Hilchenbach. Schnitzel essen mit dem Stasi-Schatten: Der Müsener Zwe von Seltmann hält die Rede zur Feierstunde im Gebrüder-Busch-Theater.
Am 3. Oktober 2018 hat Martin Wittig die Festrede zum Einheitsfeiertag in Hilchenbach noch selbst gehalten. Jetzt ist der Bürgermeister aus der Partnerkommune Seiffen als Gast gekommen, um wieder mit den Freunden aus dem Siegerland im Gebrüder-Busch-Theater zu feiern, aber einem anderen zuzuhören. Uwe von Seltmann ist diesmal eingeladen worden, Theologe, Journalist und Autor aus Müsen, der den jährlichen Festakt einmal mehr zu einem sehr intimen für die Zuhörer werden lässt, durch die sehr persönlichen Erinnerungen des Mannes auf der Bühne. Wie es etwa auch schon Martin Wittig gelungen war.
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Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis: Hilchenbach pflegt Erinnerung an 3. Oktober
Zunächst tritt der Bürgermeister auf die Bühne. Kyrillos Kaioglidis bezeichnet den Fall der Mauer und die Wiedervereinigung als „unverhofftes Geschenk“, dessen Eintreten von anfänglichem Überschwang und hinterher mancher Mühe begleitet worden sei. Trotz allem sei aber nach 31 Jahren eine ganze Generation herangewachsen, die kaum noch ein den Kategorien von Ossi und Wessi denke, sähen sich die Menschen heute eher regional unterschiedlich, als Südwestfalen oder Sachsen. Die Tatkraft jener, die seinerzeit gemeinsam gearbeitet und zusammengestanden haben, könne als Vorbild für die Bewältigung aktueller Aufgaben dienen. „Sie haben uns gezeigt, wenn man will, kann man alles geschehen lassen - sie haben sich nicht stoppen lassen“, betont der Bürgermeister und verspricht zugleich, dass die Erinnerung an den 3. Oktober 1990 in Hilchenbach auch weiterhin mit solchen Feierstunden aufrechterhalten werde.
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Als Junge habe er sich nie vorstellen können, einmal „im Kino meiner Jugend“ eine Rede zum Tag der deutschen Einheit zu halten, sagt Uwe von Seltmann, der durch die Familie schon früh Kontakt „nach drüben“ hatte und diesen als junger Mensch selbst vertiefte. Zum Leidwesen seiner Eltern habe er sich allerdings in der Friedensbewegung engagiert und Kontakte zu Gleichgesinnten im anderen Teil Deutschlands gesucht. Dies machte dem inzwischen 57-Jährigen einerseits deutlich, wie wenig erstrebenswert auch für einen Linken das Leben in einem solchen System sein konnte. Es brachte ihm aber zugleich auch viele Einblicke in die Verhältnisse der „DDR“ und des gesamten Ostblocks, wohin ihn seine Freunde mitnahmen, soweit sie diese Länder bereisen konnten.
Der „Dissident“ war ein Stasi-IM
„Die Wiedervereinigung Deutschlands war und ist für mich ein wunderbares Geschenk“, wiederholt der Redner mehrfach. Was Uwe von Seltmann nicht will, eine „gelehrte Abhandlung über Geschichte und Gegenwart der deutschen Einheit halten“. Er erzählt Geschichten über das, was er zum Beispiel mit der Stasi erlebte, die ihm als ständigen Besucher recht schnell einen „Schatten“ angehängt habe, der ihm und seinem Freund Andi, einem Geistlichen, sogar bis ins menschenleere Restaurant folgte, an ihrem Tisch platziert wurde und sich dann als Dissident einschmeicheln wollte.
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Den Mann später auf einer tristen Straße im Regen mit hängenden Schultern unter einer Straßenlaterne stehen zu sehen, „als ich mich umschaute“, habe ihm das beste Bild jener angeblich demokratischen Republik vermittelt, das er nur zeichnen könne. Sein Freund und er hatten ihre Schnitzel bereits verzehrt, der „IM“ seins erst bekommen, als sie aufgebrochen seien. Die Macht der Stasi, Menschen zu zerstören, sei ihm später als Journalist in den neuen Bundesländern immer wieder verdeutlicht worden.
Gewaltlos erkämpfte Revolution
Uwe von Seltmann sieht jene Ereignisse nicht als Wende, sondern als von Menschen möglich gemachte und gewaltlos erkämpfte Revolution. „Eigentlich ein Wunder“, findet der Mann, der außer in Müsen auch in Kroatien und Warschau lebt und ein großes Interesse an der Geschichte der Juden in Deutschland hat. Er zitiert mehrfach Marina Weisband, die am 27. Januar im Bundestag alle mit „Liebe Menschen“ begrüßt hat. Auch von Seltmann benutzt diese Anrede. „A mentsh zu sein, ist das höchste Kompliment, das die jüdische Sprache zu vergeben hat“, sagt er und hofft, dass auch die Juden, die in diesem Jahr seit 1700 Jahren in Deutschland ansässig seien und immer in Gefahr gewesen seien, endlich einmal in Ruhe hier leben könnten.
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DaChor gestaltet musikalischen Rahmen
Alle sollten daran arbeiten, Menschen zu sein, ihre Nachbarn und Gegenüber zu achten. Und Uwe von Seltmann dankt ausdrücklich dafür, dass Hilchenbach nach wie vor jener Juden gedenke, die im NS-Staat von ihren Nachbarn und Mitbürgern verraten und ausgestoßen worden seien.
Umrahmt wird der Vormittag im lange nicht gefüllten Theater und Kino von stimmungsvollen Auftritten des „DaChor“ unter Leitung von Sandra Klein, der die Festgemeinde auch beim gemeinsamen Singen der Nationalhymne unterstützt. Wer nicht textsicher sei, finde den Text im Programm, erinnert Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis. Ein leises Lachen ist die Antwort.
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