Siegerland. Die Anlieger sollen für den Ausbau ihrer Straßen nicht mehr bezahlen. Aber wer dann? In Siegen und Umland gehen die Meinungen auseinander.
Einige Hausbesitzer in Oelgershausen können womöglich aufatmen. Nach dem Beschluss des Landtags über die Straßenausbaubeiträge nach dem Kommunalabgabengesetz (KAG) bleibt ihnen vielleicht die dicke Rechnung erspart – immerhin drohten, weil die Grundstücke groß und die Kosten hoch sind, Beitragsbescheide von bis zu 30.000 Euro. „Wir werden natürlich versuchen, dass Oelgershausen berücksichtigt wird“, sagt Netphens Beigeordneter Andreas Fresen.
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Allerdings: Der Großteil der Anwohner Auf der Schütze und Vorm Seifchen hat keine Chance – ihre Grundstücke werden erstmalig erschlossen, und dafür müssen sie einen 90-prozentigen Erschließungsbeitrag bezahlen. Ob auch die Anwohner von Kampenstraße und Meisenweg in Hainchen noch entlastet werden können, ist offen: Die ersten Aufträge wurden schon 2016 vergeben – Stichtag für die Förderung ist der 1. Januar 2018.
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Was hat der Landtag beschlossen?
Die bereitstehenden Fördermittel sollen dazu verwendet werden, die Anliegerbeiträge für den Straßenausbau nicht mehr zu 50, sondern zu 100 Prozent zu bezuschussen. Die Stadt muss dafür einen Antrag stellen. Die Regelung gilt für Vorhaben, die nach dem 1. Januar 2018 beschlossen worden sind. Anliegern, die bereits gezahlt haben, werden die Beiträge erstattet. Der von CDU und FDP eingebrachte Antrag fordert „ein Konzept zur Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen unter Vermeidung von Konnexitätsfolgen für das Land Nordrhein-Westfalen“. Das heißt: Für den Ausfall will nicht das Land geradestehen. Es handele sich um „ausschließlich kommunales Vermögen“, heißt es in dem Antrag. „Damit tragen die Städte und Gemeinden auch die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit für die Erhaltung dieses Vermögens.“ Abgelehnt wurde ein Antrag von SPD und Grünen, die Straßenausbaubeiträge aus dem Kommunalabgabengesetz (KAG) zu streichen und den Kommunen den Beitragsausfall aus Landesmitteln zu ersetzen.
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Was sagt die Interessengemeinschaft „Siegen-Wittgenstein für beitragsfreie Straßen“?
Sie spricht in einer Pressemitteilung von einem „bewussten Betrug am Wähler“: „Nach wie vor bleibt ungeklärt, wie diese neuerliche Änderung effektiv dazu beitragen soll, die Menschen in NRW dauerhaft- also auch nach der Wahl - zu entlasten. Viele Fragen bleiben mit den vorgeschlagenen Änderungen zudem unbeantwortet: Was passiert eigentlich, wenn die Fördermittel aufgebraucht sind? Was passiert, wenn dieses Förderprogramm 2024 ausläuft? Was passiert ab dem 1. Januar 2025? Werden die Bürgerinnen und Bürger dann doch wieder vor existenzbedrohenden Straßenausbaubeiträgen oder alternativ vielleicht mit wiederkehrenden Beiträgen fürchten müssen?“ Diana Borawski war Initiatorin der Anliegerinitiative Meisenweg/Kampenstraße in Hainchen. Sie verweist auf den begrenzten Effekt des Landtagsbeschlusses: „Was passiert mit den Bürgern, die man erneut im Regen stehen lässt?“
Was sagt die CDU-Abgeordnete?
„Mit der Zusage, ab sofort für alle Straßensanierungen in Kommunen mit einem Straßen- und Wegekonzept die Beiträge zu übernehmen, kurbeln wir als Land in die Zukunft gerichtet Investitionen an und sorgen dafür, dass marode Anliegerstraßen endlich instand gesetzt werden“, teilt Anke Fuchs-Dreisbach mit. „Den Menschen ist egal, ob sie die Beiträge aufgrund eines Förderprogramms oder einer Gesetzesänderung nicht mehr zahlen – Hauptsache, sie zahlen nichts mehr. Dafür sorgen wir jetzt und schaffen damit eine echte Entlastung in einer Zeit, in der die Bürgerinnen und Bürger sie ganz besonders brauchen.“
Was sagt der SPD-Abgeordnete?
„Den Bürgerinnen und Bürgern, die vier- bis fünfstellige Straßenausbaubeiträge zahlen müssen, gibt das keine langfristige Sicherheit“, sagt Falk Heinrichs. „Denn nach schwarz-gelben Plänen bleiben Straßenausbaubeiträge weiter bestehen.“ Der Beschluss sei ein „unausgereifter Schnellschuss“. Die SPD werde sich weiter für die Abschaffung der Beiträge einsetzen: „Diese finanzielle Last bei der Sanierung von Straßen ist für viele Haushalte kaum oder gar nicht zu stemmen.“
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Was bedeutet das für die Städte und Gemeinden?
Zumindest für die Bürger „eine positive Botschaft“, meint Hans-Jürgen Klein, Sprecher der Stadt Hilchenbach: Sie sollen für den Straßenausbau nicht mehr direkt zahlen – unabhängig davon, ob das Land das mit erhöhten Zuweisungen an die Kommunen ausgleicht oder ob die Kommunen ihren künftigen 100-Prozent-Anteil durch Steuererhöhungen finanzieren müssen. Wegen der jahrelangen Diskussion über das KAG haben sich viele Kommunen zurückgehalten und auf Straßensanierungen verzichtet, für die sie kassieren müssten. „Unsere Mitarbeiter wurden beschimpft“, erinnert Netphens Beigeordneter Andreas Fresen an vorangegangene Auseinandersetzungen über KAG-Beiträge.
Die meisten Städte sichten jetzt erst einmal, für welche Vorhaben sie noch Fördermittel beantragen können oder welche nun kurzfristig noch möglich werden, solange das Budget zur Verfügung steht. Allzu viele Planungen dürften nicht in den Schubladen liegen, weil die Räte oft die rote Karte für alle KAG-Maßnahmen gezogen haben. Stattdessen wurden vermehrt Fahrbahndecken von Straßen saniert, die nicht so zerstört waren, dass sie neu ausgebaut werden mussten.
Wilnsdorf muss Tretenbach-Brücke erneuern
Der Wilnsdorfer Bauausschuss hat jetzt ein Straßen- und Wegekonzept verabschiedet – Voraussetzung dafür, dass die Gemeinde überhaupt Förderanträge für die KAG-Anliegerbeiträge stellen kann. Im ersten teil des Konzepts steht die Erneuerung der Brücke Tretenbach in Oberdielfen samt der Straßenanbindungen an erster Stelle. Diese Maßnahme hatte der Gemeinderat als einziges Vorhaben freigegeben; ansonsten gilt auch in Wilnsdorf der Verzicht auf Straßenbaumaßnahmen, für die Beiträge erhoben werden müssen, bis nach der Landtagswahl.
In Arbeit ist der zweite Teil des Straßen- und Wegekonzepts mit allen anderen Vorhaben, die sich aus der gerade erfolgten Straßenuntersuchung ergeben. Darüber wird der Rat in der zweiten Jahreshälfte beschließen. Ob es dann weiter Fördermittel gibt oder der KAG-Paragraf ganz abgeschafft wird? „Wir haben keine Information, wie man sich die künftige Finanzierung vorstellt“, sagte Baudezernent Martin Klöckner, „das Land ist gefordert, den Kommunen eine gesicherte Finanzierung zu gewährleisten.“
Frühzeitige Reparatur spart später Kosten
Verärgert zeigte sich der Baudezernent darüber, dass die Gemeinde in dem Straßen- und Wegekonzept auch die für die nächsten fünf Jahre geplante Fahrbahndeckensanierungen auflisten muss, für die sowieso keine Beiträge erhoben werden. Diese sei „ureigene kommunale Selbstverwaltung“, die das Land nicht betreffe: „Das ist schon Gängelung.“ Mit den Deckensanierungen würden größere Schäden durch frühzeitige Reparatur verhindert. „Wenn man zu lange wartet, hat man höheren Aufwand, den wir nicht riskieren wollen.“ Wenn die – nächsttiefere – Tragschicht der Fahrbahn erst ebenfalls beschädigt ist, führt am Vollausbau kaum ein Weg vorbei. Und den müssen, zumindest nach geltendem Recht, Anlieger mitbezahlen.
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