Kreuztal. Mittlerweile verliert die Stadt jedes Jahr eine ganze Klasse – der Planer sieht Gefahr für die Gesamtschule. Der Trend soll umgekehrt werden.
Die Botschaft von Tilman Biber verheißt Entspannung: Kreuztal habe ein „bedarfsgerechtes Schulangebot“, es gebe „kaum Handlungsbedarf“. Im Schulausschuss stellte der Sachverständige den Entwurf des Schulentwicklungsplans vor, mit dem die Stadt das Beratungsunternehmen Gebit in Münster beauftragt hat. Das Papier bietet aber trotzdem Diskussionsstoff:
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Die Grundschule an Dreslers Park bleibt die zentrale Grundschule in der Innenstadt. Erst wenn dort drei Parallelklassen gefüllt sind, soll die katholische St. Martin-Grundschule („eine Art Puffer“) eine zweite Eingangsklasse bilden dürfen.
Die Ernst-Moritz-Arndt-Realschule bleibt zweizügig, das Gymnasium dreizügig. Der Planer warnt vor Veränderungen, die zu Lasten der fünfzügigen Gesamtschule gehen. Sollte deren Schülerzahl unter 100 absinken, „würde die Existenz dieser Schule in Frage stehen“.
Kreuztal hat ein Abwanderungsproblem: Mittlerweile verlässt ein ganzer Klassenzug von neuen Fünftklässlern Kreuztal in Richtung Stift Keppel.
Primarstufe: Katholische Grundschule „Puffer“
2016 gingen 1177 Kinder in Kreuztal zur Grundschule, 2024 werden es 1304 sein. Fast alle Grundschulen – außer der Adolf-Wurmbach-Grundschule Eichen/Littfeld und der St. Martin-Schule – haben einen Mangel an Differenzierungs- und/oder Betreuungsräumen. „Wir haben Handlungsbedarf“, sagt Stadträtin Edelgard Blümel. Im November soll der Schulausschuss die Verwaltung mit einem Ausbauprogramm beauftragen.
Grundschule an Dreslers Park: Die Schule stehe „vor ganz besonderen Herausforderungen“, betont Tilman Biber: Über 80 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund, 37,5 Prozent wurden im Ausland geboren, bei 72,9 Prozent wird zu Hause nicht Deutsch gesprochen – so viele wie an keiner anderen Schule in Kreuztal. Nur knapp 37 Prozent der Kinder sind zum offenen Ganztag angemeldet, in Buschhütten sind es dagegen über 70 Prozent. Geplant wird weiter mit drei Klassen pro Jahrgang.
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Katholische St. Martin-Grundschule: In den letzten Jahren mussten wiederholt Kinder abgewiesen werden, weil die Schule nur eine Eingangsklasse bilden durfte. Nur in starken Jahrgänge, die das zulässige Gesamtkontingent an 1. Klassen für die Stadt („Kommunale Klassenrichtzahl“) erhöhen, wurde eine zweite Klasse zugelassen. „Bei dieser Regelung sollte es bleiben“, rät Tilman Bieber. So könne die Grundschule an Dreslers Park kleinere Kassen bilden, eine vierte Eingangsklasse sollte dort vermieden werden. Zudem seien die gelegentlichen Mehrklassen im Interesse der St. Martin-Schule, um die Mindestschülerzahl für ihren Fortbestand zu halten. Philipp Krause (CDU), dessen Fraktion stets für die Aufnahme aller angemeldeten Kinder auf dem Dörnberg argumentiert, schließt sich nicht ohne Weiteres an: „Die Diskussion werden wir weiter jedes Jahr führen müssen."
Jung-Stilling-Schule Kredenbach: Die Schule bleibt zweizügig, allerdings wird die Zahl der jahrgangsübergreifenden Gruppen des 1. und 2. Schuljahrs in Spitzen-Jahren von vier auf fünf erhöht werden müssen. Die Betreuungsquote beim offenen Ganztag liegt bei 21 Prozent.
Grundschule Fellinghausen: Die Prognose sieht bis 2027 einen durchgehenden zweizügigen Betrieb vor.
Adolf-Wurmbach-Grundschule: Am neuen Standort in Eichen, wo die Grundschule gerade in das Gebäude der auslaufenden Hauptschule eingezogen ist, sei „Raum ohne Ende“, sagt der Sachverständige: „So groß kann die Schule gar nicht werden, um das alles nutzen zu können.“ Die dreizügige Verbundschule wird in Spitzenjahrgängen vier Klassen bilden können – ob das dann eine dritte Klasse in Eichen oder eine zweite in Littfeld werde, „habe der Schulleiter in der Hand“, sagt Tilman Bieber. „Er wird das in Absprache mit den Eltern vernünftig regeln“, antwortet Stadträtin Edelgard Blümel auf die Frage von Frank Weber (FDP), ob gewährleistet sei, dass Littfelder Kinder im eigenen Ort zur Schule gehen und nicht nach Eichen gefahren werden müssen. Ein Drittel der Kinder ist beim offenen Ganztag angemeldet, in Littfeld ist die OGS in die Räume der ehemaligen Kita gezogen. Der Standort Littfeld hat eine Besonderheit: Er ist evangelische Bekenntnisgrundschule; Kinder dieser Konfession haben bei der Aufnahme Vorrang.
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Friedrich-von-Bodelschwingh-Schule: Die zweizügige Grundschule unterrichtet – als einzige in der Stadt – alle Jahrgänge jahrgangsübergreifend. Sie hat – nach Dreslers Park – den zweithöchsten Anteil an Kindern mit Einwanderungsgeschichte und den höchsten Anteil an im Ausland geborenen Kindern. An keiner anderen Grundschule ist der Anteil von Kindern mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf – 2017 waren es 17 Prozent, derzeit sind es 11,4 Prozent – höher. Dass die Schule Raumbedarf für Inklusion und Differenzierung anmeldet, wundert Frank Weber (FDP): Die Schule sei doch erst vor kurzem erweitert worden – da hätte dieser Bedarf doch berücksichtigt werden können. Den habe die Schule auch angemeldet, erinnert Philipp Krause (CDU): Der Rat sei dem aber nicht gefolgt.
Beschluss im Dezember
Der Schulentwicklungsplan wird am 17. November ein weiteres Mal im Schulausschuss beraten. Dann werden auch Stellungnahmen der Schulkonferenzen vorliegen. Der Rat soll den Plan am 16. Dezember verabschieden.
Teil des Schulentwicklungsplans ist auch der Förderschulverbund Kreuztal-Hilchenbach-Bad Laasphe. Für die Entwicklung der beiden Standorte gibt es aber keine Prognose.
Sekundarstufe: „Kein Spielraum für Experimente"
Drei weiterführende Schulen, alle im Schulzentrum, bleiben übrig: „In zwei Jahren ist die Hauptschule in Eichen Geschichte“, stellt Tilman Bieber fest. Den größten Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund hat die Gesamtschule: 64,6 Prozent, fast doppelt so viel wie am Gymnasium. 392 Prozent sind im Ausland geboren, bei 49,4 Prozent wird zu Hause nicht Deutsch gesprochen.
Ernst-Moritz-Arndt-Realschule: Sie ist von drei auf zwei Züge verkleinert worden und hat acht Klassenräume an die Gesamtschule abgegeben: „Das kann mühelos verkraftet werden.“ Die „Korrektur“ habe sich als richtig erwiesen, sagt der Sachverständige: Es gebe zwar „eine Handvoll" Anmeldungen zu viel, die nun zurückgewiesen werden – für eine dritte Eingangsklasse reiche das aber nicht aus. Richtig sei auch die Entscheidung, bei nötigen Abweisungen zuerst Kinder aus Hilchenbach auszuschließen, weil die Nachbarstadt eine eigene Realschule hat. In den letzten Jahren waren zwischen 14 und 18 Prozent der Schülerinnen und Schüler zunächst am Gymnasium, zwischen 27 und 34 Prozent waren Wiederholer des jeweiligen Jahrgangs.
Städtisches Gymnasium: Von Vierzügigkeit ist keine Rede mehr, die Prognose geht von drei Parallelklassen je Jahrgang aus. Vor allem Viertklässler aus Kredenbach wandern zum Gymnasium Stift Keppel ab. Der Planer setzt auf die Neugestaltung des Schulzentrums: Die Aufstockung von Gymnasium und Gesamtschule um eine weitere Etage und der gerade entstehende Sport- und Bildungscampus werde den Standort Kreuztal attraktiver machen. Auswirken werde sich vielleicht auch die Reduzierung der Gymnasialkapazität in Siegen, wenn diese zur Abweisung auswärtiger Anmeldungen führt: „Das könnte die Zahlen in Kreuztal stabilisieren.“ Im laufenden Schuljahr besuchen nur 68 Prozent der Kinder, die aus einer Kreuztaler Grundschule an ein Gymnasium wechseln, das Gymnasium in der eigenen Stadt. Dass die Oberstufen von Gymnasium und Gesamtschule nicht kooperieren, habe ihn überrascht, sagt Tilman Bieber: „Gerade in einem Schulzentrum ist das wünschenswert.“
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Clara-Schumann-Gesamtschule: Zwei Mal bereits hat die Gesamtschule fünf Eingangsklassen bilden können, im laufenden Schuljahr sind es vier. Vier oder fünf werden es auch in den nächsten Jahren sein. Für die Prognose zählen nur Kinder aus Kreuztal – die im Schnitt acht aus Hilchenbach dürfen nicht mitgerechnet werden, weil die Nachbarstadt keine „Beschulungsvereinbarung“ mit Kreuztal abschließen will. „Der Austausch zwischen beiden Schulträgern zu dieser Thematik sollte erneut gesucht werden“, heißt es im Planentwurf. Eingerechnet werden aber bis zu acht Schülerinnen und Schüler pro Jahr, die „aufgrund der beschränkten Kapazitäten der Realschule und des Gymnasiums mit einem anderen, gleichwertigen Schulplatz versorgt werden müssen“. Weil die Gesamtschule mindestens 100 Kreuztaler Kinder pro Jahr für ihren Fortbestand braucht, warnt Tilman Bieber besonders vor einer Erweiterung der Realschule: „Die Statik des gesamten Systems würde in Gefahr geraten. Es gibt keinen Spielraum für irgendwelche Experimente.“ Sollte die bisherigen Auspendler zurückgewonnen werden, hätte die Schule pro Jahr bis zu 18 Anmeldungen mehr. Im Schuljahr 2027/28 müssten dann sogar, immer noch ohne Zurechnung der Hilchenbacher Kinder, sechs 5. Klassen gebildet werden.
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