Wilnsdorf. Die Familien von Yaryna Müller und Tanya Fischer leben in der Ukraine. Ihre Angehörigen berichten ihnen hautnah, wie sie den Krieg erleben.

„Die Kinder haben ständig Angst“, berichtet Tanya Fischer. Sie erzählt von einer Freundin, die mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter im Westen von Kiew wohnt, wo es zunächst noch vergleichsweise ruhig war. In einem Keller sitzen sie zusammen mit vielen anderen Menschen, um sich vor einem Beschuss der russischen Armee zu schützen. Schlaf finden sie dort nur schwer, sagt Tanya Fischer: „Sie haben in der Nacht auch mal wieder im Flur der Wohnung geschlafen. Sie sagt, das war schon etwas besser, weil man sich dort beim Schlafen lang machen konnte, statt angespannt im Keller zu sitzen.“

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Tanya Fischer berichtet von einem Leben im Ausnahmezustand. Sirenen treiben die Menschen regelmäßig in die Bunker oder Keller, nachts herrscht Ausgangssperre. Licht darf in den Häusern nicht brennen, auch die Straßenlaternen bleiben ausgeschaltet. An Lebensmittel zu kommen, sei besonders schwierig. Im Geschäft bekomme der Mann ihrer Freundin kein Brot und kein Wasser mehr, ein paar Süßigkeiten und Wurst habe er mitgebracht: „Sie sagt, sie waren froh, dass sie überhaupt was hatten.“

Die Familie noch in der Ukraine geblieben

Tanya Fischer, 42 Jahre alt, lebt seit 2005 mit ihrem Mann Martin und einer Tochter in Siegen. Von 2002 bis 2003 war sie als Au-Pair-Mädchen bei einer Familie in Nürnberg und hat ihren späteren Ehemann über das Internet kennen gelernt. Ihre Familie sei noch immer in der Ukraine, sagt Tanya Fischer: „Meine Mutter, meine Schwester, mein Schwager, mein 13-jähriger Neffe.

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Die wohnen in der Nähe von Lemberg.“ Auch ihre Oma und Cousine samt Familie seien noch geblieben: „Die sind alle zu Hause, sind alle nicht geflüchtet. Wenn es schlimmer wird, sind sie bereit. Dann werden sie ihr Land verlassen – wenn es dann noch klappt“, erzählt Tanya Fischer. Sie verweist auf den gewaltigen Stau, der sich an den Grenzen bereits gebildet hat: 50 Kilometer soll der lang sein. Mit dem Auto sei kein Durchkommen mehr.

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Dabei, sagt die Siegenerin, sei ihre Schwester krank und brauche medizinische Versorgung; an Medikamente komme ihr Schwager nicht mehr heran. Der Stau an der Grenze sei daher ein großes Problem, der Weg zu Fuß keine Option: „Meine Schwester würde es im Moment körperlich gar nicht schaffen“, sagt Tanya Fischer.

Wie Kinder den Krieg in der Ukraine erleben

Yaryna Müller weiß ihre Schwester samt Familie in Sicherheit: „Die sind schon seit langer Zeit in Polen, weil sie dort arbeiten. Und meine Nichte ist vor zehn Tagen zu ihren Eltern nach Polen gekommen.“ Die 60-jährige gebürtige Ukrainerin wohnt seit 2007 in Deutschland und hat ihren Mann Klaus 2008 geheiratet. Deutsch hat sie als Kind in der Schule gelernt und später als Dolmetscherin in Österreich gearbeitet. Sie wohnt mit ihrem Mann in Niederdielfen. Auch Yaryna Müller bekommt von Menschen in der Ukraine Eindrücke aus erster Hand geschildert. Sie erzählt von einer Bekannten, die jetzt bei der Familie ihrer Tochter lebt: „Der Junge ist sieben Jahre alt. Niemand erzählt ihm was vom Krieg, aber der Junge ist nicht dumm. Sein Vater ist oft nicht da, weil er Flüchtlingen aus dem Osten der Ukraine hilft.“ Er gehe früh morgens aus dem Haus und komme spät abends zurück, wenn der Sohn schon schläft. „Gestern sagte er: ’Ich weiß, dass mein Vater gestorben ist. Ihr sagt es mir nur nicht.’ Er weint, und niemand kann ihn überzeugen, dass sein Vater wirklich lebt.“ Später, als die Sirenen heulen, laufen sie zum Bunker. Gerade in diesem Moment sieht der Siebenjährige seinen Vater in einem Auto an ihnen vorbeifahren: „Der Junge war so glücklich, da haben alle anderen geweint.“

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Gerade die Kinder, betont Yaryna Müller, leiden unter dem Krieg: „Wie kann man einem so kleinen Kind, oder noch jünger, erklären, was da alles passiert? Warum du dich plötzlich verstecken musst?“ Martin Fischer ergänzt: „Warum so einfache Dinge nicht mehr funktionieren: Keine Schulen mehr, nix mehr.“ Dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer nicht fliehen, liege auch daran, dass niemand genau wisse, wo die Kämpfe stattfinden: „Die Auseinandersetzungen konzentrieren sich bislang auf wenige Orte in der Ukraine: Kiew, Charkiw, Mariupol. Aber man weiß nie, wo man dran ist. Man weiß ja nicht, wo man auf die Jungs von der russischen Armee trifft“, sagt Martin Fischer.

Stolz auf die ukrainische Sprache

Den Russen, sagt Yaryna Müller, sei sie für eine Sache dankbar: „So wie sie das ukrainische Volk zusammengeschweißt haben, hätte das sonst niemand geschafft.“ Tanya Fischer ist wiederum stolz, dass „viele Menschen durch diesen Krieg wieder Ukrainisch sprechen“. Sie berichtet von Ukrainern, die bislang Russisch gesprochen haben: „Die sind jetzt rigoros auf Ukrainisch umgestiegen. Und es gibt viele Blogger, die Massen an Lesern haben, auch die sind jetzt auf Ukrainisch umgestiegen. Das finde ich stark.“

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Als sie mit ihrem Mann das letzte Mal in Kiew gewesen sei, berichtet Tanya Fischer, habe sie überall nur Russisch gehört: „Auch in der deutschen Botschaft, da wurden wir auf Russisch angesprochen.“ Ein anderes Mal sind die Fischers und Müllers zusammen in Odessa und suchen einen Magneten. „’Odessa’ schreibt man mit einem ‘S’, im Russischen mit zwei. Und die konnten für mich keinen Magneten auf Ukrainisch finden“, berichtet Yaryna Müller.

Propaganda treibt Spaltung in der Ukraine voran

Eigentlich sei die Sprache in der Ukraine gar kein Problem, sagt Tanya Müller: „Das war nie ein Problem, ob Russisch oder Ukrainisch.“ Auch Yaryna Müller erzählt, sie spreche immer Ukrainisch, wenn sie in ihrem Heimatland ist: „Weil ich es gewöhnt bin, nicht aus politischen Gründen. Und auf der Krim habe ich auch Ukrainisch geredet und ich hatte keine Probleme, dass mir jemand gesagt hat: Wir verstehen dich nicht.“ Nach der Annexion habe sich das auf der Krim aber geändert.

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Die Spaltung der Gesellschaft werde von außen verursacht – durch jahrelange Propaganda. Es heiße zum Beispiel, in der Ukraine esse man Dompfaffen. Vögel, deren Gefieder blau, rot und weiß ist: „Die Ukrainer sollen diese Vögel essen, weil sie die russische Flagge nicht mögen“, erzählt Yaryna Müller.

Spendenaktion für die Ukraine

Zusammen mit weiteren Bekannten aus der ukrainischen Gemeinde in Siegen organisiert Tanya Müller eine Spendenaktion. So sollen ukrainische Menschen mit den notwendigen Dingen des Alltags versorgt werden. Yaryna Müller erwartet eine Frau mit zwei Kindern, die sie bei sich aufnehmen möchte. Wann sie in Niederdielfen ankommen, weiß die 60-Jährige aber noch nicht.

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