Eiserfeld. Bernd und Hilla Becher haben von 1959 bis 1978 Dutzende Fachwerkhäuser in Siegen und Umgebung fotografiert. Wie haben diese sich verändert?

Wir sind zum Spaziergang in Eiserfeld verabredet. Nora Memmert, wissenschaftliche Volontärin des Museums für Gegenwartskunst Siegen (MGK), dazu ein gutes Dutzend Interessierter. Unser Weg soll den Spuren der Bechers folgen, dem international renommierten Fotografenehepaar, das auch in Eiserfeld zwischen 1959 und 1978 traditionelle Siegerländer Fachwerkhäuser aufgenommen hat. In Serie, in Schwarzweiß und aus spezifischen Blickwinkeln, die Vergleichbarkeit der Gebäude ermöglichen.

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Im Siegener Süden liegen die Häuser, die aus pragmatischen Gründen (Kosten, Materialverfügbarkeit, Funktionalität) mit eher schlichtem, riegellosem Fachwerk errichtet worden sind, recht nah und in großer Dichte beieinander. Auch deshalb bietet sich ein Spaziergang an. Neu ist, dass wir nicht „einfach so“ oder mit der längst bewährten Broschüre unterwegs sein werden, sondern mit gut geladenem Smartphone samt Internetzugang und Kopfhörern. Denn dieses Mal nähern wir uns den Becher-Häusern interaktiv, auf der Basis einer digitalen Landkarte, die von A bis T zwanzig Stationen markiert, die eine Begegnung der baulichen Situation von einst mit den Gegebenheiten von heute spiegelt – mit Texten, Bildern und in einigen Fällen auch mit Hörstücken.

Becher-Häuser Siegen: Museum für Gegenwartskunst ermöglicht Vergleich früher/heute

Unser Treffpunkt ist das Heimathaus in der Lindenstraße: Das Laden der entsprechenden Seite im Webauftritt des MGK Siegen (via QR-Code oder „klassisch“ über die Homepage), das Nesteln mit den Kopfhörern, das freundliche Grüßen hin und her formt uns tatsächlich schnell zu einer Gruppe auf Zeit. Das gemeinsame Anliegen an einem Donnerstagabend bei „Becher-Wetter“, also bedecktem Himmel, fördert den Austausch. „Wir wollen miteinander ins Gespräch kommen“, sagt Nora Memmert. Und auch das folgt einem Prinzip der Bechers: Sie bildeten nicht nur fotografisch ab, sondern bauten auch Brücken des Miteinanders. Im Falle des in Siegen aufgewachsenen Bernd Becher (1931 bis 2007) erfolgte ein Plausch bei Bedarf auch auf „Platt“.

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Auf dem Weg zur ersten Station lassen wir uns von einem Podcast zur Biographie von Bernd und Hilla Becher (1934 bis 2015) begleiten. Das fokussiert, gibt späteren Entdeckungen und Diskussionen schon einmal einen groben Rahmen. Staunen neu über die Weite des gemeinsamen Werks: Da sind zwei Menschen unterwegs, um Industrielandschaften Europas und der Vereinigten Staaten zu fotografieren, und dokumentieren zugleich die Lebenswelt der „kleinen Leute“ in den Bergbaudörfern des Siegerlandes. Sie bewahren, was durch Zeit und Umstände verloren gehen wird.

Siegen-Eiserfeld: Mit dem Smartphone die Entwicklung der Becher-Häuser erkunden

Am Haus des Bergmanns Otto Hees machen wir halt. Der Blick aufs Smartphone zeigt die Becher-Aufnahme von 1970, ein naturverschiefertes Haus mit weißen Fenstern, von Fachwerk keine Spur, aber doch lässt sich hinter der Fassade die Struktur des Anfangs (1903), die laut Podcast „charakteristische schlanke Form, die so typisch ist für die Fachwerkhäuser“, noch erahnen. Im Hier und Jetzt haben veränderte Bedürfnisse der Bewohner (Anbau, Garage …) die frontale Ansicht des Hauses an der Lindenstraße 69 noch einmal stark umformt.

Durchgehend geöffnet: Die MGK-Sammlung online

Das Museum für Gegenwartskunst Siegen hat acht Werke – beziehungsweise Werkgruppen – der Bechers in seiner Sammlung.

Durchgehend zu sehen sind die Arbeiten im Sammlungsbereich der Homepage. Der Link liegt auf der Startseite: mgksiegen.de

Das Haus im Stollenweg 2 stammt aus dem Jahr 1901. Hier ist das alte Fachwerk aufwendig restauriert worden, weshalb sich daran die Bauweise der Siegerländer Fachwerkhäuser mit ihrem schmalen rechteckigen Gefache besonders gut studieren lässt. Wir schauen von der anderen Straßenseite auf das Steiner’sche Haus, haben die Bitte von Nora Memmert noch im Ohr, bitte nicht das angrenzende Privatgrundstück zu betreten – und sind schon im Gespräch mit den Bewohnern dort. Nein, nein, wir seien herzlich willkommen, und beim nächsten Mal gerne wieder eingeladen. Interaktion at it’s best!

Der Blick aufs Smartphone zeigt, wie das Haus an der Lindenstraße 69 im Jahr 1970 aussah.
Der Blick aufs Smartphone zeigt, wie das Haus an der Lindenstraße 69 im Jahr 1970 aussah. © Claudia Irle-Utsch

Rundgang durch Eiserfeld: Mit dem Online-Guide auf eigene Faust unterwegs

Der Spaziergang endet an der Freiengründer Straße, gegenüber der früheren Metzgerei Rübsamen. Atmet das Haus – erbaut 1896 vom Bergingenieur Friedrich Steffe – auf der Becher-Fotografie des Jahres 1960 detailverliebten, fast großstädtisch anmutenden Bürgerstolz, zeigt es heute im Erdgeschoss deutliche Spuren der späteren Nutzung als Ladenlokal. Was über die Jahrzehnte geblieben ist, ist die Anlage des großzügig bemessenen Zwerchhauses. Der Vergleich schult in jedem Fall den Blick, macht durchaus nachdenklich und zeigt auch Möglichkeiten auf, wie mit baulichem „Erbe“ verfahren werden könnte (oder auch sollte?!).

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Eine Fortsetzung kann nun auf eigene Faust folgen. Das Smartphone in der Hand, die Digi-Map vor Augen, die Tonstöpsel im Ohr durch die Eiserntalstraße und über die Eiserfelder Hütte hinauf zur Freiengründer Straße und eventuell auch zur eigenen Haustür. Dieser Spaziergang regte an, machte Lust auch aufs Anschauen der „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes“ im Museum selbst. Aus konservatorischen Gründen werden die Becher-Bilder dort augenblicklich nicht gezeigt, doch weil zur Sammlung gehörig in jedem Fall immer wieder aufs Neue.

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