichtet, dass dort zunächst nichts mehr wächst. Manfred Gertz: „Der Boden wird sich über mehrere Jahrzehnte regenerieren müssen.“

Die Abwehr mit Borkenkäferfallen habe nicht funktioniert, sagte Manfred Gertz, „es waren einfach zu viele.“ 2019 seien die Holzpreise verfallen – die Kapazitäten der örtlichen Sägewerke hätten zur Weiterverarbeitung nicht ausgereicht, das Holz habe exportiert werden müssen. Inzwischen sei Holz wieder knapp – „die Preise gehen durch die Decke." Jede Woche gingen weiter Bäume verloren, „in den nächsten Wochen müssen wir mit weiterem Befall rechnen“, sagte Manfred Gertz, „die Situation ist düster.“

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Die Zukunft: Die Jäger sollen mithelfen

Douglasie, Buche, Fichte, Eiche, Lärche und Tanne werden die neuen Wälder prägen, sagte Anna-Maria Hille, die neue Försterin im Forstbetriebsbezirk Wilhelmsburg. Einstellen müssen sich die Förster auf trockene Sommer, „die Niederschläge kommen jetzt häufig nur noch im Winter.“ Ein Lichtblick: Durch die wieder steigenden Holzpreise stehen Waldbesitzern mehr Mittel für Investitionen zur Verfügung – wenn auch bei weitem nicht genug. Die Försterin macht das Rechenexempel: Etwa 5000 Euro kostet die Neubepflanzung eines Hektars Wald – aber 10.000, wenn auch noch ein Zaun oder ein Gatter gebaut werden muss., um die jungen Bäume vor Wild zu schützen. „Verbiss und Schälschäden können zurückwerfen“, sagte Anna-Maria Hille, „es ist dringend notwendig, dass die Jagd Berücksichtigung findet.“

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Wenn der ganze Wald in Siegen-Wittgenstein wieder aufgeforstet werden soll, würden dafür 100 bis 200 Millionen Euro gebraucht, schätzt Manfred Gertz, „Tendenz steigend“. Die Anpflanzungen müssten auf fünf bis zehn Jahre gestreckt werden, schon deshalb, weil das Saatgut knapp ist. Mit einkalkulieren müssen die Waldbesitzer auch, dass längst nicht jeder neu gepflanzte Wald groß wird. Zu rechnen seit mit 10 bis 30, manchmal aber auch mit 100 Prozent Ausfall, sagte der Forstamtsleiter. „Die neuen Kulturen müssen auch gepflegt werden. Hier könnte man Arbeitsplätze schaffen.“ Insgesamt, so Manfred Gertz, werde aber höchstens ein Viertel des neuen Waldes aktiv bepflanzt: „Nur da, wo es unbedingt notwendig ist.“ Den großen Rest wird die Natur selbst besorgen müssen.

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Das Hilchenbacher Extra: Ein Baum für jedes Baby

Für jedes in Hilchenbach neugeborene Kind wird ein Baum gepflanzt – ab 2023 erstmals für die 2022 zur Welt gekommenen Babys. Das hat der Umweltausschuss auf Antrag von SPD und Grünen beschlossen – und mit weiteren Ideen angereichert: Eltern und Großeltern könnten die Bäume als Paten kaufen, schlug Ulrich Bensberg (UWG) vor. Für die benötigten Setzlinge, die derzeit knapp auf dem Markt sind, wäre vielleicht eine Zusammenarbeit mit der gerade vom Gymnasium Stift Keppel für den eigenen Zukunftswald angelegten Baumschule denkbar, sagte Tomas Irle (CDU). Nur von den Namenstäfelchen riet Forstamtsleiter Manfred Gertz ab: „Neuanpflanzungen können ja auch in die Hose gehen.“

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Baudezernent Michael Kleber wird nun im Stadtwald auf die Suche nach einer Fläche gehen, auf der im Jahr zwischen 80 und 100 neue Bäume gepflanzt werden können. Die Kosten, so Kleber, hängen davon ab, ob kleine Setzlinge oder schon größere Bäume gepflanzt werden sollen und ob ein Verbissschutz erforderlich ist. Peter Gebhardt (FDP) wunderte sich: Gerade erst habe die Ratsmehrheit „den schönen alten Baumbestand“ auf dem alten Hilchenbacher Friedhof für eine Buswende geopfert. Peter Kraus (UWG): „Schön, dass die SPD plötzlich die Bäume für sich entdeckt.“

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