Siegen. Die Liste wird länger: Täglich bleiben in Siegen Fahrgäste der VWS an der Haltestelle stehen, weil Busse gestrichen sind und weil Personal fehlt.
- Erneute Krankheitswelle bei den Verkehrsbetrieben VWS – nicht so schlimm wie 2019
- In Siegen-Wittgenstein fehlen Berufskraftfahrer – auch wegen des Ukrainekriegs
- Baustellen und Pöbeleien von Fahrgästen machen Busfahrern zu schaffen
In den Facebook-Kommentaren kommen Erinnerungen an den Frühling 2019 hoch: Das rund um Siegen jeden Tag mehr als 100 Busverbindungen gestrichen wurden, weil die Fahrer sich krank meldeten, hatte überregional Schlagzeilen gemacht. Seit Wochen wird die Liste jetzt wieder länger: Über 30 Fahrten haben die Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS) für Donnerstag abgesagt, das Angebot der Uni-Expresslinien („UX“) ist schon seit Ende März auf einen Notfahrplan zusammengestrichen.
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Bis zu 15 Prozent Ausfall - auch Hauptlinien betroffen
„So schlimm wie 2019 ist es nicht“, betont VWS-Prokurist Stephan Boch – und, so hofft er, wird es auch nicht werden: „Wir gehen davon aus, dass sich das bald etwas entspannt.“ Etwa zehn bis 15 Prozent der täglich über 300 Fahrerinnen und Fahrer, die auf den Linien in Siegen-Wittgenstein und Olpe unterwegs sind, sind derzeit krank, schätzt Stephan Boch Diesmal weniger bei den VWS selbst als vielmehr bei den anderen Busunternehmen, die im Auftrag der VWS fahren. Das trifft dann auch die wichtigen Linien R 10 von Siegen nach Kreuztal, R 11 von Kreuztal nach Hilchenbach, R 16 von Siegen nach Hainchen und R 40 von Siegen nach Freudenberg.
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Busfahrer sind knapp und begehrt
Ersetzen können die VWS den Ausfall nicht. „Wir haben wenig in der Hinterhand“, räumt der VWS-Prokurist ein. Es fehlt in ganz Deutschland an Berufskraftfahrern und damit auch an Busfahrern – die Werbekampagne für den Beruf, mit der Siegen-Wittgenstein 2019 auf die Krise reagiert hat, könnte gut wiederholt werden. „Wir versuchen, die Rahmenbedingungen für den Beruf zu verbessern“, sagt Stephan Boch. Nur: Die Verhältnisse arbeiten dagegen. Baustellen sorgen für Verspätungen und schlechte Stimmung, „wenn es gut läuft, werden Fahrgäste nur unhöflich.“
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Eine Reihe von Migranten haben sich in den letzten Jahren für den Beruf qualifizieren können – ihre große Hürde, die sie vorher nehmen müssen, ist die Sprache. „Wir brauchen Fahrer, die mit den Kunden kommunizieren.“ Und jetzt hat der Ukraine-Krieg auch noch eine Verdrängung ausgelöst: Die vielen ukrainischen Lkw-Fahrer, die In Polen arbeiten, sind zum Kriegsdienst in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Lücke in Polen füllen einheimische Fahrer, die dann eben nicht mehr in Deutschland arbeiten. Und in Deutschland konkurrieren Speditionen und Busunternehmen um die noch kleiner gewordene Zahl von Berufskraftfahrern.
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ZWS schaltet sich ein: „Das ist schon wieder heftig“
Der Zweckverband Personennahverkehr Westfalen-Süd (ZWS) ist, wie es in der Fachsprache heißt, „Aufgabenträger“ für den öffentlichen Nahverkehr. Dessen Geschäftsführer Günter Padt beobachtet die Situation: „Das ist schon wieder heftig. Wir wollen uns das darlegen lassen.“ Seit einigen Monaten ist der ZWS auch formal Auftraggeber: Um die vor allem während der Pandemie aufgelaufenen Verluste einzufangen, gilt für die Fahrgäste ein „Höchsttarif“ und für die VWS eine „allgemeine Vorschrift“, nach der dem bis dahin auf eigene Rechnung arbeitenden Verkehrsunternehmen Ausgleichszahlungen der Kreise zufließen können – 7,5 Millionen Euro im Jahr könnten das sein, hat Siegen-Wittgenstein für sich ausgerechnet. „Grundbedingung ist, dass die Leistung erbracht wird“, sagt ZWS-Geschäftsführer Günter Padt, „die Qualität ist fixiert.“
Teurer Diesel
Die steigenden Treibstoffpreise belasten auch die VWS. Anders als bei den Taxiunternehmen, die gerade beim Kreis eine Erhöhung ihrer Tarife um 30 Prozent beantragt haben, können die Fahrscheine für Bus und Bahn nicht ohne weiteres teurer werden. Über den „Westfalen-Tarif“ müssen viele Beteiligte abstimmen. Dass der Ausgleich für die fast verdoppelte Dieselrechnung am Ende ebenfalls aus dem Kreishaushalt kommt, will ZWS-Geschäftsführer Günter Padt nicht ausschließen: „Das muss man am Ende des Tages sehen.“
Mit dem Neun-Euro-Ticket wird es noch schwieriger
Günter Padt weist auch auf den größeren Zusammenhang hin, in dem die Fahrplankürzungen zu betrachten sind: „Die Verkehrswende kriege ich so nicht hin.“ Das sieht Stephan Boch von den VWS nicht anders: „Am Ende des Tages ist öffentlicher Nahverkehr Daseinsvorsorge.“ Die muss entweder von der öffentlichen Hand bezahlt werden – oder das Angebot wird verringert: „Aber das ist politisch auch nicht gewollt.“ Die nächste Hürde ist in Sicht: Das 9-Euro-Ticket. „Für uns sind das drei Monate fast ohne Einnahmen“, sagt Stephan Boch. Denn wie das Geld vom Bund unter Beachtung von EU-„Beihilfe“-Verboten an das private Verkehrsunternehmen kommt, ist zumindest auf der Marienhütte noch nicht bekannt.
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