Siegen. Vor Gericht in Siegen ging es am Freitag um einen Messerangriff und einen Vergewaltigungsvorwurf. Bewährung für den Angeklagten steht im Raum.
Bewährung oder nicht. Das ist die entscheidende Frage, mit der sich Richterin Sabine Metz-Horst und ihre Kollegen der zweiten Großen Strafkammer bis Dienstag im Gericht in Siegen beschäftigen müssen. Dann soll das Urteil gegen einen jungen Mann verkündet werden, der sich seit Mitte Januar wegen diverser Delikte verantworten muss. Dazu gehören eine gefährliche Körperverletzung und Vergewaltigung.
Siegen: Auseinandersetzung mit Messerangriff in Oberfischbach
In der Nacht zum 17. Oktober 2020 war es in Oberfischbach zu einer Auseinandersetzung gekommen, Der Angeklagte E. (19) leuchtete mit dem Mobiltelefon in ein Wohnzimmer, „er spannte“, wie Staatsanwalt Waldemar Gomer es nennt. Das beobachtete Paar fand das nicht lustig, der Ehemann stellte den Fremden zur Rede. Die Auseinandersetzung endete mit einem Messerstich in die Brust des Mannes, der nach Überzeugung Gomers vorsätzlich geführt wurde. Der Angeklagte habe immer ein Messer dabei, provoziere gern und nutze dann eine Waffe, um seine körperliche Unterlegenheit zu kompensieren.
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Auch wenn der genaue Ablauf der Auseinandersetzung nicht mehr festzustellen sei, Gomer sieht an dieser Stelle auch Diskrepanzen in den Aussagen des Opfers und seiner Frau, jedenfalls habe E. das Messer in der Hand gehabt und bewusst zugestochen. Der medizinische Sachverständige habe deutlich gemacht, dass der Stich in die Brust den Muskel durchstieß. Dies erfordere mehr Kraft als eine mögliche Verteidigungshandlung, die doch eher auf Arm oder Schulter gerichtet gewesen wäre.
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Ebenso erwiesen sieht der Staatsanwalt die Bedrohung eines anderen Zeugen, der einen Link zu Medienberichten über die Tat bekommen habe, verbunden mit der Drohung: „Willst Du der Nächste sein?“ Der so Angeschriebene habe ernsthaft annehmen müssen, ebenfalls mit einer Stichwaffe bedroht zu sein.
Anklagevertreter überzeugt: Minderjährige zu sexuellen Handlungen gezwungen
Im Oktober und November 2020 hat E. zur Überzeugung des Anklagevertreters eine Minderjährige zu sexuellen Handlungen gezwungen, obwohl sie verbal und durch Zurückstoßen ihre Ablehnung sehr deutlich gemacht habe. An der Glaubwürdigkeit der Zeugin hat Gomer keine Zweifel, stellt bewundernd fest, dass ihre Aussage sehr detailreich war und nahezu das Polizeiprotokoll widerspiegele.
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Das Gebaren sei typisch für den Angeklagten, der keinen Respekt vor anderen habe, sich aktiv um die Aufnahme in aggressive Jugendbanden bemüht und sich auch im Gericht extrem renitent gezeigt habe. Gomer zitiert den Gutachter Dr. Blackwell, der dem jungen Mann eine dissoziale Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat sowie eine leichte Intelligenzminderung. Entscheidend sei allerdings, dass trotzdem keine Einschränkung der Schuldfähigkeit vorliege. Auch wenn E. immer wieder mit seiner Anwältin und damit geprahlt hätte, eben nicht schuldfähig zu sein.
Gericht Siegen: Anwendung von Jugendstrafrecht wird diskutiert
Gutachter und die Jugendhilfe hätten für die Anwendung von Jugendstrafrecht geworben, weil E. deutliche Zeichen von Reifeverzögerung zeige und auch behandelt werden müsse. Gomer schließt sich an und beantragt ein Jahr und acht Monate, ohne Bewährung. Eine positive Sozialprognose könne er nicht stellen, dagegen aber sowohl schädliche Neigungen und die Schwere der Schuld bejahen. Möglich gewesen wären bis zu fünf Jahre.
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Dem schließen sich beide Nebenklagevertreter an, gehen in ihren Strafforderungen aber noch über den Antrag des Staatsanwaltes heraus. Was eher ungewöhnlich ist. „Das war haarscharf“, betont Anwalt Wolf Heller, der den niedergestochenen Mann aus Oberfischbach vertritt. Sein Mandant habe im Krankenhaus mitgehört, dass der Stich zu seinem Glück schräg verlaufen sei. Ansonsten hätte er tot sein können. Diese heftige Reaktion des E. aus einem nichtigen Anlass sei völlig überzogen und unangemessen gewesen. Wenn ein Mensch sich so verhalte, „muss irgendetwas falsch laufen“.
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Heller beklagt auch, dass es keinerlei Reue oder gar eine Entschuldigung gegeben hätte, außer einer wenig glaubwürdigen im Gericht. Für das mutmaßliche Vergewaltigungsopfer spricht Katharina Batz von einer „völligen Empathielosigkeit“ des Angeklagten, der keinerlei Empfindungen für andere Menschen und deren Sorgen an den Tag lege. Es gehe hier um schwere Vergehen, die Opfer müssten noch lange mit den Folgen leben.
Siegen: Angeklagter wünscht sich, „alles ungeschehen machen zu können“
Beide Anwälte bestehen auf einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren, eher mehr und schließen ebenfalls Bewährung aus. Der Gutachter habe eine längere Therapiezeit von drei bis vier Jahren angedacht, das müsse sich in der Strafe auch zeigen. Alle drei Redner sprechen sich für einen engen Raum aus, in dem E, künftig gehalten werden müsse. Verteidigerin Rita Holstein-Brass hält ihren Mandanten dagegen für lernfähig. Auch mit einer ambulanten Therapie lasse sich ein enger Rahmen für E. setzen, der dann trotzdem die für ihn sehr wichtige Familie nicht verlassen müsse.
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E. sorge sich um seinen kranken Vater, kümmere sich um die Oma, das zeige ihr, dass es doch gute Ansätze gebe. Der Stich sei nicht wegzudiskutieren. Die Juristin ist aber davon überzeugt, dass der Angeklagte sich in einer Rangelei in Not gefühlt und ungezielt gestochen habe. Sie „glaube einfach nicht“, dass es Absicht gewesen sein könne.
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Auch beim Bejahen des schweren sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung hat Holstein-Brass Probleme. Ihr Mandant sei damals einem Jugendlichen von 15 oder 16 Jahren gleichzusetzen gewesen, habe also wohl einen ganz anderen Blick auf sein Tun gehabt. Außerdem sei das Mädchen auch nach den Vorfällen nicht abgeschreckt gewesen, habe immer wieder Kontakt aufgenommen. „Es tut mir sehr leid“, sagt ihr Mandant zum Schluss und wünscht sich, „alles ungeschehen machen zu können“. Er bitte auch um eine Bewährung und wolle eine Therapie nach seinen Wünschen machen, „um endlich mein Leben einmal auf Vordermann zu bringen“.
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