Siegen. Das Schauspielhaus Bochum schafft es, William Shakespeares „Hamlet“ in Siegen einmal völlig anders zu inszenieren: Es gibt einige Überraschungen.
Das Schauspielhaus Bochum ist immer für Überraschungen gut, vor allem seit der Bühnenzauberer Johan Simons dort Regie führt. Überraschung Nr. 1 startet schon, bevor William Shakespeares „Hamlet“ im Apollo-Theater in Siegen überhaupt losgeht.
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Denn was machen seltsam gewandete Besucher auf den besten Theaterplätzen in der Mitte der Reihe eins? Bevor man mit ihnen ins Gespräch kommen könnte, stehen sie auf und stellen sich in einer Reihe auf die Bühne, die man sonst eher beim Schlussapplaus vermutet. Bis sie dann nacheinander wieder auf ihren angestammten Sitzen im Saal Platz nehmen.
Apollo-Theater in Siegen: Zuschauer werden in „Hamlet“ mehrfach überrascht
Nur Hamlet bleibt, und der ist, Überraschung Nr. 2, eine Sie, nämlich Sandra Hüller im dunklen, engen Pullover und grauer Schlaghose. Hamlet ist alles andere als ein angepasster Sohn. Er, der Prinz von Dänemark, ist der Mörder seines Vaters. Seine Mutter hat inzwischen Hamlets Onkel Claudius geehelicht, der damit der König von Dänemark ist. Und der würde Hamlet am liebsten entsorgen. Entweder ins Gefängnis oder nach England.
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Hamlet sperrt sich: „Ich will keine Maschine sein, keinen Schmerz, keine Gedanken.“ Manchmal spricht er flüsternd, oft schreit er bis zur Schmerzgrenze. Denn Hüller und ihre 10 Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne tragen Headsets, ihre Texte werden also, und das ist die nächste Überraschung, über Lautsprecher in den Theatersaal übertragen. Was in der angestammten Spielstätte im Bochumer Schauspielhaus vielleicht sinnvoll ist, hier im eher halb so großen Apollo ist diese Übertragungstechnik überflüssig, ja sogar störend und noch nie in den vielen Apollo-Jahren von Profi- Ensembles angewendet worden.
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So ist weder Sandra Hüllers Flüstern noch ihr Schreien wirklich gut zu verstehen. Und mancher andere Wortwitz des großen Shakespeare geht vor die Hunde. Wohltuende Ausnahme: Der lebenserfahrene, abgeklärte Staatsrat Polonius mit seinen coolen Sprüchen: „Ophelia, geh mal kurz auf und ab und tue so, als ob du in der Bibel liest.“ Oder, als er kurz vor der Theaterpause durch die Hand Hamlets das Zeitliche segnet: „Oh, ich bin umgebracht.“
Apollo-Theater in Siegen: Lang anhaltender Beifall für „Hamlet“ – doch etwas stört
Für die Pause hat sich die Bochumer Regie etwas Besonderes ausgedacht: Während fast alle Theaterbesucher den Saal verlassen, bleibt Hamlet auf der Bühne: Voll angestrahlt, bewegungs- und regungslos. Der wird im zweiten Teil zum Wüterich, der keine Gefangenen macht. Als er versucht, seine Mutter zu vergewaltigen, als er nach einer Schrei-Orgie „Fang an“ im Duell Polonius` Sohn Laertes mit einem vergifteten Degen meuchelt. Ein schräger Einfall: Glänzende Stahlkugeln ersetzen beim Boule-Spiel der Totengräber die sonst wohl üblichen Totenschädel. Doch dieser Zeitvertreib soll schon bald ein Ende nehmen: Schließlich liegen Claudius, der Stiefvater, ebenso wie Hamlets Mutter tot am Boden wie die Höflinge Rosencrantz und Guildenstern. Und auch Hamlet selbst. Viel Arbeit für die Totengräber. Und „Der Rest ist Schweigen.“
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Der lang anhaltende Beifall im Stehen gilt einem Ensemble von Schauspielern, die einen schwierigen Theaterstoff rasant in die heutige Zeit versetzt und einem Bühnenbild und optischen Effekten, die diese Schauspielkunst ins rechte Licht gerückt haben. Aber es bleibt neben der schon gestellten Frage nach dem Sinn der Headsets noch das Klang-Thema, darunter nervenzerfetzende elektronische Geräusche in der Lautstärke eines startenden Flugzeugs. Kann man machen, doch warum?
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