Kreuztal. Kreuztal steht als sicherer Hafen. 200 hören auf dem Roten Platz, wie der Krieg Leben zerstört – und der Widerspruch Hoffnung macht.

Rund 200 Menschen haben am Freitagnachmittag auf dem Roten Platz ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine bekundet. „Auch wir hier in Kreuztal stehen in diesem Sinne auf gegen den Krieg“, sagte Bürgermeister Walter Kiß, „auch stellvertretend für viele Menschen in Russland“, deren Protest „brutal niedergeknüppelt“ werde. „Auch deshalb kann und darf es nicht sein, dass unsere Mitmenschen, deren Heimat Russland ist, inzwischen angefeindet und sogar körperlich angegriffen werden.“

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Bürgermeister Walter Kiß spricht zu den Teilnehmenden der Kundgebung in Kreuztal, nach ihm Dr. Maria Braun und Pfarrer Thies Friederichs..
Bürgermeister Walter Kiß spricht zu den Teilnehmenden der Kundgebung in Kreuztal, nach ihm Dr. Maria Braun und Pfarrer Thies Friederichs.. © Kai Osthoff | Kai Osthoff

Der Rote Platz: Kundgebung – und praktische Hilfe

Walter Kiß erinnert daran, dass Kreuztal bei der Flüchtlingswelle aus Syrien „mit Empathie und ganz praktischen Mitteln“ gezeigt habe, „dass wir weltoffen, tolerant und ohne Vorurteile zu helfen bereit sind, wenn Menschen bei uns Schutz vor Krieg und Elend suchen“. Auf diese Erfahrungen könne die Stadt zurückgreifen, „um unseren Mitmenschen aus der Ukraine Schutz und Hilfe zu bieten, die sie jetzt so dringend brauchen.“ Kreuztal werde dabei soziale ­Herausforderungen zu meistern und auch Kosten zu tragen haben.

Resolution

Einstimmig hat der Rat eine Resolution gegen den Ukraine-Krieg verabschiedet, seine Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung bekundet und die Selbstverpflichtung der Stadt im Städtebündnis als sicherer Hafen bekundet.

Einen Missklang brachte Bürgermeister Walter Kiß zur Sprache. Indem der Entwurf nicht im Vorfeld mit allen Fraktionen angestimmt, sondern von den Grünen allein eingebracht wurde, entstehe das Bild von „besseren“ und weniger engagierten Fraktion. „Das war nicht unsere Absicht", entschuldigte sich Björn Eckert (Grüne), „wir ziehen alle an einem Strang.“

Eine Jugend in einer ukrainisch-russischen Familie – und die Hoffnung

Dr. Maria Braun lehrt an der Siegener Uni, sie ist in der Ukraine aufgewachsen, wo ihre Eltern und Geschwister weiterhin leben. „In meiner Kindheit konnte ich unbeschwert und glücklich bei meinen Großeltern in Russland genauso wie bei meinen Verwandten in der Ukraine spielen. In meiner Klasse lernten damals ukrainische und russische Kinder zusammen, ohne über ihre Herkunft nachzudenken.“ In der vorigen Woche habe ihr in Kiew lebender Bruder seinen Beruf als Informatiker aufgegeben und sich als Offizier zur Armee gemeldet. „Meine Schwägerin, meine 80-jährige Tante, meine Cousine sind in Kiew. Sie leben in ständiger Angst. Meine 75-jährige Mutter bangt um das Leben ihres Sohnes. Gestern ist es meiner Cousine mit ihren kleinen Kindern gelungen, in die Westukraine zu fliehen, in eine sehr unsichere Zukunft."

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Sie habe Hoffnung, sagt Maria Braun. Jede Spende, jedes Paket, jedes Gebet helfe den Menschen in der Ukraine, nicht den Mut zu verlieren. „Auch diese Kundgebung ist ein kleiner Baustein für Frieden.“ Und: „Ich habe auch eine andere Hoffnung: Dass das Gestern, mein Gestern, wieder zurückkehrt. Es gibt viele Russen, die tiefe Verbundenheit mit Ukrainern empfinden.“ Der Aggressor sei nicht Russland und nicht das russische Volk, sondern „Putin und seine gewissenlose Clique“.

Gegen Männer wie Putin. die die Zukunft zerstören: Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bringen handgeschriebene Transparente mit.
Gegen Männer wie Putin. die die Zukunft zerstören: Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bringen handgeschriebene Transparente mit. © Kai Osthoff | Kai Osthoff

Auch im Alltag um Frieden bemühen

Pfarrer Thies Friederichs erzählt über die 23-jährige Nichte seiner Ehefrau, die aus Südafrika stammt, Rassismus und Diskriminierung erfahren hat – und jetzt in der Ukraine studiert. „Krieg ist das Schlimmste, was uns Menschen passieren kann“, sagt Friederichs. Lebenswege von Menschen würden zerstört, es werde lange dauern, auch die psychischen Folgen zu bewältigen. „Man muss sich jeden Tag bemühen, in Frieden miteinander umzugehen“, mahnt der Pfarrer auch für den Alltag.

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Die Otto-Flick-Halle – der Rat wird informiert

„Das Kriegsgeschehen ist inzwischen auch in Kreuztal angekommen.“ Mit diesem Satz beginnt Bürgermeister Walter Kiß am Donnerstag im Rat, der in der Otto-Flick-Halle tagt, seinen Bericht über die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine. Um die 100 sind es bereits am Freitag – geschätzt, denn die meisten, die privat Unterschlupf gefunden haben, verschnaufen erst einmal, bevor sie sich bei der Behörde melden, nach einer längerfristigen Unterkunft und weitere Unterstützung fragen. „Man muss die Menschen zur Ruhe kommen lassen“, weiß Walter Kiß, „sie sind oft vier Tage unterwegs gewesen und werden von uns erst einmal gut versorgt.“ Dazu gehört auch die unbürokratische Versorgung mit Bargeld. Denn die Wenigsten, so berichtet Stadträtin Edelgard Blümel, konnten vor der Flucht noch Geld abheben. „Sie kommen hier mittellos an.“

Rund 200 Menschen bekunden am Freitag in Kreuztal auf dem Roten Platz ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.
Rund 200 Menschen bekunden am Freitag in Kreuztal auf dem Roten Platz ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. © Kai Osthoff | Kai Osthoff

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Kreuztal rechnet mit großer Zahl von Geflüchteten

Wohnen: Derzeit werden alle verfügbaren Plätze in städtischen Unterkünften „mit Hochdruck hergerichtet“, heißt es im Bericht des Bürgermeisters – die Kapazität werde für 90 bis 100 Personen ausreichen. Der Stadt liegen weitere Wohnungsangebote vor, auch kostenlose Unterkünfte stellen Bürger zur Verfügung. „Die Welle der Hilfsbereitschaft ist groß.“ Ziel sei es weiterhin, ohne Sammelunterkünfte auszukommen. „Der Kämmerer klappert den Markt ab und mietet Wohnraum an“, sagt Walter Kiß. Die Städte und Gemeinden seien darauf eingestimmt worden, dass der Zustrom an Geflüchteten noch stärker wird als 2015/16. „Das wird sich sehr dynamisch entwickeln.“

Lions spenden Schulbücher und Schulranzen

Schule: Fragen wie nach Schulunterricht für die Kinder stehen da erst einmal zurück -- obwohl Kreuztal auch dafür vorsorgt: Die 2015 erstmals eingerichtete Willkommensklasse, inzwischen von der Hauptschule Eichen zur Clara-Schumann-Gesamtschule umgezogen, besteht ohnehin. Dort bleiben die Kinder, betreut von Lehrkräften aller Kreuztaler Schulen, bis sie auf die Teilnahme am Regelunterricht vorbereitet sind. „Wir sind dabei zu erfassen, wie viel Platz wir an den Schulen überhaupt noch haben“, berichtet Stadträtin Edelgard Blümel. Für die Ausstattung der Kinder mit Schulranzen und Schulbüchern will der Lions-Club Kreuztal Unterstützung leisten, teilt Dieter Gebauer (Grüne) mit. Angeboten werde den Geflüchteten natürlich die Corona-Schutzimpfung und Schutzimpfung gegen Masern, ohne die kein Kita- oder Schulbesuch möglich ist, antwortet Edelgard Blümel auf Nachfrage von Marion Kleis (CDU).

Rund 200 Menschen bekunden am Freitag in Kreuztal auf dem Roten Platz ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine.
Rund 200 Menschen bekunden am Freitag in Kreuztal auf dem Roten Platz ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine. © Kai Osthoff | Kai Osthoff

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Rathaus: Für die Verwaltung sei die Aufgabe herausfordernd, die Mitarbeitenden müssten auf verzweifelte Menschen eingehen, berichtet die Sozialdezernentin: „Da stehen Menschen am Schreibtisch, die weinen.“ Das Sachgebiet Flüchtlinge und Integration wurde bereits um eine Kraft verstärkt, eine zusätzliche Stelle für Sozialarbeit für Menschen aus der Ukraine wird ausgeschrieben. Vor Kriegsbeginn lebten in Kreuztal 15 ukrainische Staatsangehörige und 36 Deutsche mit zweiter, ukrainischer Staatsangehörigkeit.

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