Siegen. Zwei Jahre ohne Weihnachtshow im Lyz – die Corona-Befreiung gelingt, wie immer abgefahren, hemmungslos, absurd. Ein verrücktes Durcheinander halt
Eine Weihnachtsshow Anfang Mai, geht das überhaupt? Natürlich, die meisten Musiker spielen ihre „Seasonal“-Alben im Frühling oder Sommer ein. Aber eine Live-Veranstaltung ist dann doch etwas anderes. Guido Müller ist das Risiko eingegangen, hat die 17. Auflage der „Kartoffelfreuden im Nebelland“ wie geplant Samstagabend, 7. Mai, im Siegener Lyz durchgezogen.
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Und ja, es hat funktioniert, der Saal ist am Ende voll, manche haben sogar Nikolausmützen mitgebracht. Zwei Jahre ohne, da haben sich Stammpublikum und Künstler wohl einfach mit großer Sehnsucht vermisst. Und feiern den Abend, als würde er einen zusätzlichen Akt der Befreiung aus der Corona-Zeit verkörpern. „Solch eine Vielfalt“, sagt Edith Rasche in der Pause bewundern. Die Kabarettistin aus Olpe war vor ein paar Wochen erstmals bei der Kabarett-Show dabei, ist diesmal lediglich Zuschauerin, hat aber ebenso ihren Spaß am bunten Bühnenreigen, wie die anderen rund 200 auf den Rängen.
Singen und blödeln mit bekannten Gesichtern, Schneemännern und Adventskränzen
Dabei gibt es eigentlich nur wenig wirklich Neues zu sehen. Es sind weitgehend die bekannten Gesichter und Künstler all der vergangenen Jahre, die zwischen Schneemännern und Adventskränzen singen und blödeln, dazwischen natürlich Guido Müller selbst in gewohnt abgefahrenen Kostümen, „der kleine Derwusch“, wie Sänger Joi Dreisbach am Ende feststellt, als nach fast drei Stunden wie immer „Merry Christmas everyone“ angestimmt wird.
Es ist alles wie immer, und vielleicht gerade deshalb nach der Pause so schön und wichtig für die Menschen, die hinterher begeistert das Lyz verlassen. Joi Dreisbach stellt unter anderem „I Don’t Wanna Talk About It Now“ von Curtis Stigers vor, begleitet von Steven Hilf am Piano, darf aber auch bei der Eröffnungsnummer schon mit Guido im Duett singen, im Frauenkostüm und als Jeanette Biedermann angekündigt. Danach ist das Publikum direkt auf Zimmertemperatur, zumal „es draußen schneit und wir extra die Heizung angemacht haben“. Was nicht stimmt, aber sich über den Abend so anfühlt. Gegen Ende ist die Luft im Raum so dick, dass selbst die Bewegungen des quirligen Moderators im Osterhasenkostüm irgendwie verlangsamt wirken.
Guidos gewohnte Bosheiten gegen die rückständigen Wittgensteiner Bergbewohner
Aber das macht gar nichts. „Wollt ihr das totale Weihnachten“, ruft Müller etwas gewagt in den Saal. Die Antwort ist ein lautes „Jaaa“, und dann geht der Weihnachtsschlitten so richtig ab. Natürlich dürfen weder „Les Femmes Fatal“ fehlen, noch die ATG Alchen mit ihren Tanzvorführungen. Robin Husch aus Dortmund beklagt die lange Anfahrt wegen des großen Grabens auf der Autobahn, unterhält mit absurd-kalauernden Schüttelreimen und einem noch absurderen Zauberauftritt. Zu Abwechlung legt er noch eine Gesangseinlage als „Opern-Phantom“ nach. Ein anderer Meister des Wortes und guter Beobachter des dörflichen Lebens ist der Wittgensteiner Tobias Beitzel, der Guido Müllers gewohnte Bosheiten gegen die rückständigen Bergbewohner gnadenlos kontert und einen lebendigen Blick in die typischen Dorf-Weihnachtsmärkte seiner Heimat gibt. Wo alle Feste nur den einen Sinn haben, sich möglichst heftig die Kante zu geben.
Ein bisschen beschaulicher wird es mit der 13-jährigen Debütantin Christina, die unbedingt einmal mitmachen wollte und Melodien aus „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ in die Tasten flüstert. Namensvetterin Kristina Wilmes ist auch für etwas beschaulichere Momente des Abends zuständig. Mit Sebastian Burbach als Begleiter singt sie „Stille Nacht“ in verschiedenen Sprachen und davor bereits eine ganz besondere Version von „The Rose“. Begleiter Burbach hat das Publikum zunächst „Oh Du Fröhliche“ anstimmen lassen und dann die Sänger von „Einigkeit“ Herzhausen auf die Bühne geholt, die er auch sonst als Chorleiter betreut. Die Herren stimmen „Es ist ein Ros’ entsprungen an“, werden damit zu ganz besonderen Duettpartnern von Wilmes und „The Rose“ und haben sich den Applaus redlich verdient. In der Pause unterhalten sie dann auch noch mit Stücken wie „I’m Bound For The Promised Land“ in der Lobby.
Sogar das unselige „Last Christmas“ wird mit Siegener Publikum zum Vergnügen
Auf der Bühne überzeugt ansonsten noch Lena Plata mit ihrem ersten Weihnachtsauftritt und Pianist Andreas Schattinger. Die Sängerin aus Gosenbach macht Joi Dreisbach in Sachen Blues fast Konkurrenz, verwandelt einige Klassiker in einer Art und Weise, wie es seit Elvis niemand mehr geschafft hat, der sich einst endlos in „Merry Christmas Baby“ suhlte, schafft es danach sogar, das unselige „Last Christmas“ mit Hilfe des Publikums in ein Vergnügen zu verwandeln: „Sie sind die ersten in diesem Jahr, die es gehört haben“, lacht sie fröhlich in die Runde und tanzt von der Bühne.
Und dann ist da noch Florian Simbeck, der über Hundehaufen und nervige Kinder philosophiert, während Guido Müller bei „Menschen im Winter“ Unterstützung von Sebastian Zimmermann als „Herbert Grönemeyer“ bekommt. Ein verrücktes Durcheinander, das kurz nach 23 Uhr aber einen perfekten Sinn ergibt. Und Appetit macht auf die 18. Auflage. Die soll ganz regulär am vierten Advent kommen. Frohes Fest!
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Der Erlös der Veranstaltung ist komplett an die Ukraine-Hilfe geflossen.