Hilchenbach. Zehn Mütter und Kinder sind am Freitagmorgen in Hilchenbach angekommen. Der Abschluss eines Hilfstransports in die Ukraine.
Noch 100 Kilometer bis Korczowa. Etwas müde seien sie, berichtet Sven Wengenroth am Donnerstagmorgen, der sich zusammen mit Tomas und Carsten Irle und mit Oliver Müller auf den Weg zur polnisch-ukrainischen Grenze gemacht hat. Der Vereinsbus des TuS Hilchenbach und Wengenroths privater Transporter sind „randvoll" gepackt, wie Wengenroth berichtet, mit Lebensmitteln und Medikamenten.
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Hilchenbach: Vorbereitung in knapp zwei Tagen
Gerade einmal einen Tag Vorlaufzeit haben sich die Hilchenbacher für ihre Aktion genommen. Und den haben sie auch nur gebraucht, um mit Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis ihr Vorhaben vorzubereiten, auf dem Rückweg bis zu zwölf Kriegsflüchtlinge mitzunehmen – für deren Unterkunft wird in Hilchenbach gesorgt sein, wenn sie am Freitag eintreffen. Über die bundesweite Facebook-Gruppe „Flüchtlingshilfe Ukraine“ haben sich die Hilchenbacher registriert, haben sich die blau-gelben Helferausweise besorgt, die hinter den Windschutzscheiben liegen, und vor allem: gefragt, was gebraucht wird.
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Am Mittwochmorgen um 9 Uhr hatte Tomas Irle in der örtlichen Facebook-Gruppe den Aufruf gestartet. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Die benötigten Medikamente wurden aus Arztpraxen und Apotheken beigesteuert, andere lieferte Lebensmittel dazu, „andere haben Geld überwiesen“ – der Sprit ist bekanntlich extrem teuer. Gegen 20 Uhr wurden die Fahrzeuge beladen, dann ging es los.
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Das ziemlich politische Quartett – die Brüder Irle sind für die CDU im Rat, Wengenroth für die Linke – ist gespannt. „Wir haben gerade die Koordinaten für die Annahmestelle bekommen“, berichtet Sven Wengenroth am Donnerstagvormittag. Nach dem Abladen wird es dann zu einer weiteren Station gehen, wo Geflüchtete auf die Transportmöglichkeiten verteilt werden. „Wir werden zugeteilt, die rufen dann aus.“
Stift Keppel: Für eine Schule wird der Krieg fassbar
Szenenwechsel: Im Gymnasium Stift Keppel werden am Mittwoch zwei neue Mitschüler begrüßt, ein Junge in einer 5. Klasse, ein Mädchen in einer 8. Klasse. Ihre Familien sind aus der Ukraine geflüchtet, in Hilchenbach haben sie Bekannte: eine deutsch-polnische Familie, bei der sie zunächst unterkommen konnten. Am Freitag hatten die Gastgeber angefragt, am Montag sprach Schulleiter Dr. Jochen Dietrich mit den Eltern. Ob die Schulform, die Einstufung in den Jahrgang passt? „Das ist jetzt alles nicht wichtig. Entscheidend ist, dass sie morgens aufstehen und in die Schule gehen können.“ So sieht es auch das Schulministerium, das zu unkompliziertem Vorgehen rät, wo Dienstwege nicht ein gehalten werden – und so wird es in den nächsten Tagen auch an anderen Schulen im Kreisgebiet hundertfach geschehen.
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Für die Kinder und Jugendlichen im Stift ist die Bedeutung des Aktionstages, den sie für Donnerstag, 17. März, planen, konkreter geworden. In offenen Ateliers bereiten sie gerade Plakate und Bilder mit Botschaften gegen den Krieg vor, die am Donnerstag zu einem Gesamtbild zusammengefügt und von einer Drohne fotografiert werden sollen. In der Nacht vorher wird die Stiftskirche in den ukrainischen Landesfarben Blau und Gelb angeleuchtet, während sich im Treppenhaus Schlafsäcke, Decken, warme Schuhe und haltbare Nahrungsmittel stapeln, die am Tag danach auf den nächsten Hilfstransport gehen.
Derweil machen alle neue Entdeckungen: Eine ganze Reihe von Schülerinnen und Schüler merken, dass ihre Russisch- und Polnischkenntnisse ausgesprochen hilfreich sind. Und die Neuen, die sich mit einem Übersetzungsprogramm im Handy verständigen, machen die Bekanntschaft mit der Frau in der Bibliothek, die aus Ungarn stammt und Russisch gelernt hat. „Die Sprachbarriere ist noch hoch“, sagt Dr. Jochen Dietrich. Früher oder später aber nicht mehr. Dann werden sie erzählen können. Und es wird noch fassbarer werden, was das eigentlich ist: Krieg.
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Korczowa: Zehn Menschen kommen mit zurück
Früher Donnerstagnachmittag: Die Hilchenbacher sind in Korczowa angekommen, dem Grenzort unweit der litauischen Grenze. Die Medikamente und Lebensmittel sind längst abgeladen und auf einen 40-Tonner umgeladen worden, der wohl am Freitagmorgen nach Kiew fährt. „Hier sind hunderte von Autos“, berichtet Sven Wengenroth, „das übersteigt die Vorstellungskraft.“ Auf eine Raststätte haben sie eine Familie getroffen, die sich aus Spanien mit Hilfsgütern auf den Weg gemacht hat. Die Flüchtlingshilfe hat bereits die Familie ausgesucht, die mit zurück nach Hilchenbach fahren soll. Sie ist gerade über die Grenze gekommen, wird jetzt mit dem Bus nach Korczowa gebracht. „Wir suchen sie jetzt.“
Zwischendurch werden noch drei Mitfahrer in Krościenko eingesammelt – abends gegen 20.30 Uhr beginnt dann die 1270 Kilometer weite Heimfahrt.
Hilchenbach: Frühstück bei Metzger Schmitt
Mit einem Frühstück bei Metzger Schmitt hat für zehn Frauen und Kinder aus der Ukraine ihr Leben in Deutschland begonnen. Die Stadt nahm die Menschen in Empfang, die von vier Hilchenbachern an der polnisch-ukrainischen Grenze abgeholt worden und – auf dem Rückweg eines Hilfstransports – mitgenommen wurden.
Sven Wengenroth, Oliver Müller, Carsten und Tomas Irle waren am Mittwochabend mit Medikamenten und Lebensmitteln aufgebrochen und am Donnerstagvormittag in dem Grenzort Korczowa angekommen. Zehn Personen sind am Donnerstagabend schließlich in die beiden Kleinbusse eingestiegen. Mit ein bisschen Englisch und mit der Hilfe einer Dolmetscherin, die Tomas Irle über das Telefon zuschalten konnte, gelang die minimale Verständigung. Viel erzählt wurde nicht – „die waren platt und haben die ganze Nacht durchgepennt“, berichtet Sven Wengenroth.
Eine Mutter mit zwei Kindern wird von Hilchenbach aus weiterfahren, eine in Deutschland lebende Bekannte wird sie abholen: „Das hat sich noch während der Fahrt ergeben.“ Zwei Mütter mit zwei Kindern, eine Mutter mit einem Kind, eine allein geflüchtete Frau bleiben – vorerst: Sie warten, wer noch kommt und wo sie sich anschließen können.
Hilchenbach: Die Flaggen auf dem Markt
Am anderen Ende des Marktplatzes, vor dem Rathaus, wehen die Flaggen von Tibet und der Ukraine. Tibet, weil Hilchenbach stets am 10. März an den Jahrestag des Volksaufstands von 1959 in dem von China besetzten Land erinnert. Und nun erstmals – Ukraine, denen das Schicksal der Tibeter erspart bleiben möge, hofft Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis: „Der Krieg gegen die Menschen in der Ukraine belastet uns sehr. Er zeigt uns aber auch mehr als deutlich, wie wichtig es auch heutzutage ist, sich weltweit für die Freiheit aller Völker und Menschen sowie gegen Gewalt, Unterdrückung und Krieg einzusetzen“,
Flaggen und beleuchtete Fenster am Rathaus in den Farben der Ukraine seien nur Symbole, betont die Stadt: „Der Stadt Hilchenbach ist sehr wichtig, den Opfern des Krieges auch praktische Hilfe zu bieten. Sie möchte so viele Kriegsflüchtlinge wie möglich aufnehmen und ihnen in der Stadt am Rothaarsteig einen sicheren Hafen bieten.“
Die Flagge Tibets wird bis zum 17. März gehisst bleiben. Die Flagge der Ukraine – bis der Krieg vorbei ist
Stadt Hilchenbach sammelt Wohnraumangebote
Die Stadt Hilchenbach hat auch in den letzten Tagen bereits Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. „Der Fachdienst Soziales und Integration prüft aktuell sämtliche potenziell infrage kommenden Möglichkeiten zur Notunterbringung von Geflüchteten. Für den Fall, dass kurzfristig weitere Menschen untergebracht werden müssen, bereitet die Stadt Hilchenbach Notunterkünfte vor“, berichtet die Stadtverwaltung. Wer selbst Flüchtlinge aufgenommen hat oder aufnehmen wird, kann Unterstützung bei der Stadt bekommen. Die Stadt Hilchenbach sammelt ab sofort auch Wohnraumangebote:_ soziales@hilchenbach.de,02733/288-125 oder 02733/288-127.
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