Siegen. Das Junge Theater Siegen präsentiert im Lyz Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ und macht daraus ein gegenwartsnahes Lehrstück.

Ganze Generationen von Oberstufenschülern haben im Deutschunterricht Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ gelesen – und nicht immer zu ihrer Freude. Zu weit weg erschien ihnen das Thema, das der Schweizer Schriftsteller Ende der 1950er Jahre für die Bühne geschrieben hatte. Doch gründlich entstaubt, gestrafft und in die Gegenwart gesetzt, ist es brandaktuell. Dank der Arbeit des Jungen Theaters Siegen unter der Dramaturgie von Peer Ball und der Regie von Torben Föllmer.

Siegen: Fassade im Hause Biedermann als schwankende Kulisse

Da ist Herr Biedermann (Niklas Kirschey), ein Schweizer Haarwasserfabrikant. Sauber gescheitelt, mit gestrickter Hausjacke, Schlips, Birkenstocks, dazu Zigarre und Rotwein ist er die Biederkeit in Person, die noch durch seinen Vornamen verstärkt wird: Er heißt Gottlieb. Eine seiner Stärken ist, Mitarbeiter zu entlassen und seinen Bediensteten Heinrich (unterwürfig und steif, wie aus dem Bilderbuch: Hannes Wagener) herumzukommandieren, wo es nur geht. Seine Frau Babette (Caro Greim) ist das krasse Gegenteil: Attraktiv, modisch- elegant, aber durch eine Herzschwäche leise und zerbrechlich.

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Die mittelständige, biedere Fassade der Biedermanns erweist sich jedoch als schwankende Kulisse. Denn Gefahr ist im Anmarsch: Eine Gruppe von Brandstiftern macht die Gegend unsicher und dringt auch in das Biedermännische Haus ein. Und hier kommt ein kreativer Einfall der Siegener Theatermacher ins Spiel: Aus Männern werden Frauen, aus Bösewichten Bösewichtinnen. Einmal Josefine Schmitz, eine ehemalige Ringerin (herrlich dreist und burschikos: Jenni Baum Chacon) und Wilma Eisenring (Isabell Schreiber) als Kellnerin in Frack und mit deutlich besseren Manieren als die Kollegin, aber genau so unverschämt und laut.

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Gottlieb Biedermanns Bemühungen, sich bei den Damen anzubiedern („Ich glaube nicht an Klassenunterschiede“), funktionieren nicht. Spätestens, als sie Benzinkanister und sogar ein ganzes Benzinfass ins Haus wuchten, weiß er: Ich habe mir Brandstifterinnen ins Haus geholt.

Uraufführung 1958

Um „Biedermann und die Brandstifter“ zu straffen, wurden einige Personen des Originals gestrichen und stattdessen durch Telefongespräche ins Geschehen einbezogen.Die Uraufführung fand am 29. März 1958 im Schauspielhaus Zürich statt. Die Hauptrollen spielten einige Film- und Theaterstars der Nachkriegszeit wie Margot Trooger, Ernst Schröder und Boy Gobert. Die Rolle des Biedermann verkörperte Gustav Knuth.

Biedermanns letzter Versuch, sie durch ein Festmahl mit feinsten Weinen gnädig zu stimmen und ihnen dabei sogar das „Du“ anzubieten, scheitert jämmerlich: Am Ende ist auch in seinem Haus Feuer unterm Dach, angefacht durch sein eigenes Feuerzeug, das er den Schurkinnen überlassen hat. So ist er Opfer, aber auch Helfershelfer auf dem Weg in den eigenen Untergang.

Lyz in Siegen: Chor in „Biedermann und die Brandstifter“ als Chor der Presse

In Max Frischs Original bildet ein Chor der Feuerwehrmänner die kommentierende Klammer um die Theaterhandlung. Peer Ball und Torben Föllmer haben daraus einen Chor der Presse gemacht (Yasmin Allaoui, Peer Ball, Lena Czogalla, Lars Dettmer, Heike Siebel) der, wie im Theater der griechischen Antike, das Bühnengeschehen kommentiert und in die Gegenwart versetzt. Etwa durch reale Zeitungsartikel der deutschen Presselandschaft mit Überschriften wie: „Höcke will Bürgerkrieg“. So wird Theaterstoff der Nachkriegszeit zu einem brandgefährlichen, aufrüttelnden Lehrstück darüber, dass die Bedrohung der Freiheit durch die Feinde der Demokratie aktueller denn je ist.

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Auch hier bei uns im Siegerland, wie die erschreckenden Meldungen über den offenen Faschismus des sogenannten 3. Weges und über die Bedrohung von Impfärzten gezeigt haben. „Der Wahlskandal in Thüringen, als sich der FDP-Politiker Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, hat uns dazu gebracht, ‘Biedermann und die Brandstifter’ zu inszenieren“, berichtet Peer Ball. „Die Stadt Siegen, die uns Probenräume gab, und der Kreis Siegen, der uns viele Termine im Kleinen Theater eingeräumt hat, haben unsere Produktion maßgeblich unterstützt“, sagt Torben Föllmer. „Wir hoffen, dass wir das Stück noch häufiger aufführen können.“

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