Dahlbruch. SMS group: Unternehmensinhaber Heinrich Weiss stellt sein Elternhaus für Geflüchtete aus der Ukraine zur Verfügung. Azubis richten Zimmer ein.

Die Villa an der Hochstraße ist wieder bewohnt. Da, wo Heinrich Weiss, der Hauptgesellschafter der SMS group, in den 1950er und 1960er Jahren groß geworden ist, haben aus der Ukraine geflüchtete Frauen mit ihren Kindern ein Dach über dem Kopf gefunden. Angehende Mechatroniker und Elektriker aus dem Lernwerk des Unternehmens haben das Haus mit Unterstützung ihrer Ausbilder in kürzester Zeit eingerichtet.

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Bis 1997 Wohnhaus der Familie Weiss in Dahbruch

Wenige Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine steht die Zusage im Raum: 100 Familien wird das Unternehmen in Deutschland mit einer Unterkunft versorgen. Während in Mönchengladbach die Baustellencontainer, die nach Fertigstellung der neuen Unternehmenszentrale ihren Dienst getan hatten, neu eingerichtet werden, fällt der Blick in Hilchenbach vom Werksgelände auf die gegenüberliegende Straßenseite: das ehemalige, bis 1997 genutzte Wohnhaus der Familie Weiss, das zuletzt durch die SMS-Akademie, die 2006 eröffnete betriebliche Weiterbildungsstätte, belegt wurde.

Ein Bild aus dem Jahr 1956: Im Jahr 1950 ist die Familie Weiss in die neue Villa an der Hochstraße in Dahlbruch eingezogen.
Ein Bild aus dem Jahr 1956: Im Jahr 1950 ist die Familie Weiss in die neue Villa an der Hochstraße in Dahlbruch eingezogen. © SMS group | Sms group

Sechs Schlafräume, vier oben und zwei unten, Wohnraum, Esszimmer, Küche und Wintergarten sind auszustatten. Auch für Personalleiter Bernd Schledorn ein nicht alltäglicher Auftrag: „Bei Ikea bestellt man nicht jeden Tag“. Jedenfalls nicht, wenn man sonst eher Maschinen und Anlagen für die Schwerindustrie herstellt. Anderthalb Wochen müssen die Hilchenbacher warten, bis die zwei Lkw-Ladungen mit Möbeln für rund 10.000 Euro eintreffen.

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Möbel für 21 Frauen und Kinder

Und dann sind Tom Sitek, René Meier, Louis Brandt, Natalie Bauer, Sandro Schröder, Miroslav Klimoski und Felix Henrichs am Zuge: Binnen zwei Tagen bauen die Mechatroniker und Elektriker des ersten Lehrjahrs Betten, Schränke, Tische und Kommoden für 21 Bewohnerinnen und Bewohner auf. „Und ein Babybett“, merkt Christof Nadler, Ausbildungsleiter für die gewerblichen Berufe, an. Dass ein Baby mit den ersten Bewohnerinnen einzieht, war angekündigt. Eine Katze auch – in der neuen, alten Villa Weiss haben Haustiere Platz und Auslauf in einem großen Garten.

SMS-Azubis richten die Villa Weiss für Geflüchtete ein.
SMS-Azubis richten die Villa Weiss für Geflüchtete ein. © SMS group | Sms group

Auf den Imbusschlüssel, den das schwedische Möbelhaus mit den blauen und gelben Farben früher immer mitlieferte, verlässt sich die junge Mannschaft nicht: Akku-Bohrmaschinen, Ratschenkästen und Schraubendreher bringen sie aus ihrem Lernwerk mit. Profis eben: „Wenn mal nichts mehr ging, haben wir auch mal auf die Anleitung geguckt“, berichtet Tom Sitek. Nur der Sessel war ein bisschen tricky: In dem sind vier unterschiedlich lange Schrauben verbaut, erinnert sich René Meier. Der erste Sessel, betont er. Man lernt ja.

Familie

Heinrich Weiss wurde 1942 in Berlin geboren; er wuchs mit seinen Geschwistern in Hilchenbach auf. Bernhard Weiss ist sein Vater, er war Neffe des aus Kreuztal stammenden Industriellen Friedrich Flick.

Carl Eberhard Weiss, Urgroßvater von Heinrich Weiss, gründete 1871 eine Schmiede. 1927 fusionierte sie mit der Eisengießerei Klein zur Siemag.

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Auch SMS-Beschäftigte in Polen helfen mit

„Das war eine Superleistung“, lobt Bernd Schledorn. Schließlich musste alles schnell gehen – „wir wussten ja nicht, wann die Ersten ankommen.“ Wichtig sei den Beteiligten gewesen, unmittelbar helfen zu können. So können aus der Belegschaft auch leer stehende Wohnungen und Häuser vermittelt werden. Und auch eine Menge Geld wurde gesammelt: Europaweit haben Mitarbeitende mehr als 100.000 Euro gespendet, die das Unternehmen verdoppelt hat – und das erst kurz nach dem Spenden-Kraftakt für die Opfer der Flut in der Eifel und an der Ahr.

Die angehenden Mechaniker und Elektriker bauen Betten zusammen.
Die angehenden Mechaniker und Elektriker bauen Betten zusammen. © SMS group | Sms group

„Selbstverständlich, dass man hilft, wo man kann“, findet Azubi René Meier. Gerade erst hat ein Kollege einen Rettungswagen nach Kattowitz überführt, wo er von den dortigen Kollegen über die Grenze gebracht wird. Gefragt ist dann auch die Mannschaft der SMS Metallurgy Polska, die von Kattowitz aus Hilfstransporte in die Ukraine begleitet. „Man hat natürlich ein gutes Gefühl“, sagt Tom Sitek, „man freut sich, dass man bei einer Firma arbeitet, die das alles unterstützt.“

Zuflucht für Frau und Kinder von Kollegen aus der Ukraine

Die neuen Bewohner des Hauses Weiss werden die Aufbauhelfer zunächst nicht kennen lernen – sie sollen ungestört ankommen können. Zwei Mitarbeiter in Dahlbruch sprechen ukrainisch, sie können im Alltag vermitteln, wenn es nötig ist. Drei Plätze im Haus werden für die Familie eines Kollegen frei gehalten, der im SMS-Verbindungsbüro in Dnipro arbeitet. Der Mann muss Kriegsdienst leisten, Frau und Kinder fliegen über Warschau und Kattowitz aus. Den Standort in Mariupol, der inzwischen von der russischen Armee zerstörten Hafenstadt, hat die SMS group schon vor drei Jahren aufgegeben.

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Ein anderer Blick auf die Welt

Für den Berufsnachwuchs ist der Blick auf die Welt ein anderer geworden, seit der Krieg vor der Haustür ist. „Man macht sich andere Gedanken“, räumt Tom Sitek ein, „trotzdem wäre es nach wie vor schön, internationale Erfahrungen zu sammeln.“ Personalleiter Bernd Schledorn bestätigt das: „Es ist wichtig, dass junge Menschen bereit sind, ins Ausland zu gehen.“

René Meier (links) und Tom Sitek gehören zu der Azubi-Gruppe, die den ganz besonderen Auftrag im Haus Weiss gestemmt hat.
René Meier (links) und Tom Sitek gehören zu der Azubi-Gruppe, die den ganz besonderen Auftrag im Haus Weiss gestemmt hat. © Steffen Schwab | Steffen Schwab

Die gewerblichen Azubis sind dann im dritten Lehrjahr auf internationalen Baustellen, zuletzt, vor Corona, in Bulgarien, Mexiko und Indien, berichtet Christof Nadler. Für den kaufmännischen Bereich wird es in diesem Jahr Stationen in Lettland, Irland und Malta geben, kündigt Ausbilderin Christina Köhler an. Nur die Ukraine und Russland werden nicht mehr in Frage kommen. Womöglich für lange Zeit nicht.

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