Hilchenbach. Bauantrag wird nun gestellt. Der Schwarzstorch könnte noch einen Strich durch die Rechnung machen.
Wenn Günter Pulte in den Hilchenbacher Ratssaal kommt, kann er sicher sein, dass er nicht auf Gegenwind trifft. „Sie haben es geschafft, bei dem politischen Zukunftsthema auf politischen Streit zu verzichten“, sagt der Geschäftsführer von Rothaarwind. Bei der Planung von Windrädern sei die Stadt „positiv und progressiv“, der Kreis Siegen-Wittgenstein bei den Genehmigungen zumindest „pragmatisch“. Seine Heimatgemeinde Kirchhundem, auf deren Gebiet der größere Teil des zweiten Rothaar-Windparks liegen soll, und der Kreis Olpe stünden dagegen „auf der Bremse“.
„Für mich sind die fünf Windräder dasselbe wie für den Kölner der Dom“, sagt Peter Kraus (UWG) im Ausschuss für Klima und Umwelt: „Danke, dass Sie so zäh sind.“ Vorher hat Günter Pulte, der vor 14 Jahren den Windpark auf der Hilchenbacher Lümke in Betrieb genommen hat, die zehnjährige Geschichte der Planung des Hilchenbach-Kirchhundemer Windparks erzählt: „Eine absurd lange Planungszeit.“
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Der neue Windpark: Erschließung über Erndtebrück
Zehn Anlagen sollen auf Kirchhundemer Gebiet entstehen, sieben auf Hilchenbacher. Sie sollen aneinandergereiht auf dem Klarsteinrücken bis zur Oberndorfer Höhe stehen, alle in den Flächen, die Hilchenbach schon einmal als mögliche Windkraft-Vorrangzone ausgewählt hat. „Wir haben die größtmögliche Ortsentfernung“, sagt Günter Pulte – den geringsten Abstand mit 1000 Metern hat ein Windrad von einem zu Oberndorf gehörenden Gehöft. Erschlossen wird der Windpark von den Erndtebrücker Eisenwerken aus über Waldwirtschaftswege, die dazu für die Bauzeit auf vier Meter verbreitert werden. „So vermeiden wir Schwerlastverkehr durch die Ortschaften“, erklärt Günter Pulte. Ob das nicht mit einer etwaigen Talsperrenplanung für das Elberndorfer Bachtal kollidiere, fragt Peter Gebhardt (FDP). Der Wasserverband sehe das Windpark-Vorhaben kritisch, bestätigt Pulte. Der Windpark würde in der Wasserschutzzone einer solchen Talsperre liegen – so wie die Lümke in der Schutzzone der Breitenbachtalsperre. Dort sei eine Ausnahmegenehmigung vom Bauverbot erforderlich geworden.
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Gebaut werden Anlagen des Typs Enercon 138. Die Zahl steht für den Rotordurchmesser – auf der Lümke waren das 82 Meter. Jedes Windrad überstreicht damit eine „Winderntefläche" von 1,5 Hektar, rechnet Günter Pulte vor, drei Mal so viel wie auf der Lümke. Der Ertrag je Anlage wird doppelt so groß. Die Nabenhöhe beträgt 111 bis 130 Meter. Gerechnet wird mit einem Ertrag von neun bis zehn Millionen Kilowattstunden je Anlage, insgesamt mit 60 Millionen Kilowattstunden für den gesamten Hilchenbacher Teil des Windparks. Zum Vergleich: Die alten Windräder auf der Lümke bringen je vier Millionen Kilowattstunden.
Die Planung: 750.000 Euro sind bereits ausgegeben
Die Planungszeit ist lang. Bevor der Investor die Berechtigung habe, den Bauantrag überhaupt zu stellen, „müssen wir unglaublich viele Dinge untersuchen“, berichtet Günter Pulte. 20 Haupt- mit 100 Teilgutachten wurden vorgelegt. Insgesamt wurden bisher rund 750.000 Euro ausgegeben, die der Anlagenhersteller mitfinanziert – im Gegenzug wird er zunächst einige Anlagen des Windparks auf eigene Rechnung selbst betreiben; die Bürgergenossenschaft bekommt ein Vorkaufsrecht. „Eine der größten Planungshürden“ sei die Radaranlage der Luftwaffe in Erndtebrück gewesen, berichtet Günter Pulte. Inzwischen habe die Bundeswehr ihren Widerspruch zurückgenommen.
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Schallgutachten: Helberhausen, Oberndorf und Heinsberg sind die nächstgelegenen Ortschaften. Eine Anlage erreicht ein Wohngebiet in Helberhausen: „Das führt wahrscheinlich dazu, dass eine Anlage schallreduziert betrieben werden muss“ – mit entsprechend reduziertem Ertrag,.
Die Wirtschaft
Günter Pulte schildert den ökonomischen Effekt des neuen Windparks: Die vier Waldgenossenschaften haben Pachteinnahmen; davon werden sie einen Teil in einen Stiftungsfonds für örtliche Vereine einzahlen.
Einnahmen haben die Genossenschaft aus dem Stromverkauf, während der Bauphase die Tiefbauunternehmen („Das ist ein siebenstelliger Auftrag“), die finanzierenden Banken und die Stadt.
Die Stadt nimmt nicht nur Gewerbesteuer ein, sondern auch die Kommunalabgabe, die der Stromnetzbetreiber (in Hilchenbach ist die Stadt allerdings an diesem Unternehmen beteiligt) bezahlt und die sich nach der Menge des erzeugten Stroms bemisst: nach derzeitiger Rechnung im Jahr 134.000 Euro. „Das wird weniger, wenn der Schwarzstorch einen Anlagenstandort unmöglich macht.“
Visualisierungen: Von insgesamt 25 vorgegebenen Standorten mussten Fotos gemacht und die Windräder integriert werden. Demnach werden zum Beispiel von der Ginsberger Heide aus zwei Windräder sichtbar sein, vom Rauhen Berg in Oberndorf vier und vom Hilchenbacher Marktplatz aus drei oder vier, diese aber „sehr klein am Horizont“.
Für den Artenschutz wurde ein Gebiet von 11.200 Hektar untersucht, „sehr engmaschig“, sagt Günter Pulte. Beispielhaft erwähnt Pulte den Schwarzstorch: Weil ein Horst gefunden wurde, muss nun beobachtet werden, ob dort Vögel brüten. Das geschieht mit einer Webcam mit besonders leistungsstarkem Akku – denn den Gutachtern wurde verboten, sich dem Horst auf weniger als 300 Meter Abstand zu nähern. Rothaarwind habe angeboten, von vornherein so zu planen, als ob der streng geschützte Schwarzstorch dort brütet. Das hätte zumindest Zeit und Kosten gespart. Dass ihm das versagt wurde, „dafür habe ich kein Verständnis". In Kürze erwartet Pulte das Ergebnis der ebenfalls beauftragten „Raumnutzungsanalyse“, die ermittelt, wo der Schwarzstorch sein Futter sucht. „Wenn er nach Altenteich fliegt, wäre das für uns gut.“
Ähnliche Aufmerksamkeit gilt der Haselmaus, dem Rotmilan, der Wildkatze und der Waldschnepfe. Güter Pulte nennt Zahlen: 100.000 Vögel im Jahr werden nach Angaben des Naturschutzbundes von Windrädern getötet, nachgewiesen seien 1000. Dagegen würden im gleichen Zeitraum 40 Millionen Vögel von Katzen gefressen und zehn Millionen im Straßenverkehr getötet. „Man muss auch zur Abwägung bereit sein. Wir kriegen nichts umsonst."
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Der aktuelle Stand: Bauantrag folgt kurzfristig
Für die Anlagen in Hilchenbach hat Rothaarwind im Juli 2020 einen positiven Vorbescheid bekommen, der Bauantrag werde jetzt „ganz kurzfristig“ gestellt, kündigt Günter Pulte an. Hilchenbach ist wegen des Schwarzstorchs ins Hintertreffen geraten, der Bauantrag für Kirchhundem mit insgesamt 108 Kilo Papier in Aktenordnern wurde früher gestellt. Dort verweigere nun aber die Gemeinde Kirchhundem ihr Einvernehmen. Das hat Folgen: Die Dimensionierung der Stromleitung hängt davon ab, ob der gesamte Windpark oder nur der Hilchenbacher Teil in Betrieb geht.
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Der Widerstand gegen den Windpark, sagt Günter Pulte, „ist für mich ein großes Rätsel.“ Die Anlagen seien schließlich, anders als Kohle- oder Atomkraftwerke, rückstandsfrei demontierbar. „Unsere Energieversorgung der Zukunft wird aus Wind- und Solarenergie bestehen.“ 10 Hektar Windpark würden eine Stadt wie Hilchenbach mit Strom zu versorgen – oder 100 Hektar Solarmodule, 9600 Hektar Maisanbaufläche („Dann hätten wir Biosprit, aber nichts zu essen“) oder 22.000 Hektar Wald, um das Holz zu verstromen. Für die Erkenntnis, dass das Klima sich verändert, braucht Landwirt Günter Pulte die Flut im Ahrtal nicht. „Meine Kühe gehen früher auf die Weide“, berichtet er, ihnen ist jetzt nicht erst im Mai, sondern schon Ende März warm genug. Und das Wasser aus dem 110 Meter tiefen Brunnen ist anderthalb Grad wärmer geworden.
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