Siegen. Der Umsonstladen in Siegen möchte Dingen eine zweite Chance geben – und dabei die Gemeinschaft stärken. Wie fing alles an und wie geht es weiter?
Bunte Kostüme, gute Stimmung und lautes Lachen. So empfängt ein Teil der Helferinnen und Helfer des Umsonstladen-Teams Besucher in der ehemaligen Hammerhütter Schule. Der Umsonstladen feiert seinen ersten Geburtstag. Bereits seit einem Jahr werden hier Spenden angenommen, sortiert und weiterverteilt.
Umsonstladen in Siegen: Wie fing es an?
Entstanden ist das Projekt 2020 aus einer Kunstaktion, in deren Rahmen der Aktivist und Pluralökonom Philip Engelbutzeder (34) vier Stunden lang einen Umsonstladen eröffnete, um auf den Umgang mit Überfluss in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Er selbst hätte nie damit gerechnet, dass so etwas Lebendiges aus der auf Einmaligkeit angelegten Aktion entsteht.
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„Allerdings zeigten sich so viele Menschen interessiert, die anfingen, Ideen einzubringen und mitzugestalten, dass der Umsonstladen immer weiter gewachsen ist“, erzählt der Gründer. Ihm geht es darum, verschiedene Konzepte zusammenzubringen, um so wirtschaftliche, soziale und ökonomische Aspekte miteinander zu verbinden, wie er erläutert.
Umsonstladen Siegen: Was motiviert das Team?
Mit der Zeit sei eine bunte Truppe an engagierten Helferinnen und Helfern entstanden. Gisela Kölzer (79) war schon bei der allgemeinen Flüchtlingshilfe als Betreuerin tätig. Jetzt unterstützt sie den Umsonstladen an der Koblenzer Straße, indem sie jeden Mittwoch um 10 Uhr morgens die Kleiderständer, Tische und Bänke draußen auf dem Schulhof aufstellt und Spenden wie Töpfe, Pfannen, CDs, Geschirr oder Kleidung dort schön drapiert. „Ich finde es toll, im Rahmen dieses Projektes Menschen eine Freude machen zu können“, erzählt sie.
Wann und wo?
Der Umsonstladen ist in der Koblenzer Straße 90 in Siegen – in der Alten Hammerhütte Schule gegenüber des Kreishauses.
Geöffnet ist er jeden Mittwoch von 10 bis 18 Uhr.
Der Umsonstladen ist auch auf Social-Media-Kanälen wie Telegram, Instagram oder Facebook zu finden.
Die Helferin Ulrike Neuburger (75) und Achmed Assad (43), der aktuell seinen Bundesfreiwilligdienst im Umsonstladen leistet, nehmen neue Spenden an und sortieren diese anschließend beispielsweise nach Deko oder Elektro. Gefragt seien aber vor allem Kleidung, Kinderspielzeug und Haushaltsgegenstände. „Ein Paar, das lange auf der Straße gelebt hatte und vor Kurzem in eine eigene Wohnung gezogen ist, kam letztens vorbei und wir haben ihnen erst mal das Nötigste für ihren Hausstand gegeben“, berichtet Ulrike Neuburger. Die beiden seien sehr dankbar gewesen und hätten sich über die Unterstützung riesig gefreut. „Es ist einfach ein schönes Gefühl, Gutes zu tun.“
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Elena Müller ist meistens für das Mittagsmenü zuständig. Alle sind begeistert davon, was sie so auf den Tisch zaubert. Für die 55-Jährige ist die gesellige Atmosphäre in der Gruppe besonders wichtig. Es werde viel gelacht und gemeinsam an einem Strang gezogen. „Jung und Alt kommen hier mit viel Spaß zusammen und es entstehen Freundschaften aus Begegnungen, die so sonst wahrscheinlich nie stattgefunden hätten“, erzählt sie. Die Helfer und Helferinnen leisten hier mit viel Freude ihren Teil für die Gemeinschaft. Dabei fühle sich jeder in der Gruppe wohl, egal wo er oder sie herkäme.
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Die Kommunikation, wenn auch manchmal mit Händen und Füßen, würde auch irgendwie immer gelingen. Das, was hier in einem Jahr entstanden ist, sei ein starkes Signal an die Stadt und dabei keine Konkurrenz für andere Geschäfte. Die Menschen, die im Umsonstladen ihre Spende abgeben, wollen damit anderen helfen. „Wir finden es wichtig, dass Sachen eine zweite Chance gegeben wird, bevor sie auf dem Müll landen“, sagt Gisela Kölzer. Es sei unglaublich, was Leute alles weggeben, worüber sich anderen sehr freuen.
Umsonstladen in Siegen: Ist „kostenlos“ gleich „umsonst“?
„Unserer Gesellschaft mangelt es an Orten, wo Begegnungen auch ganz ohne Ausgaben stattfinden“, betont Philip Engelbutzeder. Die meisten Treffpunkte, beispielsweise Kneipen, seien mit Konsum verbunden. Das grenze viele Leute aus, da nicht jeder daran teilnehmen kann. Unter dem Namen: „Ist etwa alles Umsonstladen?“ hat sich der Gründer daher überlegt, wie man den Überfluss einsetzen kann, um lokales Gemeinschaftsgefühl und einen etwas anderen Begegnungsort zu schaffen.
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Die gespendeten Waren werden für alle kostenlos angeboten, aber die Menschen, die etwas mitnehmen, werden eingeladen, sich an der Gemeinschaft zu beteiligen und ihre Interessen einzubringen. Dafür gibt es ein vielseitiges Angebot – sei es das Gärtnern an den Hochbeeten hinter dem Haus, mit geretteten Lebensmitteln in der Gruppe kochen oder im Umsonstladen zu helfen – für jeden ist etwas dabei. „Wir geben keinem vor, wie er oder sie sich einbringen muss.“ So hätten zwei syrische Frauen, die das kostenlose Angebot des Umsonstladens zwischendurch genutzten haben, für alle Falafel zubereitet.
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„Ist unser Angebot also umsonst oder fördern wir damit ein positives Wir-Gefühl?“, fragt der Gründer. Für ihn ist die Wertschätzung von Dingen wichtig. Allerdings sei die Bestimmung von Wert komplex. Im Konzept des Umsonstladens gehe es daher nicht um die finanzielle Wertschätzung, sondern um Stärkung von Beziehungen und das Erfüllen der Bedürfnisse einer solidarischen Gemeinschaft. Faktisch geht es also darum, die Dinge „kostenlos“ – aber nicht umsonst anzubieten, da mit dem Begriff „umsonst“ auch ein negative Assoziation einhergehe. Einen weiteren Pluspunkt sieht Engelbutzeder darin, dass der Umsonstladen gleichzeitig etwas für die Umwelt leiste.
Pläne des Umsonstladens in Siegen: Wie geht es weiter?
Das bestehende Bildungsangebot in Kooperation mit der Universität Siegen, im Zuge dessen sich der Umsonstladen an einem sogenannten Reallabor beteiligt, soll weiter ausgebaut werden. „Bei dem Projekt forschen die Studierenden nicht in sterilen Räumen der Universität, sondern im echten Leben unter realen Bedingungen“, erklärt Philip Engelbutzeder. Der Pluralökonomie-Professor Niko Paech bietet dafür ein Seminar im Seminarraum der ehemaligen Hammerhütten Schule an. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Verteilung lokaler Ressourcen. Bis jetzt kümmere man sich nur um das Verteilen von Spenden und Lebensmitteln. Aber das Angebot soll bald erweitert werden. Denn auch das Reparieren von Dingen gehört zu einer nachhaltigen und geldsparenden Lebensweise dazu. Den Projektantrag zur Strukturförderung in Form eines Repaircafés hat Philip Engelbutzeder bereits gestellt.
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Die Spenden gelangen auf vielen Wegen in die Koblenzer Straße. So melden sich Angehörige bei Hausstandsauflösungen oder die Spender bringen die Dinge direkt mittwochs zu den Öffnungszeiten vorbei. Zusätzlich kooperiert der Umsonstladen mit fünf Sozialkaufhäusern der Siegerländer Frauenhilfe und dem Verein Lebensmittel-Teilen sowie anderen Organisationen, um Verteilung von geretteten Lebensmitteln und Kleiderspenden besser zu koordinieren. Das Angebot des Umsonstladens werde vor allem von Studierenden, jungen Familien und Personen mit kleiner Rente genutzt, so Elena Müller. Mitmachen und einbringen kann sich im Umsonstladen jeder: „Einfach mal mit uns das Gespräch suchen“, erklärt Philip Engelbutzeder.
Zur Feier des ersten Geburtstags wird es am Mittwoch, 27. Oktober, zum gemeinsamen Mittagessen auch ein Stück Geburtstagstorte für alle Gäste im Umsonstladen geben.
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